„Grenzkontrollen sind nichts Schlechtes“
Europa dürfe nicht den Fehler machen, das Flüchtlingsthema von der Tagesordnung zu nehmen, nur weil weniger Migranten ankämen, warnt UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi. Der UNHCR zufolge warten derzeit in Libyen über 670.000 Migranten.
Flüchtlinge

„Grenzkontrollen sind nichts Schlechtes“

Europa dürfe nicht den Fehler machen, das Flüchtlingsthema von der Tagesordnung zu nehmen, nur weil weniger Migranten ankämen, warnt UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi. Der UNHCR zufolge warten derzeit in Libyen über 670.000 Migranten.

„Nein, Europa ist auch heute nicht auf eine Flüchtlingskrise vorbereitet.“ Die Warnung spricht im Interview mit der Berliner Tageszeitung Die Welt der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), Filippo Grandi aus. Der italienische UNHCR-Chef drängt die europäischen Regierungen, sich auf höhere Flüchtlingszahlen vorzubereiten.

„Nach der Chaosphase“ bestehe für die Regierungen nun die Chance, das Thema ordentlich anzupacken, so Grandi. Europa dürfe aber nicht den Fehler machen, „das Flüchtlingsthema von der Tagesordnung zu nehmen, nur weil weniger ankommen.“ Denn es gebe weltweit weiterhin viele Krisenherde.

Libyen: Problem für Europa

Vor allem der wieder aufgebrochene Bürgerkrieg in Libyen bereitet dem UNHCR-Chef wachsende Sorgen. Sowohl für das Schicksal der Migranten, wie für die Entwicklung der Flüchtlingszahlen in Europa. Denn die Europäer haben den Schutz ihrer südlichen Außengrenze sozusagen an die libysche Küstenwache delegiert.

Libyen ist ein Staat am Abgrund.

Filippo Grandi, UNHCR-Chef

Aber anders als im Falle der Türkei, mit der die Europäer ein Flüchtlingsabkommen geschlossen haben, sei auf die libyschen Partner eben kein Verlass, warnt Grandi. „Libyen ist nach jahrelangem Bürgerkrieg ein Staat am Abgrund.“ Anders als in der Türkei gebe es dort kaum Partner, „um zusammen einen verlässlichen Flüchtlingsschutz organisieren zu können“.

Über 670.000 Migranten

Und nun sei die Lage für die Flüchtlinge in Libyen noch schlimmer geworden. „Denn jetzt tobt dort wieder ein Krieg.“ Die Flüchtlingslager dort seien nicht nur so furchtbar wie zuvor, „sondern die Menschen darin sind auch durch die Kämpfe unmittelbar bedroht“.

Die UNHCR hat in Libyen über 670.000 Migranten identifiziert.

Le Monde

Was Folgen haben kann für die Flüchtlinge – und für die Europäer. Von „über 670.000 Migranten“ in Libyen schrieb vor 14 Tagen die Pariser Tageszeitung Le Monde unter Berufung auf Grandis UNHCR. Das Blatt sah außerdem voraus, dass auch vermehrt Libyer die Chance zur Flucht über das Mittelmeer nutzen könnten. Denn allein durch die jüngsten Kämpfe seien „über 9500 von ihnen“ vertrieben worden. Dazu komme, dass genau jetzt die Wetterbedingungen für die Flucht übers Meer wieder günstiger würden.

Schneller abschieben

Im Welt-Interview fordert UNHCR-Chef Grandi die Europäer auf, Flüchtlingsströme besser zu managen. Dazu gehöre die schnelle Bearbeitung von Asylanträgen, die zügige Integration von Menschen mit Schutztitel – und effektive Abschiebungen.

Grenzkontrollen an sich sind nichts Schlechtes.

Filippo Grandi

Grandi: „Natürlich muss man auch dafür sorgen, dass jene, deren Antrag abgelehnt wird, rasch in ihre Heimat zurückkehren, möglicherweise mit Unterstützung zur Reintegration.“ Hier, fordert der UNHCR-Chef ausdrücklich, „müssen die Staaten mehr unternehmen“. Weil sie all das bislang nicht schafften, „floriert das kriminelle Geschäftsmodell der Schleuser weiter.“

Grenzkontrolle wichtig

Interessant: Grandi plädiert auch für bessere, effektivere Grenzkontrollen – und lobt darum Deutschland. Das Management von Grenzen sei nicht das Problem, sagt er. „Grenzen sollten sogar mehr und besser gemanagt werden, vor allem die Grenzen der EU.“ Denn Grenzkontrollen an sich seien nichts Schlechtes, solange Schutzsuchende Schutz bekommen könnten. Grandi: „Das funktioniert in Deutschland.“