Skandal in Österreich
Zwei Wochen vor der Parlamentswahl in Österreich kommen die Sozialdemokraten unter Druck: SPÖ-Wahlkämpfer haben eine Schmutzkampagne gegen ÖVP-Chef und Außenminister Sebastian Kurz lanciert. SPÖ-Bundeskanzler Cristian Kern will nichts gewusst haben.
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Skandal in Österreich

Zwei Wochen vor der Parlamentswahl in Österreich kommen die Sozialdemokraten unter Druck: SPÖ-Wahlkämpfer haben eine Schmutzkampagne gegen ÖVP-Chef und Außenminister Sebastian Kurz lanciert. SPÖ-Bundeskanzler Cristian Kern will nichts gewusst haben.

Das ist eine üble Wahlkampfgeschichte: Über ein halbes Jahr lang haben Österreichs Sozialdemokraten den „international tätigen Experten für Negativ-Kampagnen“ Tal Silberstein aus Israel beschäftigt. SPÖ-Chef Christian Kern soll ihn selber eingestellt haben. Das berichtete schon im Oktober 2016 die Wiener Tageszeitung Die Presse.

Eingefädelt haben soll das Engagement des Wahlkampf-Gurus Ex-SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer, der „als einer der engsten Berater von Kern gilt“. Silberstein sollte „für die SPÖ Vergangenheit und Privatleben von ÖVP-Spitzenkandidat Kurz durchleuchten“, schreibt jetzt wieder Die Presse. Interessant: Zu dem Zeitpunkt war von vorgezogenen Nationalratswahlen noch keine Rede. Jetzt stellt sich heraus, dass es bei bloßem Negativ-Wahlkampf nicht geblieben ist. Silberstein hat für die SPÖ einen regelrechten Schmutzwahlkampf betrieben – unter falscher Flagge.

Verleumdung aus dem SPÖ-Quartier

Monatelang wurden aus Silbersteins Büro zwei anonyme facebook-Seiten betrieben, die beide ÖVP-Chef Sebastian Kurz schaden sollte. Die eine, „Die Wahrheit über Sebastian Kurz“, sollte nach rechten Urhebern aussehen, die andere, „Wir für Sebastian Kurz“, nach begeisterten Kurz-Anhängern. Auf beiden facebook-Seiten wurden rassistische und antisemitische Inhalte verbreitet und Kurz damit aufs übelste verunglimpft, ganz besonders von seinen angeblichen Fans.

Am vergangenen Wochenende enthüllten nun die Wochenzeitung Die Presse am Sonntag und das Wiener Nachrichtenmagazin Profil, dass beide Seiten von Kanzlerberater Silberstein und seinem Team für die SPÖ entworfen und mit Inhalten gefüllt worden waren. Eine Schockermeldung 14 Tage vor der Wahl am 15. Oktober.

Kern und die SPÖ wollen nichts gewusst haben

Natürlich wollen Kern und die gesamte SPÖ-Spitze von nichts gewusst haben. Um den Schaden für die SPÖ zu begrenzen, trat Wahlkampfchef und Parteigeschäftsführer Georg Niedermühlbichler sogleich zurück. Silberstein habe ohne Wissen der Parteispitze eine „Parallelstruktur“ geschaffen, hieß es. Kern: „Unser Vertrauen wurde missbraucht.“ Jetzt soll Interims-Geschäftsführer Christoph Matznetter durch die Bücher gehen und für Aufklärung sorgen.

Unser Vertrauen wurde missbraucht.

Christian Kern, Bundeskanzler und SPÖ-Chef

Tatsächlich hatte sich die SPÖ am vergangenen 14. August von Silberstein getrennt. Weil der in Israel wegen Korruptions- und Geldwäschevorwürfen vorübergehend festgenommen worden war. „Wir haben ihn gefeuert“, erklärte Kern damals und gab auch zu, dass es für die SPÖ ein Fehler gewesen sei, sich mit Silberstein einzulassen. Jetzt ein Problem für die SPÖ: Die beiden facebook-Seiten liefen trotzdem weiter. Wer hat sie die folgenden sechs Wochen betrieben und das Team bezahlt?

