Das Kalkül der Populisten
Italiens Staatspräsident ernennt eine Übergangsregierung – gegen die Mehrheit der Populisten in Rom. Die Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega wollen Neuwahlen erzwingen. Ihr Wahlkampfthema: gegen Brüssel. Umfragen sehen die Lega im Aufwind.
Italien

Das Kalkül der Populisten

Italiens Staatspräsident ernennt eine Übergangsregierung – gegen die Mehrheit der Populisten in Rom. Die Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega wollen Neuwahlen erzwingen. Ihr Wahlkampfthema: gegen Brüssel. Umfragen sehen die Lega im Aufwind.

Jetzt kommt das italienische Referendum über den Euro doch – als Neuwahl, wahrscheinlich schon im Herbst. Und das unter den beunruhigenden Vorzeichen einer regelrechten Verfassungskrise: Der Staatspräsident stellt sich gegen die Parlamentsmehrheit; deren Führer setzen ihm ein Ultimatum; der Präsident bleibt hart; der Chef der stärksten Partei ruft das Parlament zur Amtsenthebung auf;  sein Koalitionspartner droht mit Massenprotesten.

Übergangsregierung ohne Mehrheit

Die Koalitionsregierung aus der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) und der rechtspopulistischen Lega – ehemals Lega Nord – ist gescheitert, bevor sie überhaupt zustande kam. Weil Staatspräsident Sergio Mattarella nicht nachgegeben hat: Den Euro- und Deutschland-Gegner Paolo Savona wollte er auf keinen Fall zum Wirtschaftsminister ernennen. Auch ein 24-Stunden-Ultimatum von Lega -Chef Matteo Salvini und dem M5S-Chef Luigi Di Majo haben ihn nicht beeindruckt.

Verfassungskrise mit Implikationen für die gesamte Europäische Union

The Economist

Woraufhin der designierte Ministerpräsident Giuseppe Conti noch am Sonntagabend aufgab. Am Montag bestellte Mattarella den angesehenen Wirtschaftsexperten Carlo Cottarelli zu sich und beauftragte ihn mit der Bildung einer Übergangsregierung. Deren wichtigste Aufgabe müsste es sein, den Haushalt für das kommende Jahr im Parlament zur Verabschiedung zu bringen. Doch die Lega Nord und die Fünf-Sterne-Bewegung haben schon angekündigt, dass sie der Regierung Cottarelli nicht zustimmen werden. Auch die Forza-Italia von Ex-Premier Silvio Berlusconi will sie nicht stützen. Was Neuwahlen zum frühestmöglichen Termin – Cottarelli: „nach August“ – unvermeidlich macht.

Machtprobe der Euro-Gegner

Bei der Machtprobe zwischen dem Staatspräsidenten und den Populistenführern Salvini und Di Majo ging es um den Euro, die EU und um Deutschland. Denn der von den Populisten zum Wirtschaftsminister auserkorene 81-jährige Wirtschaftsprofessor und ehemalige Industrieminister Paolo Savona ist als scharfer Euro-Gegner und Deutschland-Hasser bekannt.

2015 hat er einen Plan für Italiens Austritt aus dem Euro ausgearbeitet. Über Deutschland schreibt er in seinen demnächst erscheinenden Erinnerungen: „Deutschland hat die Sicht seiner Rolle in Europa seit dem Ende des Nazismus nicht geändert, wenn es auch die Idee aufgegeben hat, diese militärisch aufzuzwingen.“ Den Euro nennt er „Deutschlands Käfig”.

Der Amtsantritt einer italienischen Regierung, die auf Konfrontationskurs zur EU geht, ist nur aufgeschoben.

Ralph Solvee, Commerzbank-Chefvolkswirt

Sowohl die M5S als auch die Lega haben bis vor kurzem noch ein Referendum über den Austritt Italiens aus dem Euro gefordert. Erst im vergangenen Wahlkampf sind sie davon abgerückt. Die Bestimmung Savonas zum Wirtschaftsminister war als Kampfansage an EU und Eurozone gedacht, urteilt die Neue Zürcher Zeitung: „Entweder ihr hebt die Budgetdisziplin auf und gewährt Italien einen Schuldenschnitt, oder wir verlassen den Euro.“ Dem Erpressungsmanöver hat sich Staatspräsident Mattarelli in den Weg gestellt.

Die Populisten im Aufwind

Womöglich haben es Salvini und Di Maio ganz bewusst auf das Scheitern ihrer Koalitionsregierung angelegt, um einen neuen Wahlgang zu erzwingen. Umfragen zufolge kann vor allem die Lega mit einem starken Stimmenzuwachs von 17 auf bis zu 25 Prozent rechnen. Auch ein Omen: In einer weiteren Umfrage vom vergangenen Donnerstag sprachen sich etwa 60 Prozent der Wähler für die nun gescheiterte Regierung Conte aus.

Solange es nicht das OK aus Berlin, Paris oder Brüssel gibt, kann in Italien keine Regierung gebildet werden.

Matteo Salvini, Lega-Chef

Lega-Chef Salvini gilt derzeit als Italiens populärster Politiker. Die M5S wird mit wohl wieder um 30 bis 33 Prozent stärkste Partei bleiben. Die sozialdemokratische Partito Democratico (PD) und Berlusconis Forza Italia müssen mit weiteren Einbußen rechnen.

De facto Referendum über den Euro

Im bevorstehenden Wahlkampf wird es vor allem um Italiens Rolle in EU und Eurozone gehen, sagen Beobachter voraus und sprechen schon vom „de-facto-Referendum über den Euro“. Lega und M5S heizen die Stimmung an. „Solange es nicht das OK aus Berlin, Paris oder Brüssel gibt, kann in Italien keine Regierung gebildet werden“, tönt Lega-Chef Salvini und denunziert Staatspräsident Mattarella als Befehlsempfänger auswärtiger Mächte: „Wir sind nicht die Sklaven der Deutschen oder Franzosen.“

Der Wahlkampf dürfte zum Plebiszit über den Euro werden.

Neue Zürcher Zeitung

Wie das ausgeht, ist ungewiss: Bei den Wählern wächst die Bitterkeit über zehn Jahre lange Stagnation, Arbeitslosigkeit und wachsende Armut. Die nationalistischen Töne von M5S und Lega finden Zustimmung. Salvini: „Die nächsten Wahlen werden eine Volksabstimmung sein: Volk und echtes Leben gegen die alte Kaste.“