Linkes Sandmännchen in Paris
Frankreichs Sozialisten haben den Parteilinken Benoît Hamon zum Kandidaten für die Präsidentschaftswahl gekürt. Die Regierungspartei vollzieht damit einen radikalen Bruch mit der Reformpolitik von Staatschef François Hollande. Der Linksaußen fordert ein bedingungsloses Grundeinkommen, hemmungslose Schuldenpolitik und ein europäisches Linksbündnis gegen Brüssel und Berlin.
Frankreich

Linkes Sandmännchen in Paris

Frankreichs Sozialisten haben den Parteilinken Benoît Hamon zum Kandidaten für die Präsidentschaftswahl gekürt. Die Regierungspartei vollzieht damit einen radikalen Bruch mit der Reformpolitik von Staatschef François Hollande. Der Linksaußen fordert ein bedingungsloses Grundeinkommen, hemmungslose Schuldenpolitik und ein europäisches Linksbündnis gegen Brüssel und Berlin.

Frankreichs Präsidentschaftswahlkampf bleibt ein Wahlkampf der Überraschungen: Im November setzte sich in der Stichwahl um die Präsidentschaftskandidatur der konservativen Partei Les Républicains der zunächst auf Rang Vier gelistete ehemalige Premier Francois Fillon durch. Am 1. Dezember verzichtete der sozialistische Präsident François Hollande darauf, sich überhaupt zur Wiederwahl zu stellen – in Frankreichs Fünfter Republik der erste Staatschef, der von sich aus die Hoffnung auf eine zweite Amtsperiode aufgegeben hat. Jetzt folgt die dritte Überraschung: Für die Sozialisten geht am 23. April nicht, wie lange allgemein erwartet, Hollandes langjähriger Premierminister Manuel Valls ins Rennen, sondern dessen Linksaußen-Konkurrent Benoît Hamon.

Frondeur gegen Hollande und Valls

Das klare Ergebnis der Stichwahl um die sozialistische Präsidentschaftskandidatur – knapp 50 Prozent für Hamon und 41 Prozent für den Ex-Premier – markiert eine Revanche für Hamon und eine Abrechnung der sozialistischen Parteibasis mit dem ungeliebten Präsident Hollande und seiner allgemein als gescheitert betrachteten Amtszeit. Vor zweieinhalb Jahren hatte der damalige Bildungsminister Hamon erst öffentlich die Wirtschaftspolitik von Präsident Hollande scharf kritisiert – der Präsident habe kein Mandat für eine Sparpolitik – und dann das Kabinett von Premierminister Valls verlassen. Zusammen mit dem damals ebenfalls von Valls gefeuerten Kabinettskollegen, Ex-Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg, hat Hamon dann im Parlament die gut 40 sozialistische Abgeordnete große Fronde gegen Hollande und Valls angeführt und der eigenen sozialistischen Regierung das Regieren denkbar schwer gemacht. Jetzt hat ihn die sozialistische Basis bestätigt und belohnt – Frankreichs Sozialistische Partei rückt nach ganz weit links. Der Partei staht damit eine Zerreißprobe bevor. Wie die ausgeht, ist offen. Das Wort von der Spaltung ist schon gefallen.

Bedingungsloses Grundeinkommen von 750 Euro

„Sandmännchen“ hat Valls im Vorwahlkampf den 49-jährigen Hamon genannt. Dessen utopistisches Programm und seine Rede von der „wünschenswerten Zukunft“ sind danach. Weil die digitale Revolution Arbeit überflüssig machen oder jedenfalls viele Arbeitsplätze kosten werde, verkündet Hamon schon das Ende der Arbeitsgesellschaft und zieht die Konsequenzen: Die Arbeitszeit soll von 35 auf 32 Stunden weiter verkürzt und Roboter-Arbeit besteuert werden. Alle Franzosen ab 18 Jahren sollen ein bedingungsloses Grundeinkommen von 750 Euro erhalten. Problem: Das würde bis zu 450 Milliarden Euro kosten, wie ihm sofort vorgerechnet wurde. Hamon will sein Grundeinkommen nun mit einer neuen Vermögens- und Erbschaftssteuer bezahlen – und mit 40 Milliarden Euro aus dem Haushalt.

Alle seit der Krise von 2008 angehäuften Staatsschulden sollen annulliert und alle übrigen Schulden in der EU vergemeinschaftet werden.

