Geert Wilders im niederländischen Parlament. (Foto: Imago/Peter Hilz/ Hollandse Hoogte)
Wahlen

Niederlande vor der Entscheidung

Bei der Parlamentswahl in den Niederlanden am 15. März droht Regierungschef Mark Rutte ein massiver Stimmenverlust. Seine VVD wird wohl dennoch stärkste Fraktion bleiben. Entscheidende Wahlkampfthemen: Wachsender Unmut über die EU und Irritation über mangelnde Integrationsbereitschaft zugewanderter Muslime.

Im niederländischen Wahlkampf dreht sich vieles um den blonden Establishment-Schreck Geert Wilders, um dessen Forderung nach Islam-Verbot und Moslem-Einwanderungsstopp. Dabei gibt es ein größeres Thema: politisch-tektonische Verschiebungen bei der Haltung der Niederländer zu Europa und zur Europäischen Union. Das Land, die Wähler, sie überdenken ihr Verhältnis zur EU. Wohin das führt, ist ungewiss.

Wachsender Unmut über die EU

Eine Zahl macht deutlich, was passiert: Im EU-Gründungsmitglied befürworten heute nur noch wenig über 40 Prozent der Niederländer die Mitgliedschaft in der EU. Das berichtete kürzlich der Brüsseler Ableger der Carnegie Stiftung für Internationalen Frieden. Das Washingtoner Pew Research Center maß im vergangenen Juni noch 51 Prozent niederländische Zustimmung zur EU, was auch nicht viel ist.

Holland in der EU: Mehr zahlen, weniger Einfluss.

Die Zahlen zeigen: Da verfestigt sich ein Trend. Und der ist keineswegs neu. Schon vor zwölf Jahren kam von den Niederländern ein Alarm-Signal: Am 1. Juni 2005 ließen sie den EU-Verfassungsvertrag per Referendum mit klaren 61,5 Prozent Ablehnung scheitern.

Seither ist niederländische EU-Skepsis nur gewachsen. Auch im Ergebnis der am 15. März bevorstehenden Parlamentswahlen wird das wohl wieder sichtbar werden. Es gibt Gründe für den Trend: Gemessen am Bruttosozialprodukt sind die Niederländer mit 3,7 Milliarden Euro die größten Nettozahler der EU. Die Niederländer wissen, dass es dabei nicht bleiben wird: Weil nach dem EU-Abschied der Briten eine 11-Milliarden-Lücke im EU-Haushalt zu schließen ist, wird auch ihre Last steigen.

Gleichzeitig wird es für das größte der sogenannten kleinen EU-Länder immer schwieriger, sich in Brüssel Geltung zu verschaffen. Ohne die Briten, denen die Niederländer immer nahe standen, bräuchte es nach den EU-Regeln der qualifizierten Mehrheit dreizehn kleinere Staaten, um eine Initiative der großen Mitgliedsländer zu stoppen.

Debakel für die Linke

Der wachsende niederländische EU-Unmut spielt Wilders in die Hände: Er zieht gegen den Euro und gegen Brüssel zu Felde, der Austritt aus der EU ist Teil seines nur eine DIN A4-Seite langen Parteiprogramms. Auch wenn seine Partei für die Freiheit (PVV) einer aktuellen Umfrage vom 9. März zufolge wohl doch nicht stärkste Fraktion werden wird: Die zu erwartende Steigerung von 14 auf 23 von insgesamt 150 Parlamentsmandaten käme einem kleinen Wahltriumph gleich. Umso mehr, als der liberalkonservativen VVD von Ministerpräsident Mark Rutte ein Absturz von 41 auf 26 Sitze droht. Größter Verlierer wird wohl die sozialdemokratische PvdA, die damit rechnen muss, von 38 auf elf Mandate fast geviertelt zu werden. „Die Wahlen könnten für die Linke zum Drama werden“, prophezeit denn auch der Chefredakteur der Amsterdamer Abendzeitung NRC Handelsblad.

Die Wahlen könnten für die Linke zum Drama werden.

NRC Handelsblad

Wie anderswo in Europa löst sich auch in den Niederlanden das traditionelle Rechts-Links-Schema auf. Größter Profiteur: Geert Wilders, dem einstige Linkswähler zulaufen. Wilders wirbt denn auch mit klassischen linken Programmpunkten: Rente ab 65, mehr Personal in der Pflege, niedrige Mieten und Steuern. Auch europaweit typisch, aber in den Niederlanden besonders krass: politische Zersplitterung. 28 Parteien treten zur Parlamentswahl an. Weil es keine Prozenthürde gibt, werden wohl über ein Dutzend Parteien im Parlament vertreten sein. Klar ist nur, dass Geert Wilders an keiner Regierung beteiligt sein wird. Keine der anderen Parteien will mit seiner PVV koalieren.

