Schuldenpanik in Paris
Paris drängt auf ein Ende der Griechenlandkrise – um jeden Preis. Kein Wunder: Frankreichs Staatsschulden wachsen dramatisch. Schon jetzt zahlt Frankreich nur für Schuldendienst jedes Jahr 43 Milliarden Euro. Und die Zinskosten für Paris wachsen – seit Jahresanfang um 0,4 Prozentpunkte. Wenn wegen der Krise in Griechenland das Zinswachstum anhält, steht Frankreichs Haushalt in Flammen.
Frankreich

Schuldenpanik in Paris

Paris drängt auf ein Ende der Griechenlandkrise – um jeden Preis. Kein Wunder: Frankreichs Staatsschulden wachsen dramatisch. Schon jetzt zahlt Frankreich nur für Schuldendienst jedes Jahr 43 Milliarden Euro. Und die Zinskosten für Paris wachsen – seit Jahresanfang um 0,4 Prozentpunkte. Wenn wegen der Krise in Griechenland das Zinswachstum anhält, steht Frankreichs Haushalt in Flammen.

Was ist los in Paris? Sechs Monate lange haben die deutsche und die französische Regierung bei den schwierigen Verhandlungen mit der nationalkommunistischen Regierung in Athen an einem Strang gezogen. Nicht mehr. „Vor dem Referendum kann über kein neues Hilfsprogramm verhandelt werden“, betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Bundestag. Bei Frankreichs Staatspräsident Franςois Hollande klang es bei einem Auftritt in Lyon ganz anders: „Um es klar zu sagen, eine Vereinbarung muss sofort her!

Frankreich kämpft. Frankreich verharrt nicht im Veto, nicht in der Brutalität.

Franςois Hollande

Es wird schon lange über diese Vereinbarung gesprochen, sie muss jetzt kommen!“  Sein Finanzminister Michel Sapin erklärte: Dass Ziel ist es, falls möglich noch vor dem Referendum eine Einigung zu finden.“ Frankreich werde bis zur letzten Minute um eine Einigung ringen. „Die griechische Krise belastet die französisch-deutsche Verbindung“, titelt Le Monde in großen Schlagzeilen-Lettern auf Seite eins und bringt auf zwei Seiten deutliche Warnungen von Präsident Hollande „gegen voreilige Festlegungen und brutale Brüche“ – die er damit gleichzeitig Berlin vorwirft. Hollande: „Ich denke, dass wir immer die Übereinkunft suchen müssen, die Verhandlung, die Vernunft. Allerdings müssen auch alle davon überzeugt sein. Frankreich kämpft. Frankreich verharrt nicht im Veto, nicht in der Brutalität.“ Aus dem Elysée-Palast heißt es ergänzend: „So lange es eine Hoffnung gibt, und sei sie noch so klein, müssen wir danach streben.“ Soviel ist sicher: Hollande und Sapin wollen eine politische Lösung, einen Kompromiss mit Athen, um jeden Preis. Was ist plötzlich los in Paris?

51,6 Milliarden Euro neue Schulden in nur drei Monaten

Die Antwort ist einfach: Schuldenpanik. Frankreichs amtliches Statistikinstitut Insee hat am Dienstag einen Bericht vorgelegt, und der hat es in sich: Die französische Staatsverschuldung läuft aus dem Ruder. Allein in den vergangen drei Monaten ist sie um 51,6 Milliarden Euro gewachsen auf insgesamt 2089,4 Milliarden Euro – 97,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Wie dramatisch die Entwicklung verläuft, zeigt der Blick auf die Verschuldungszahl für Ende 2014: 95,6 Prozent des BIP. Die Schuldenlast pro Kopf der Bevölkerung liegt jetzt bei über 31.000 Euro, vom Baby bis zum Greis.

Das Rekordschuldenwachstum in Paris wird noch beunruhigender, wenn man es neben längerfristige Zahlen stellt. Seit Hollandes Amtsantritt im Juni 2012, also in drei Jahren, sind Frankreichs Schulden um genau 220 Milliarden Euro gewachsen – etwa 18,3 Milliarden pro Vierteljahr, errechnet die Pariser Tageszeitung Le Figaro in einem düsteren Kommentar auf der ersten Seite. 1995 lag Frankreichs Staatsverschuldung bei umgerechnet 683,5 Milliarden Euro  oder 55,8 Prozent der Wirtschaftskraft, 2007 bei etwa 65 und heute eben bei 97,5 Prozent. Die psychologische Schwelle von 100 Prozent Staatsverschuldung kommt in Sicht.

Im Wahlkampf vor drei Jahren hatte Hollande versprochen die Verschuldung binnen dreier Jahre – also theoretisch bis heute – von 88,7 auf 85,8 Prozent des BIP zurückzuführen. Trotz der jüngsten Insee-Zahlen hofft Paris noch immer, das Wachstum der Staatsverschuldung bis Ende 2015 auf 96,3 zu begrenzen, und verweist auf zu erwartende Staatseinnahmen im zweiten Halbjahr.

