Rom spielt mit dem Euro
Die EU-Kommission hat das nächste Defizit-Strafverfahren gegen das überschuldete Italien eingeleitet. Weit wird das kaum führen. Denn Rom kann und will nicht sparen − und droht mit der Einführung einer Parallelwährung. Brüssel ist machtlos.
Italien

Rom spielt mit dem Euro

Die EU-Kommission hat das nächste Defizit-Strafverfahren gegen das überschuldete Italien eingeleitet. Weit wird das kaum führen. Denn Rom kann und will nicht sparen − und droht mit der Einführung einer Parallelwährung. Brüssel ist machtlos.

Kein Scherz: Italien will in der nächsten EU-Kommission den Haushaltskommissar stellen. Italiens Vize-Ministerpräsident Luigi Di Maio hat Ansprüche seines Landes auf zentrale Posten in der neuen EU-Kommission angemeldet. Italien wolle den Haushalts- oder den Wettbewerbskommissar stellen, sagte der Politiker der populistischen 5-Sterne-Bewegung der Römischen Tageszeitung Zeitung Corriere della Sera (Donnerstagausgabe).

Defizit-Strafverfahren gegen Italien

Dabei liegt die Koalition aus Di Maios Partei und rechter Lega genau jetzt ausgerechnet wegen ihrer Haushaltspolitik über Kreuz mit der EU. Erst vorige Woche hat die EU-Kommission empfohlen, wegen des zu hohen Defizits ein Strafverfahren gegen Italien einzuleiten.  Am vergangenen Dienstag hat es dafür die Rückendeckung der EU-Staaten bekommen.

Hintergrund ist die hohe Staatsverschuldung von 2,3 Billionen Euro beziehungsweise 132 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Für nächstes Jahr werden sogar 135 Prozent befürchtet. Erlaubt sind in der Eurozone nur 60 Prozent. Zugleich ist dem Land der Schuldenabbau, den es zugesagt hatte, nicht im versprochenen Ausmaß gelungen.

Brüssel droht …

Der Schuldenstreit zwischen Brüssel und Rom spitzt sich zu. Die EU-Kommission hat Italien jetzt aufgefordert, keine Zeit zu verlieren und umgehend Maßnahmen zur Sanierung der Finanzen vorzuschlagen. „Der Ball liegt nun ganz klar im italienischen Feld”, sagte Finanzkommissar Pierre Moscovici am Mittwoch in Brüssel. Er forderte Italien auf, belastbare Haushaltsplanungen für dieses und nächstes Jahr vorzulegen.

„Niemand sollte anzweifeln, dass wir diese Regeln anwenden, falls die Zahlen nicht stimmen”, sagte Moscovici mit Blick auf EU-Vorschriften zur Haushaltsführung. Bereits Ende 2018 war das chronisch wachstumsschwache Italien nur knapp einem Strafverfahren aus Brüssel entgangen. Weil Rom neue Wachstumsannahmen vorgelegt hatte, die sich allerdings schon wenig später als reine Fantasiezahlen entpuppten. Da die Europawahlen nahten, nahm die Kommission es hin. Nun werden die EU-Finanzminister am Rande ihres Treffens an diesem Donnerstag und am Freitag in Luxemburg erneut über die Situation in Italien beraten.

… mit Milliardenbuße

Falls in den nächsten Tagen keine Einigung zwischen Rom und Brüssel erzielt wird, könnte die Kommission auf dem Treffen am 26. Juni den nächsten Schritt machen und das Verfahren offiziell voranbringen. Danach läge die finale Entscheidung bei den EU-Finanzministern, die wieder am 8. und 9. Juli zusammenkommen. Italien droht theoretisch eine Milliardenbuße. So weit soll es nach dem Willen von EU-Politikern aber nicht kommen. Sie hoffen, dass das Misstrauen der Finanzmärkte in Form von höheren Zinsen auf den gigantischen Schuldenberg die Regierung in Rom zum Einlenken zwingt.

Wir werden tun, was die Italiener brauchen.

Luigi Di Maio, Italiens Vize-Ministerpräsident

„Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir in der Lage sein werden, Brüssel die Antworten zu geben, die es erwartet”, sagte Ministerpräsident Conte. Wieder einmal. „Unsere Einnahmen sind größer als wir vorsichtigerweise geschätzt haben und wir werden sicherlich in der Lage sein, die Schulden schneller als erwartet abzubauen.” Italien wolle die EU-Schuldenregeln einhalten, aber es müsse auch erlaubt sein, sie zu kritisieren und Änderungen anzustreben, sagte der Regierungschef weiter.

Aber Rom will nicht sparen

Wie im vergangenen November spricht die italienische Regierung von neuen Einnahmequellen. Durchgespielt werde eine Steuer auf in Schließfächern verwahrtes Bargeld und Wertgegenstände, sagt der stellvertretende Ministerpräsident Matteo Salvini laut italienischen Zeitungen. In den Tresorräumen würden Vermögenswerte über Hunderte Milliarden Euro liegen. „Geld, das im Wesentlichen versteckt ist”, wird der Chef der rechten Lega zitiert.