SPÖ-Chef Kern zeigt auf die ÖVP

Und da wird die Schmutzkampagne richtig schmutzig: Bundeskanzler Kern deutete im Fernsehen allen Ernstes an, die ÖVP könnte darin verwickelt sein. SPÖ-Aufklärer Matznetter meint gar, dass die ÖVP Silbersteins Team nach dessen Rauswurf fliegend übernommen und finanziert haben könnte, berichtet Die Presse – und kann die infame Behauptung sogleich widerlegen: Dem Blatt liegen Dokumente vor, die belegen sollen, dass SPÖ-Wahlkämpfer Paul Pöchhacker die facebook-Seiten samt Autoren-Team von Silberstein übernommen und weiterbetrieben habe.

Wenn es so etwas gibt, dann ist das ohne mein Wissen passiert.

Georg Niedermühlbichler, SPÖ-Bundesgeschäftsführer

Laut Presse ist oder war − nach den Enthüllungen hat die SPÖ ihn suspendiert − Pöchhacker Teil der dreiköpfigen SPÖ-Wahlkampfleitung und bis Mitte August die Schnittstelle zwischen Parteiführung und Silberstein und dessen Team. Nach der Verhaftung Silbersteins und dessen SPÖ-Rauswurfes soll Pöchhacker das Team angewiesen haben, die facebook-Seiten weiter zu betreiben, damit da nur kein Zusammenhang hergestellt und die SPÖ in Verdacht geraten könnte.

Wer hat seit August gezahlt?

Inzwischen hat sich auch Silberstein wieder gemeldet, im Magazin News. SPÖ-Chef Kern habe von der Sache nichts gewusst, so der Negativ-Wahlkampf-Experte. Ein „Maulwurf“ in seinem Team, also ein Sympathisant einer anderen Partei, müsse seine Kampagne an die Öffentlichkeit gebracht haben, so Silberstein.

Das facebook-Team will Silberstein aus seinem SPÖ-Honorar von rund 400.000 Euro finanziert haben. Was nicht die Frage beantwortet, wer denn die letzten sechs Wochen für die Kosten aufgekommen ist. Der zurückgetretene SPÖ-Geschäftsführer Niedermühlbichler hat ausgeschlossen, dass das Geld aus der Parteizentrale gekommen ist, schreibt Die Presse: „Er konnte aber nicht ausschließen, dass dafür Geldmittel von parteinahen Vereinen oder Firmen aufgewendet wurden.“

Komplettversagen der SPÖ-Parteiführung

Da werden noch weitere schmutzige Details herauskommen. Für die SPÖ sieht es in jedem Fall übel aus kurz vor der Wahl. „Die SPÖ muss sich darauf einstellen, eine Niederlage zu verwalten, die ein historisches Ausmaß erreichen könnte“, kommentiert die Wiener Tageszeitung Der Standard. Als Parteichef und Spitzenkandidat sei Kern dafür verantwortlich, was in seinem Apparat passiere – auch wenn er nichts davon gewusst haben solle. Dass eine derartige Kampagne ins Laufen komme und sich verselbständige, ohne dass maßgebliche Entscheidungsträger in der Partei davon gewusst hätten, sei nur „bedingt glaubwürdig“, so das Blatt: „Selbst wenn es so wäre: Das ist ein Komplettversagen der Parteiführung und der Wahlkampfleitung.“

Dass eine derartige Kampagne ins Laufen kommt und sich verselbständigt, ohne dass maßgebliche Entscheidungsträger in der Partei davon gewusst haben, ist nur bedingt glaubwürdig.

Der Standard

27 Prozent haben jüngste Umfragen der SPÖ vorausgesagt, 34 Prozent für die ÖVP und 25 für die FPÖ – allerdings vor Bekanntwerden des SPÖ-Wahlkampfskandals.