Paris schimpft über Sparpolitik, hat damit aber noch gar nicht begonnen

Aber das wird schwierig. Um Frankreichs Schuldenstand stabil zu halten, dürfte das Haushaltsdefizit nicht mehr als 1,9 Prozent des BIP betragen, rechnet der Rechnungshof des Landes vor. Aber Ende 2014 stand es bei 4,4 Prozent, und für 2015 hat sich die Regierung eine Rückführung auf 3,8 Prozent vorgenommen. Die Londoner Wochenzeitung The Economist erwartet ein Pariser Budgetdefizit von 4,1 Prozent. Bisher hat das britische Wochenblatt stets besser gelegen als die Pariser Prognosen. Paris kritisiert zwar Austerität und Sparpolitik. Dabei hat Paris mit Sparen noch nie angefangen. Die Staatsausgaben wachsen und wachsen. Die Staatsquote liegt schon bei 57,2 Prozent (Deutschland: etwa 45 Prozent; Schweiz 35 Prozent).

Frankreichs Staatsverschuldung wird also nicht sinken, sondern weiter steigen. Zumal Hollande zwei Jahre vor dem nächsten Wahltermin „in die Phase der Umverteilung“ eintreten möchte, wie Le Figaro es formuliert. Im Juni hat die Regierung staatliche Unterstützung für 100.000 Arbeitsplätze anlaufen lassen – Kostenpunkt: 400 Millionen Euro im Jahr 2015 und 700 Millionen im nächsten Jahr. Schon angekündigt hat Hollande, dass ab Beginn des Wahljahres 2017 die fünf Millionen Staatsbeamten eine Lohnerhöhung erwarten dürfen. Für Frankreichs Militäroperationen in Mali, Zentralafrika und anderswo waren im Haushalt 2015 dafür 450 Millionen veranschlagt worden – dabei haben die Unternehmungen allein im Vorjahr 1,2 Milliarden gekostet.

Hollandes Panik vor steigenden Schuldzinsen

Frankreichs Haushalt ist dramatisch auf Kante genäht. Alle Pariser Rechnungen hängen von der Entwicklung des Haushaltsdefizits und des Wirtschaftswachstums ab: 2015 muss das Defizit auf 3,8 Prozent fallen, 2016, auf 3,3 und 2017 auf 2,7 Prozent. Das Wirtschaftswachstum muss dieses Jahr mindestens ein Prozent betragen und dann auf 1,5 Prozent steigen. „Wenn sich nur einer dieser Zahlen negativ veränderte, würde die Verschuldung die 100 Prozent-Grenze wahrscheinlich überschreiten“, so ein französischer Experte. Die Defizit-Zahl für 2015 ist schon heute Illusion. Beim Wachstum liegt Paris mit erwarteten 1,2 Prozent (The Economist) noch im grünen Bereich.

Zweitgrößter Posten im Haushalt: 43,2 Milliarden Euro nur für Zinsen

Hollandes große Sorge gilt den Schuldzinsen. Es könne nicht sein, dass Frankreich nur für Zinsen jedes Jahr 50 Milliarden Euro einplanen müsse, empörte er sich kurz nach seinem Amtsantritt. Trotz stark gestiegener Schuld ist heute die Lage etwas besser, dank  deutlich gefallener Zinsen: Im Januar 2012 musste Paris auf Zehnjahresanleihen 3,33 Prozent Zinsen zahlen, heute nur 1,28 Prozent. Trotzdem macht auch das 43,2 Milliarden Euro aus. Das ist der zweitgrößte Posten im Pariser Etat und mehr Geld als Paris etwa für die „Bildung der Kinder“ ausgibt, beklagt Le Figaro.

Und genau hier kommen Hollandes griechische Ängste ins Spiel: Wenn Frankreichs Schuldzinsen auch nur um einen Prozent stiegen, würde das Paris im ersten Jahr 2,4 Milliarden Euro zusätzlich kosten, im zweiten Jahr 5,3 Milliarden und im fünften Jahr gar elf Milliarden mehr – 54 Milliarden im Jahr. Insgesamt müsste Frankreich dann innerhalb von fünf Jahren zusätzliche 35,6 Milliarden Euro für Zinsen zahlen.  Nicht einmal Le Figaro wollte ausrechnen, wie diese Zahlen aussähen, wenn Paris den Zinssätzen von Anfang 2012 auch nur nahe käme.

Frankreich in Gefahr

Das ist auch nicht nötig. Es reicht, dass sich Frankreichs Zinsen seit Beginn diesen Jahres von komfortablen 0,88 Prozent schon auf 1,28 Prozent erhöht haben. Schuld ist ziemlich sicher das wachsende Chaos in Athen. Wenn jetzt die Griechenlandkrise auch nur zur kleinsten weiteren Steigerung führte – von einem oder zwei zusätzlichen Prozentpunkten gar nicht geredet – ginge Franςois Hollandes Haushalt in Flammen auf. Hollande muss und will darum das griechische Debakel beendet sehen, so schnell wie möglich und um buchstäblich jeden Preis – den dann ohnehin der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM zahlen würde und damit alle Euro-Länder zusammen.

Frankreich – ein Griechenland, das davon nichts wissen will

Le Monde

Für Hollande geht es schon lange nicht mehr um Griechenland, sondern nur um Frankreich und seine eigene sehr berechtigte Panik vor steigenden Schuldzinsen. „Frankreich – ein Griechenland, das davon nichts wissen will“, hatte am 9. April die linke, den Sozialisten nahestehende Pariser Tageszeitung Le Monde getitelt mit Blick auf Frankreichs stetig steigenden Staatsausgaben und die zweithöchste Staatsquote in Europa. Geändert hat sich in Paris seither nichts. Nur die Angst ist gewachsen. Denn Frankreich ist in Gefahr.