Dünnes Reformmandat
Alexis Tsipras hat einen höheren Wahlsieg eingefahren als erwartet. Aber auf stabile Verhältnisse in Athen darf man nicht rechnen: Für die bitteren Reformschritte, die er im Oktober durchsetzen muss, ist Tsipras' Parlamentsmehrheit knapp. Unterdessen steigt Griechenlands Schuldenlast auf über 200 Prozent des BIP. Athens Primärüberschuss wird 2016 allenfalls 0,5 Prozent erreichen.
Griechenland

Dünnes Reformmandat

Alexis Tsipras hat einen höheren Wahlsieg eingefahren als erwartet. Aber auf stabile Verhältnisse in Athen darf man nicht rechnen: Für die bitteren Reformschritte, die er im Oktober durchsetzen muss, ist Tsipras' Parlamentsmehrheit knapp. Unterdessen steigt Griechenlands Schuldenlast auf über 200 Prozent des BIP. Athens Primärüberschuss wird 2016 allenfalls 0,5 Prozent erreichen.

Zwei Dinge sind nach dieser dritten griechischen Wahl innerhalb eines Jahres geklärt: Die Griechen wollen den Euro um jeden Preis behalten. Aber Stabilität kehrt mit der unerwartet klaren Wiederwahl des linksradikalen Premiers Alexis Tsipras in Griechenland nicht ein.

Der Grexit ist kein Thema mehr – jedenfalls nicht für die Griechen.

Die griechischen Umfrage-Institute haben wieder einmal falsch gelegen. Mit 35,5 gegen 28,09 Prozent ist es Tsipras und seinem linken Syriza-Parteienbündnis gelungen, die konservative Oppositionspartei Nea Dimokratia überraschend deutlich zu distanzieren.

Große Verlierer der Wahl sind Tsipras‘ noch linksradikalere Widersacher, deren Auszug aus der Syriza-Formation die schnelle Neuwahl ausgelöst hatte. Der Ex-Kommunist und Tsipras‘ ehemaliger Energieminister Panagiotis Lafazanis und seine neue Partei Volkseinheit scheiterte an der Dreiprozent-Hürde. Lafazanis hatte im Wahlkampf Griechenlands Ausstieg aus dem Euro propagiert. Aber in drei Wochen bei geschlossenen Banken haben die Griechen verstanden, wo ihr Geld herkommt: Aus Brüssel und Frankfurt und sonst nirgendwoher. Die Griechen haben sich für 86 Milliarden Euro entschieden. So groß ist das dritte Rettungspaket, und sie wissen genau, dass sie das Geld brauchen. Der Grexit – Griechenlands Exit aus dem Euro – ist kein Thema mehr. Jedenfalls nicht aus griechischer Sicht.

Die Griechen haben sich für 86 Milliarden Euro entschieden. So groß ist das dritte Rettungspaket, und sie wissen genau, dass sie das Geld brauchen.

Als „starkes Mandat“ der Wähler für den Reformkurs bezeichnete noch in der Wahlnacht Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem das Ergebnis. Eine kühne Prognose. Denn ein Votum für Reformen ist dies Wahlergebnis eher weniger. Es sind soviele Wähler zuhause geblieben wie noch nie. Gegenüber der Wahl im vergangenen Januar ist die Wahlbeteiligung von 63  auf 55 Prozent gesunken. Viele Wähler haben Tsipras die Kehrtwende und Kapitulation vor den Kreditgebern in Brüssel, Frankfurt und New York offenbar nicht verziehen.

Allzu knappe Mehrheit

Für die konservative ND ist das Wahlergebnis eine so herbe wie bedeutsame Niederlage: Die Wähler betrachten sie nicht als Alternative. Die noch am ehesten pro-europäische Reformpartei To Potami blieb mit 4,1 Prozent in der Nähe der Sperrklausel. Wichtigstes positives Zeichen: Die rechtsradikale Partei Goldene Morgenröte wurde zwar drittstärkste Fraktion, aber mit nur sieben Prozent der Stimmen. Eine Rolle wird sie kaum spielen.

Es gibt derzeit in Griechenland nur Tsipras und Syriza. Aber zur stabilen Regierungsmehrheit reicht das Wahlergebnis nicht. Syriza kommt auf 145 von 300 Mandaten, zusammen mit den zehn Mandaten seines bisherigen nationalistischen Koalitionspartner Unabhängige Griechen (Anel) auf 155. Eine Koalition mit anderen Partnern lehnt Tsipras bislang ab. Und alle anderen potentiellen Partner lehnen Anel ab.

Griechenlands Volk hat uns ein klares Mandat gegeben, im In- und Ausland für den Stolz unseres Volkes zu kämpfen.