Wachsende Kritik an moslemischer Einwanderung

Aber auch so treibt das Land in Wilders‘ Richtung. Bundeskanzlerin Angela Merkels Grenzöffnung Anfang September 2015 und die dadurch ausgelöste Migranten-Völkerwanderung über die sogenannte Balkanroute hat die Niederländer erschreckt. Ende 2015 nannten 65 Prozent der Niederländer in der alljährlichen Umfrage des Sozialen und Kulturellen Planungsbüros (SCP) – eine Regierungsbehörde – „die Flüchtlinge“ als ihre größte Sorge. Aufschlussreich: Seit Beginn der Umfrage 2008 war es noch nie vorgekommen, dass mehr als 30 Prozent der Befragten ein gemeinsames großes Angst-Thema hatten.

Das Migranten-Thema hat sich sofort mit seit langem wachsender Kritik an moslemischer Einwanderung und mangelnder Integration vieler marokkanisch- und türkischstämmiger Einwanderer verbunden. Zwei brutale Morde an prominenten Islamkritikern – Pim Fortuyn 2002 und Theo van Gogh 2004 – haben das Land vor bald 15 Jahren schwer getroffen und seither die Debatte über Islam und gescheiterte Integration geprägt. Islamistischer Terror in Frankreich und Belgien hat den Effekt jüngst verstärkt. Auch das ist den Niederländern bewusst: Über 200 Muslime mit niederländischen Pässen sind in den Dschihad nach Syrien und Irak gezogen – pro Kopf der Bevölkerung mehr als aus Großbritannien oder Deutschland.

Wilders will den Koran verbieten und alle Moscheen in den Niederlanden schließen lassen.

Seit der Ermordung von Theo van Gogh hat Geert Wilders die grundsätzliche Ablehnung von Islam und Islam-Zuwanderung zu seinem großen Thema gemacht. Mit Erfolg. „Der Islam gehört nicht zu den Niederlanden“, heißt es kurz und bündig in seinem Programm. „Die islamische Ideologie ist womöglich noch gefährlicher als der Nationalsozialismus“, sagt er im Fernsehen. Den Koran vergleicht er mit Adolf Hitlers „Mein Kampf“ und Moscheen mit „Nazi-Tempeln“, in denen täglich zu Hass und Gewalt aufgerufen werde. Wilders: „Wir tun unserem Rechtsstaat einen Gefallen, wenn wir das nicht mehr zulassen.“ Wilders will denn auch den Koran verbieten und alle Moscheen in den Niederlanden schließen lassen.

Mark Rutte: Wer sich nicht anpasst, soll gehen

In den Niederlanden klingt Wilders kaum noch furchtbar radikal. Denn die anderen Parteien ziehen nach. Besonders sichtbar wird das bei Premierminister Rutte, Wilders schärfstem Konkurrenten. Pointe am Rande: Wilders kommt ursprünglich aus Ruttes liberalkonservativer VVD. Wer sich nicht anpassen wolle „und unsere Werte kritisiert“, der solle „einfach weggehen“, schrieb Rutte Ende Januar auf einer ganzen Zeitungsseite in einem Brief an die Niederländer. Rutte schrieb, ohne den genauen Adressaten zu nennen: „Wenn Ihr dieses Land so fundamental ablehnt, dann wäre es mir lieber, Ihr geht.“ Es ginge jetzt darum, so der Premier, „glasklar zu machen, was in unserem Land normal ist und was nicht. Wir müssen unsere Werte aktiv verteidigen“.

Ihr müsst hier nicht sein.

Mark Rutte

Rutte hatte es in seinem offenen Brief vermieden, Ross und Reiter zu benennen. Im Zeitungsinterview mit dem Algemeen Dagblad wies er auf den konkreten Fall eines Busfahrers hin, der sich aus religiösen Gründen weigere, Frauen die Hand zu geben. Rutte wurde deutlich: „Das ist der Grund, warum die Leute sich aufregen. Denn hier ist es die Norm, dass wir uns die Hand geben.“ Rutte weiter: „Ich habe für jeden die gleiche Botschaft: Wenn es Euch hier nicht gefällt, dann verlasst das Land. Ihr habt doch die Wahl, oder? Wenn Ihr in einem Land lebt, wo Euch die Art und Weise, wie wir hier miteinander umgehen, verrückt macht, dann habt Ihr die Wahl. Geht fort. Ihr müsst hier nicht sein.“ Alle haben sofort verstanden, wen Rutte meinte. In den Umfragen hat sich seine VVD seither an die Spitze geschoben.