Großer europäischer Ärger ist eingeplant: Hamon will den EU-Stabilitätspakt aussetzen und den Verteidigungsetat sowie öffentliche Investitionen über 75 Milliarden Euro aus der Defizit-Obergrenze von drei Prozent herausrechnen. Das würde Paris nach heutiger Rechnung ein jährliches Defizit von 7,5 Prozent erlauben – und in einer fünfjährigen Präsidentschaft Frankreichs Schuldenberg auf 150 Prozent der Wirtschaftsleistung wachsen lassen. Damit nicht genug: Alle seit der Krise von 2008 angehäuften Staatsschulden sollen annulliert und alle übrigen Schulden in der EU vergemeinschaftet und von der Europäischen Zentralbank finanziert werden. Vom ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis ist der französische Linksaußen-Sozialist sogleich bejubelt worden. Hamon spricht vom „totalen Scheitern des französisch-deutschen Direktorats“ in der EU, schimpft auf die vielen „Reisen nach Berlin“ und fordert ein „Bündnis der europäischen Linksparteien“.

Totales Scheitern des französisch-deutschen Direktorats in der EU.

Benoît Hamon

Dazu passt, dass Hamon Wachstumspolitik für irregeleiteten „Kult“ hält und reformieren will. Vom Freihandel will er nichts wissen: Als es um das Ceta-Handelsabkommen mit Kanada ging, hat er die wallonischen Sozialisten unterstützt, die das Abkommen stoppen wollten. Was das europäisch-amerikanische TTIP-Handelsabkommen angehe, so vertrete er die gleiche Haltung wie der neue US-Präsident Donald Trump, schreibt die Pariser Tageszeitung Le Monde.

„Kandidat der Muslimbrüder”

Eine sehr eigene Haltung vertritt Hamon auch, wenn es um die in Frankreich immer heißer diskutierten Themen Einwanderung und Integration geht. Was damit zusammenhängen könnte, dass Hamon im Parlament ausgerechnet das Städtchen Trappes im Département Yvelines südlich von Versailles vertritt: Von 32.000 Einwohnern sind dort etwa 70 Prozent muslimisch. Trappes, so Le Monde, sei eine jener französischen Städte, in denen sich die salafistische Bewegung besonders massiv festgesetzt habe. Presseberichten zufolge sollen allein aus Trappes etwa 50 Dschihadisten nach Syrien und Irak gezogen sein.

Historisch gesehen gab es in den Arbeiter-Cafés keine Frauen.

Benoît Hamon

Im Valls-Lager hat man Hamon allzu große Nachgiebigkeit gegenüber dem radikalen Islam vorgeworfen und Bedenkenlosigkeit, wenn es um Frauenrechte gehe. Tatsächlich wendet sich der Abgeordnete aus Trappes seit langem konsequent gegen Burka- und Schleierverbote. Als es kürzlich darum ging, dass in Cafés in muslimisch geprägten Pariser Banlieues keine Frauen mehr zu sehen seien, tat Hamon das mit der Bemerkung ab: „Historisch gesehen gab es in den Arbeiter-Cafés keine Frauen.“ Im Vorwahlkampf forderte Hamon, man solle endlich aufhören, „den Islam zum Problem für die Republik“ zu erklären. Valls-Anhänger bezeichneten ihn unter der Hand als „den Kandidaten der Muslimbrüder“, schrieb die linke Pariser Tageszeitung Libération. Hamon hat daraufhin seinen sozialistischen Genossen vorgeworfen, sich der Argumente des rechtspopulistischen Front National von Marine Le Pen zu bedienen.

Obligatorische Umverteilung von Migranten auf die ganze EU.

Scharfe Kritik übt Hamon denn auch an der Migrantenpolitik der Regierung von Manuel Valls und fordert, Frankreich könne und müsse sehr viel mehr Migranten aufnehmen. Er tritt für eine obligatorische Umverteilung von Migranten auf die ganze EU ein und will Asylbewerbern schon nach drei Monaten Arbeitserlaubnisse erteilen.

Sechs Linkskandidaten

Mit Hamon gehen am 23. April fünf weitere Linkskandidaten in die erste Runde der Präsidentschaftswahl: Präsident Hollandes ehemaliger Wirtschaftsminister Emmanuel Macron und der Chef der linksradikalen Parti de Gauche, Jean-Luc Mélenchon. Dazu zwei Trotskisten und ein Kandidat der Grünen. Einer aktuellen Umfragen zufolge kann Hamon derzeit mit etwa 15 Prozent der Stimmen rechnen – Platz Vier nach Marine Le Pen (25), Franςois Fillon (22), und Emmanuel Macron (21). Die Sozialisten hätten danach keine Aussicht, in die Stichwahl am 7. Mai zu kommen.