Washingtons Warnung
Pjöngjangs Test einer Wasserstoffbombe verändert die Lage auf der koreanischen Halbinsel: Washington warnt vor weiteren nordkoreanischen Drohungen. Südkoreas Geheimdienst erwartet schon in den nächsten Tagen Nordkoreas nächsten Raketentest.
Nordkorea

Washingtons Warnung

Pjöngjangs Test einer Wasserstoffbombe verändert die Lage auf der koreanischen Halbinsel: Washington warnt vor weiteren nordkoreanischen Drohungen. Südkoreas Geheimdienst erwartet schon in den nächsten Tagen Nordkoreas nächsten Raketentest.

Eine nordkoreanische Wasserstoffbombe – und eine amerikanische Warnung, so ernst wie noch nie. Das ist der letzte Stand der Zuspitzungen auf der koreanischen Halbinsel.

Es war wohl tatsächlich eine thermonukleare Wasserstoffbombe, die Pjöngjang am vergangenen Sonntag im Nordosten Nordkoreas gezündet hat. Das lesen kalifornische Seismografen aus Messungen und Berechnungen der Sprengkraft der Testbombe ab – 300 Kilotonnen – 20 Mal so stark wie alle Atomwaffen, die die Nordkoreaner je getestet haben.

Wasserstoffbombe und Interkontinentalreketen

Tags zuvor hatte sich Diktator Kim Jong Un neben einem Sprengsatz mit der für Wasserstoffbomben typischen Erdnussform abbilden lassen. Er soll klein genug sein, um in den Sprengkopf einer Interkontinentalrakete zu passen, sagen die Nordkoreaner.

Was die Sache aus Washingtoner Sicht noch bedrohlicher macht: Pjöngjang hat in diesem Jahr schon achtzehn Mal Raketen getestet, darunter mindestens zwei Interkontinentalraketen, die auch amerikanisches Territorium erreichen könnten – eine von ihnen am 4. Juli, dem amerikanischen Nationalfeiertag. Am 29. August ließ Nordkorea eine Mittelstreckenrakete über  Japan hinweg fliegen, ohne den Test vorher angekündigt zu haben – eine besonders gefährliche Provokation.

Ab jetzt wird es militärisch

Und jetzt eine Wasserstoffbombe. Was Washington zu einer Warnung veranlasst hat, die so noch nicht zu hören war. Nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates in kleinstem Kreis, in der es vor allem um militärische Optionen gegangen sein soll, trat nicht Präsident Donald Trump oder sein Pressesprecher vor dem Weißen Haus vor die Presse, sondern Verteidigungsminister James Mattis, begleitet von Generalstabschef Joseph Dunford. Was wohl bedeuten sollte: Ab jetzt wird es militärisch.

Jede Bedrohung wird auf eine massive militärische Antwort treffen.

US-Verteidigungsminister James Matthis

Mattis‘ sorgsam vorbereitete, abgelesene Botschaft war danach: „Jede Bedrohung der Vereinigten Staaten oder seiner Territorien, einschließlich Guams oder unserer Verbündeten wird auf eine massive militärische Antwort treffen, eine Antwort, die so effektiv wie überwältigend sein wird.“

Kim Jong-Un müsse sehr ernst nehmen, dass der UN-Sicherheitsrat gemeinsam und einstimmig die Gefahr festgestellt habe, die von Nordkorea ausgehe und ebenso einstimmig auf der Entnuklearisierung der koreanischen Halbinsel bestehe, so der US-Verteidigungsminister. Matthis weiter: „Wir wollen nicht die totale Vernichtung eines Landes, nämlich Nordkorea, aber wie ich gesagt habe, wir haben viele Optionen, sie herbeizuführen. Vielen Dank, Ladies and Gentlemen.“

Kein „könnte“, kein „vielleicht“

Die Wahrscheinlichkeit für einen amerikanischen Schlag gegen Nordkorea sei deutlich gestiegen, liest die US-Politikzeitschrift Foreign Policy aus Matthis‘ Auftritt und Worten heraus: kein „könnte“, kein „vielleicht“, sondern eine Ankündigung. Der Begriff „threat“ – Drohung – nehme Bezug auf Artikel 51 der UN-Charta, der Maßnahmen zur Selbstverteidigung erlaube. Auch Matthis‘ Hinweis auf die Einstimmigkeit des UN-Sicherheitsrats enthalte eine klare Warnung. Seine Schlussbemerkung, dass Washington „nicht die totale Vernichtung” Nordkoreas wolle, solle im Falle eines Militärschlags Peking beruhigen, glaubt Foreign Policy: Eine amerikanische Invasion Nordkoreas stehe nicht auf dem Programm.

Das Regime zeigt sich von den Warnungen unbeeindruckt: Dem südkoreanischen Geheimdienst zufolge bereitet Pjöngjang den Abschuss einer weiteren Interkontinentalrakete vor, die am 9. oder 10. September – den Gründungstagen von Nordkorea und seiner kommunistischer Partei – im Nordpazifik niedergehen soll.

Die Kim-Familie will die Wiedervereinigung

Was bezweckt Nordkorea mit seiner rasenden Atom- und Raketenrüstung? Nur Abschreckung zum Schutz und Erhalt von Staat und Regime, lautet die übliche Antwort. Vor dem US-Kongress hatte der amerikanische Korea-Experte Nicholas Eberstadt im vergangenen Januar eine andere Erklärung: Die Atomwaffen seien Teil der nordkoreanischen Strategie, das Bündnis zwischen den USA und Südkorea aufzubrechen. Mit einem bestimmten Grund, so der Korea-Experte: Die Wiedervereinigung der koreanischen Halbinsel sei das beständige Ziel der Kim-Familie seit Beginn des Korea-Krieges 1950. Nichts weise darauf hin, dass sie es aufgegeben habe.

Vielleicht wartet Kim nur auf den richtigen Tag, um die gewaltsame Wiedervereinigung mit Südkorea anzukündigen.

John B. Wolfsthal, Ex-Sonderberater von Präsident Barack Obama

1950/53 haben die USA die Wiedervereinigung Koreas unter nordkoreanischen stalinistischen Vorzeichen nur knapp verhindern können. Der weithin vergessene Koreakrieg hat damals etwa eine Million Südkoreaner, 2,5 Millionen Nordkoreaner, eine Million Chinesen und fast 40.000 US-Soldaten das Leben gekostet. Pjöngjangs Atomrüstung verändert derzeit alle strategischen Rechnungen auf der koreanischen Halbinsel, meint in der Internetzeitschrift Politico auch der ehemalige Sonderberater von Präsident Barack Obama für Korea- und Atomabrüstungsfragen, John B. Wolfsthal: „Vielleicht wartet Kim nur auf den richtigen Tag, um die gewaltsame Wiedervereinigung mit Südkorea anzukündigen und wettet darauf, dass wir dann nichts tun, um ihm in die Quere zu kommen.“