Calais und kein Ende der Migrantenkrise
Ende Oktober hat die französische Regierung das riesige wilde Migrantenlager bei Calais räumen lassen. Doch jetzt drängen wieder illegale Zuwanderer in die Hafenstadt. Ein französischer Politiker schlägt vor: Die EU muss gegen Libyen eine Seeblockade verhängen.
Migration

Calais und kein Ende der Migrantenkrise

Ende Oktober hat die französische Regierung das riesige wilde Migrantenlager bei Calais räumen lassen. Doch jetzt drängen wieder illegale Zuwanderer in die Hafenstadt. Ein französischer Politiker schlägt vor: Die EU muss gegen Libyen eine Seeblockade verhängen.

„Calais, Ventimiglia, Paris … In den drei geographischen Zonen, wo sich die Migrationsspannungen kristalisieren, treibt die Lage langsam auf ein neues Chaos zu.“ So beginnt die Pariser Tageszeitung Le Monde einen Bericht über die wieder aufflammende Flüchtlingskrise und die schon jetzt überforderten staatlichen Einrichtungen. Dabei neigt das Pariser Links-Blatt beim Thema Migranten und Migrationskrise sonst eher zu Beruhigung und Abwieglung.

Immer mehr Migranten auf dem Bahnhof von Ventimiglia

Le Monde

In der italienischen Grenzstadt Ventimiglia an der Côte d’Azur schlafen wieder immer mehr Migranten auf dem Bahnhof, berichtet Le Monde. Die zumeist schwarzafrikanischen Zuwanderer versuchen von dort aus über die Schluchten des Grenzflüsschens Roya das französische Département Alpes-Maritimes zu erreichen.

Migrantenstau in Paris

Offenbar gelingt vielen die nicht ungefährliche Passage. Denn in Calais und Paris spitzt sich die Lage wieder zu. Erst im vergangenen November waren in der Hauptstadt mehrere wilde Migrantenlager mit mehreren Tausend Personen geräumt worden. Doch jetzt kommen jeden Tag wieder etwa 70 Migranten in Paris an. Das im vergangenen Jahr eingerichtete Aufnahmelager für 400 Personen im schönen 18. Pariser Arrondissement (Montmartre und Sacré-Coeur) ist bereits überfüllt. Was daran liegt, dass die Regierungsbehörden die Migranten nicht im nötigen Umfang und nicht schnell genug auf reguläre Asylbewerber-Zentren weiterleiten – oder nicht weiterleiten können.

Die Stadt will neue wilde Migranten-Lager in den Straßen von Paris um jeden Preis verhindern.

Die Regierung will offenbar die Migranten dem Dublin-Abkommen zufolge verstärkt in die EU-Erstaufnahmeländer zurückschicken, also vor allem nach Italien. Weil das nicht gelingt, sind auch die für diese „Dublin-Migranten“ vorgesehenen Lager überfüllt. Daher der Stau in Paris. Folge: In den Straßen von Paris, vor allem im Norden und Nordosten der Stadt, entstehen wieder kleine wilde Lager. Weil die Stadt das um jeden Preis verhindern will, blockiert die Polizei  die Lagerstätten mit großen sperrigen Steinen und geht gegen Helfer vor, wenn sie vor oder in solchen wilden Camps Lebensmittel verteilen.

Calais und kein Ende

Noch bedrohlicher lesen sich die Nachrichten aus der nordfranzösischen Hafenstadt Calais. Ende vergangenen Oktober war dort endlich das Dschungel genannte, riesige wilde Lager mit in Spitzenzeiten bis zu 10.000 Migranten geräumt worden. Innenminister Bernard Cazeneuve – er ist jetzt Premier – hatte den Bewohnern von Calais damals eine absolute Null-Toleranz-Politik versprochen, um die Rückkehr von Migranten zu verhindern. Trotzdem kommen sie jetzt wieder, um irgendwie den Sprung über den Ärmelkanal nach England zu schaffen.

„Allmählich kehren die Migranten nach Calais zurück“, titelte Ende Januar auch die Pariser Tageszeitung Le Figaro. Polizeiquellen sprechen von etwa 15 Migranten-Ankünften am Tag. Polizeikräfte müssen täglich 50 bis 70 vorläufige Festnahmen vornehmen – um dann die Migranten wieder irgendwo in die freie Natur zu entlassen. Die Polizei sei schon wieder überfordert, so ein Vertreter der Polizeigewerkschaft.

Vorschlag: Eine See-Blockade vor der libyschen Küste

Ein Kenner der Situation spricht schon von 200 bis 400 Migranten in Calais. Es seien 100, sagt dagegen die Préfecture des Département Pas-de-Calais, und 60 bis 70 Prozent von ihnen kämen aus dem großen Lager Grande-Synthe mit etwa 1400 Migranten weiter nördlich bei Dünkirchen und aus anderen kleinen wilden Lagern in der Umgebung. Die Stadt wehrt sich juristisch gegen Pläne der Kirche zur Aufstellung öffentlicher Duschen und geht gegen Helfer vor.

Das Migranten-Frühjahr könnte untragbar werden.

Regionalpräsident Xavier Bertrand (Les Républicains)

Äußerst kritisch sieht der Präsident der neuen nordfranzösischen Großregion Hauts-de-France, der Republikaner Xavier Bertrand, die aktuelle und die sich anbahnende Situation: „Ich bin die Stadt abgegangen. An den Bushaltestellen und auf den Plätzen sind die Migranten tatsächlich zurück.“ Wenn es Migranten und Schleppern also in den Wintermonaten gelungen sei, sich neu zu gruppieren, „dann könnte das Migranten-Frühjahr untragbar werden“. Bertrand: „Wir fordern eine Null-Toleranz-Politik gegenüber illegalen Zuwanderern.“

Neue Strategie gegen Zuwanderer

Die Regierung habe zwar den „Dschungel“ aufgelöst, aber das zugrunde liegende Problem nicht gelöst, sagt der Regionalpräsident und fordert einen Strategiewechsel beim Schutz der EU-Außengrenzen. Im Interview mit Le Figaro macht Bertrand einen weiterführenden Politik-Vorschlag: „Erst jetzt fängt die Europäische Kommission an, über eine Idee nachzudenken, die ich seit Anfang der Krise vorgetragen habe: Eine See-Blockade vor der libyschen Küste.“ Das könnte funktionieren.