Alexis Tsipras

Anders als Dijsselbloem gern glauben oder glauben machen möchte, steht Tsipras‘ Mandat zur Umsetzung eben jener Reformen, die er selber bis vor kurzem aufs Härteste bekämpft hat, auf dünnen Beinen. In seiner Botschaft am Wahlabend kam denn auch Reformeifer nicht vor: „Griechenlands Volk hat uns ein klares Mandat gegeben, im In- und Ausland für den Stolz unseres Volkes zu kämpfen.“

Die neue Regierung wird wenig zu regieren haben

Ganz unrecht hatten die Nichtwähler womöglich nicht: Tsipras‘ neue Regierung wird wenig Spielraum haben zum Regieren. Athen muss nun unverzüglich die ihm mit dem Rettungspaket auferlegten Reformen angehen: Ende der Frührenten, Abbau von massiven Steuerprivilegien für Inseln und Landwirte. Die Privatisierungen müssen in Gang kommen. Auch die verhasste Immobiliensteuer wird nun bleiben. Vor der Januarwahl hatte Tsipras versprochen, sie abzuschaffen. Worauf die Wähler schon Monate im voraus die Zahlung eingestellt hatten. Jetzt muss Tsipras die Steuerschulden eintreiben.

Ohne Bankenrettung kann es für niemanden Bankkredite geben, und solange kommt die Wirtschaft nicht vom Fleck.

Schon Ende Oktober steht die erste Evaluierungskommission der Troika – EU-Kommission, Europäische Zentralbank (EZB) und Internationaler Währungsfonds (IWF) ins Haus. Von deren Urteil hänbgt ab, ob die nächste 23 Milliarden Euro große Kredit-Tranche fließt. Das Geld wird zum größeren Teil für die Rekapitalisierung der griechischen Banken gebraucht, die auf über 50 Prozent notleidenden Krediten sitzen. Ohne Bankenrettung kann es für niemanden Bankkredite geben, und solange kommt die Wirtschaft nicht vom Fleck.

Ob jetzt die knappe Parlamentsmehrheit für das bittere Reformprogramm reicht, muss sich zeigen.

Tsipras steht ein harter Kampf bevor. Er weiß das genau. Damit ja die Reformen nicht auf die Wählerstimmung drücken, hat er den frühen Wahltermin gewählt. Ob jetzt die knappe Parlamentsmehrheit für das bittere Reformprogramm reicht, muss sich zeigen. Vor allem die griechischen Landwirte haben üblicherweise das Protestpotential, um der Regierung in Athen das Leben schwer zu machen. Im Syriza-Lager könnte es dann wieder beginnen zu rumoren. Beobachter erwarten, dass sich Tsipras um weitere Koalitionspartner bemühen muss.

Rechenspiele der Kreditgeber

Zeigen muss sich auch, ob die Rechenspiele der Kreditgeber aufgehen. Mit den neuen Krediten wird Griechenlands Schuldenlast bald über 200 Prozent der Wirtschaftsleistung erreichen. Was untragbar klingt, ist so schlimm nicht: Die ESM-Kredite haben eine Laufzeit von durchschnittlich 32,5 Jahren. Die Rückzahlung beginnt erst ab etwa 15 Jahren, und die Zinsen betragen kaum ein Prozent. Als Alternative zum offenen Schuldenschnitt fassen die Kreditgeber schon die nächsten Verlängerungen ins Auge. Unter solchen Bedingungen spielt die Schuldenhöhe kaum noch eine Rolle. Sinken muss sie trotzdem: Bis 2020 und 2022 soll sie wieder auf 175 und 160 Prozent sinken – in den ersten beiden Rettungspaketen waren für das Jahr 2022 deutlich unter 110 Prozent anvisiert worden.

Nach einer Schrumpfung von etwa drei Prozent in diesem Jahr erwarten Ökonomen 2016 für Griechenland ein Wirtschaftswachstum von allenfalls einem Prozent.

Wichtiger als die Schuldenhöhe ist derzeit Athens jährlicher Bruttofinanzierungsbedarf. Der IWF will ihn auf 15 Prozent der Wirtschaftsleistung begrenzt sehen. Dazu muss das Haushaltsdefizit von derzeit 3,8 Prozent sinken und ein Primärüberschuss – vor Zinszahlungen – her. Das zweite Rettungsprogramm war noch von einem für das Jahr 2016 avisierten Primärüberschuss von 4,5 Prozent ausgegangen. Jetzt ist nur noch von 0,5 Prozent die Rede. Aber auch dieser kleine Primärüberschuss muss noch herbeigezaubert werden: Nach einer Schrumpfung von etwa drei Prozent in diesem Jahr erwarten Ökonomen 2016 für Griechenland ein Wachstum von allenfalls einem Prozent. Die Griechenland-Saga wird so schnell nicht enden.