Vor dem Beginn der Brexit-Verhandlungen: Winston Churchill blickt auf den Big Ben und sein Parlament. (Bild: H.M.)
Ausland

Bayern will weichen Brexit

Das Exportland Bayern will nach dem Brexit enge Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien erhalten sehen. Vor dem EU-Sondergipfel am kommenden Samstag hat die Staatsregierung Bayerns Positionen zu den bald beginnenden Brexit-Verhandlungen formuliert. Großbritannien ist Bayerns zweitwichtigster Handelspartner.

Die Brexit-Uhr tickt: Wenn nichts Unvorhergesehenes geschieht, wird Großbritannien spätestens am 29. März 2019 nicht mehr EU-Mitglied sein. Am kommenden Samstag wird ein EU-Sondergipfel – ohne Großbritannien – die Leitlinien für die Brexit-Verhandlungen formulieren und beschließen. Sie sollen die Grundlage für das Verhandlungsmandat der EU-Kommission sein.

Keine Bestrafung Großbritanniens

Auf der Kabinettssitzung am Dienstag hat Bayerns Ministerrat die Standpunkte des Freistaates zur Abwicklung des Brexit und zum künftigen Verhältnis zu Großbritannien festgelegt. Europaministerin Beate Merk und die betroffenen Ministerien wurden beauftragt, die bayerischen Anliegen auf Bundes- und europäischer Ebene in die Brüsseler Vorbereitungen für die Brexit-Verhandlungen einfließen zu lassen.

Bayern ein vitales Interesse daran, die engen Beziehungen zum Vereinigten Königreich zu erhalten.

Beate Merk, Europaministerin

„Als eine der wirtschaftsstärksten Regionen Europas mit engen Beziehungen zum Vereinigten Königreich hat Bayern ein vitales Interesse daran, die engen Beziehungen zum Vereinigten Königreich zu erhalten“, betonte Ministerin Merk. Das gelte für die Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen ebenso wie für den wirtschaftlichen Bereich. Denn sollte es im Zuge des Brexit zu wirtschaftlichen Verwerfungen kommen, würde sich dies sofort auf Arbeitsplätze in Bayern auswirken. „Auch wenn wir die Entscheidung der britischen Bevölkerung bedauern, ist es jetzt Aufgabe der europäischen und der britischen Politik, die negativen Konsequenzen des Brexit möglichst zu minimieren“, so Merk. Aus bayerischer Sicht sollten die Verhandlungen daher nicht mit dem Ziel einer „Bestrafung“ des Vereinigten Königreichs oder seiner Bevölkerung für die getroffene Entscheidung geführt werden. Die Ministerin weiter: „Davon würde niemand profitieren. Es liegt vielmehr im Interesse aller, möglichst rasch Rechts- und Planungssicherheit zu schaffen und eine für alle Seiten akzeptable Anschlussregelung zu finden. Das geschieht am besten durch zügige, pragmatische und undogmatische Verhandlungen.“

Es ist jetzt Aufgabe der europäischen und der britischen Politik, die negativen Konsequenzen des Brexit möglichst zu minimieren.

Beate Merk

In einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel wird auch Ministerpräsident Horst Seehofer für pragmatische Brexit-Verhandlungen mit Großbritannien werben.

Was für Bayern wichtig ist

  • Marktzugang: Im Interesse der bayerischen Wirtschaft sollten möglichst geringe Hindernisse für Industrie und Handel aufgebaut werden. Dies betrifft insbesondere den Marktzugang von EU-Produkten nach Großbritannien. Gleichzeitig darf aber das bestehende Schutzniveau der EU nicht unterlaufen werden.
  • Innere Sicherheit: Im Bereich der Inneren Sicherheit soll das Vereinigte Königreich weiterhin an der Europol-Kooperation beteiligt werden. Sonst sind erhebliche Informationsverluste bei der Terrorismusbekämpfung zu befürchten.
  • Forschung und Wissenschaft: Aufgrund der engen Verflechtung im Bereich von Forschung und Wissenschaft spricht sich die Staatsregierung für eine weitere Beteiligung des Vereinigten Königreichs am EU-Forschungsrahmenprogramm „Horizon 2020“ aus.
  • Bestandsschutz: Bereits erworbene Rechtspositionen sowohl von Bürgerinnen und Bürgern als auch von Unternehmen sollen Bestandsschutz erhalten. So sind Regelungen zum Aufenthaltsrecht für EU-Bürger in Großbritannien oder zur weiteren Tätigkeit der Unternehmen, die bislang von der Niederlassungsfreiheit Gebrauch gemacht haben, erforderlich.

Bayerns zweitgrößter Exportmarkt

Für Bayern steht bei den Brexit-Verhandlungen und bei der Festlegung des künftigen Verhältnisses zwischen EU und Großbritannien viel auf dem Spiel. Großbritannien ist nach den USA Bayerns zweitgrößter Exportmarkt: Im Jahr 2015 beliefen sich die bayerischen Exporte nach Großbritannien auf 15,5 Milliarden Euro (2016: 14,9). Das waren etwa 8,6 Prozent aller Exporte des Freistaats. Umgekehrt führte Bayern aus Großbritannien Waren im Wert von 5,6 Milliarden Euro ein, was etwa 3,5 Prozent der bayerischen Gesamteinfuhren entsprach. Daraus ergab sich ein beachtlicher Handelsbilanzüberschuss im Wert von fast 10 Milliarden Euro, besonders bei Kraftwagen und Maschinen. Wichtig: Jedes fünfte in Deutschland gebaute Auto wird in Großbritannien zugelassen.

Auch bei den Investitionen ist die Verbindung zwischen der größten und der zweitgrößten Wirtschaft der Europäischen Union deutlich sichtbar: Im Jahr 2015 wurden elf Prozent aller deutschen Direktinvestitionen im Ausland in Großbritannien getätigt. Umgekehrt stammten 8,1 Prozent aller ausländischen Direktinvestionen in Deutschland – Bayern: 9,7 Prozent – aus Großbritannien. Etwa 460 bayerische Unternehmen sind auf der anderen Seite des Ärmelkanals aktiv.

Deutschland hat ein großes Interesse daran, dass am Ende der Verhandlungen ein umfassendes Freihandelsabkommen bei Gütern und Dienstleistungen steht. Ansonsten könnte Deutschland zu einem Hauptverlierer des Brexit werden.

Ifo-Chef Clemens Fuest

Deutschland habe ein großes Interesse daran, dass am Ende der Brexit-Verhandlungen ein umfassendes Freihandelsabkommen bei Gütern und Dienstleistungen stehe, betonte kürzlich auch der Präsident des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung ifo, Clemens Fuest: „Ansonsten könnte Deutschland zu einem Hauptverlierer des Brexit werden.“ Bayern wäre dann besonders betroffen. Fuest: „Es liegt im Interesse aller Beteiligten, einen Scheidungskrieg zu vermeiden und auch künftig eng zu kooperieren.“