Und wieder kann und will Rom nicht sparen. In seinem Interview Corriere della Sera bekräftigte Di Maio auch, dass die Priorität seiner Regierung auf Steuersenkungen liege. Auf die Frage, ob diese durch eine Erhöhung des Haushaltsdefizits finanziert werden sollen, antwortete der Politiker: „Wir werden tun, was die Italiener brauchen.”

Zahnloser Stabilitätspakt

Unterdessen warnt der Präsident des Münchner ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Clemens Fuest, vor allzu großen Erwartungen an das Schulden-Strafverfahren, mit dem Brüssel droht. „Italien ist ein souveräner Staat, niemand kann die italienische Regierung zwingen, Schuldenregeln einzuhalten, wenn sie es nicht will”, so Fuest zur Neuen Osnabrücker Zeitung.

Italien ist ein souveräner Staat.

Clemens Fuest, ifo-Chef

Einmal mehr zeige sich eine Achillesverse der Währungsunion, so auch das Urteil der Neuen Zürcher Zeitung: „Der Stabilitätspakt, der Leitplanken für die nationalen Finanzpolitiken setzt, ist letztlich ein Gentleman’s Agreement zwischen Staaten, die in Haushaltsfragen souverän geblieben sind.” Wenn Politiker wie der Lega-Chef und derzeit stärkste Mann in Rom, Matteo Salvini, die „Briefchen aus Brüssel” offen verhöhne, gebe es „abgesehen von zahnlosen Defizitverfahren keine Remedur”.

 Raum für faule Kompromisse

Tatsächlich ist noch kein Defizit-Verfahren der EU-Kommission je weit gekommen. Eine Strafzahlung war noch nie auch nur in Sichtweite. Kein Wunder: Der Bericht, in dem die Kommission jetzt die Einleitung eines Strafverfahrens empfiehlt, ist nur der erste von insgesamt 17 Schritten bis zur Verhängung einer milliardenschweren Geldbuße

Vor jedem einzelnen Schritt ist viel Raum für das Spiel mit getürkten Zahlen und faulen Kompromissen. Die die EU-Kommission allzu gerne eingeht. Zumal es weitere eklatante Defizit- und Schuldensünder gibt − etwa Frankreich, dessen Staatsverschuldung auf die 100-Prozent-Marke zudriftet.

Italien droht …

Dazu kommt nun eine neue italienische Drohung: Ende Mai hat Italiens Abgeordnetenkammer die Regierung aufgefordert, die Einführung sogenannter Mini-Bots zu überprüfen. Hinter dem Kürzel für „Buono ordinaria del Tesoro“ verbirgt sich eine neue Form staatlicher Schuldscheine über kleine Beträge von 50 oder 100 Euro.

In Italien geht das Gespenst einer Parallelwährung um.

Neue Zürcher Zeitung

Rom überlegt, solche Klein-Schuldscheine auszugeben, um unbezahlte Lieferantenrechnungen der öffentlichen Hand zu begleichen. Tatsächlich schieben Italiens Gemeinden, Ministerien und andere staatlichen Institutionen einen Berg unbezahlter Rechnungen über 50 Milliarden Euro vor sich her. Der übrigens in der Berechnung der Höhe der italienischen Staatsverschuldung gar nicht auftaucht.

… mit einer Parallelwährung

Bei Wählern und Lieferanten, die zum Teil seit Jahren auf ihr Geld warten, dürfte die Idee gut ankommen. Wohl deshalb steht sie auch im Koalitionsvertrag von Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung. Und ist damit einer der weniger werdenden Konsenspunkte der beiden Koalitionspartner.

Die Käufer der Mini-Bots sollen damit Steuerschulden begleichen dürfen. Nur der Staat wäre verpflichtet, sie als Zahlungsmittel zu akzeptieren. Problem, jedenfalls für EU-Kommission und Eurozone: Dabei würde es kaum bleiben. Denn wer immer die Mini-Schuldscheine als Zahlungsmittel annehmen wollte, könnte das natürlich. Eine italienische Zweitwährung wäre geboren. Was nach EU-Recht illegal wäre.

Spiel mit dem Feuer

Bedrohlich für den Euro: Der italienische Urheber der Idee mit den Mini-Bots hat früher für den Austritt aus dem Euro plädiert. Ebenso wie Salvinis Lega. Die Kleinstschuldscheine sollten dabei tatsächlich die Rolle einer Ersatzwährung spielen. Wo die Lega in der Frage des Euro-Ausstiegs heute steht, ist unklar.

Beobachter in Brüssel beruhigen: Salvini und seine Lega forderten jetzt zwar laut die Einführung der Mini-Bots. Aber nur als Drohung im Haushaltsstreit mit Brüssel. Wie auch immer: Rom spielt mit dem Feuer − und mit dem Euro. (dpa/BK/H.M.)