Unpopulärer Populist
Präsident Donald Trump ist fest eingebunden in das System der gegenseitigen Kontrolle von Weißem Haus, Kongress und Oberstem Gerichtshof. Im Kongress verfügt er für mindestens zwei Jahre über eine republikanische Mehrheit. Aber es ist eben nicht „seine“ Mehrheit. Um sie zu disziplinieren, muss er seine Wählerschaft gegen das Establishment mobilisieren, jeden Tag. Der Wahlkampf geht weiter.
US-Präsidentschaft

Unpopulärer Populist

Präsident Donald Trump ist fest eingebunden in das System der gegenseitigen Kontrolle von Weißem Haus, Kongress und Oberstem Gerichtshof. Im Kongress verfügt er für mindestens zwei Jahre über eine republikanische Mehrheit. Aber es ist eben nicht „seine“ Mehrheit. Um sie zu disziplinieren, muss er seine Wählerschaft gegen das Establishment mobilisieren, jeden Tag. Der Wahlkampf geht weiter.

Donald Trump gegen alle. So hat er Wahlkampf geführt. So hat er am 8. November gewonnen. Und so will er als 45. US-Präsident auch regieren. Vielleicht muss er das sogar. Nichts anderes ist die Botschaft seiner knappen, bitteren Rede zur Amtseinführung. Der neue Präsident weiß, dass er das tief gespaltene Land niemals heilen, niemals wird versöhnen können. Nicht er. In seiner Rede hat er es gar nicht erst versucht. Im Gegenteil, er hat zugespitzt, weiter polarisiert, um Anhänger geworben, wie im Wahlkampf.

48 Mal „wir”, 37 Mal „unser” in Trumps Rede.

„Wir“, das war das häufigste Wort in seiner Rede. 48 Mal ist es gefallen, 37 Mal das Possessivpronomen „unser“. Aber gemeint hat Trump damit nicht die Nation, sondern seine Wähler, seine „Bewegung“, wie er es im Wahlkampf nannte und am vergangenen Freitag auf den Stufen des Kapitols  wiederholte. Für sie will er regieren, ihnen will er die Macht „zurückgeben“, sie will er „niemals enttäuschen“. Allen anderen hat er den Kampf angesagt, zuallererst Washingtons politischem Establishment.

Einer gegen alle

Kein Wunder. Denn im Wahlkampf hat Trump nicht nur gegen die Demokraten kämpfen und gewinnen müssen. Sondern ebenso gegen seine eigene republikanische Partei. 16 republikanische Gegenkandidaten musste Trump aus dem Feld schlagen  – und dann das gesamte Establishment an der Parteispitze. Die republikanische Parteiführung hat schließlich ihren Widerstand aufgeben müssen. Aber Trump hat sie nicht auf seine Seite ziehen können, weder bis zum Wahltag, noch seither. „Hostile take over“ – feindliche Firmen-Übernahme haben amerikanische Kolumnisten Trumps Sieg in den republikanischen Vorwahlen genannt. Das war es auch, und die Feindschaft ist geblieben.

Die Presse will ihn wirklich vernichten.

Walter Russell Mead

Trumps Wahlsieg war schließlich auch ein hart erkämpfter Sieg gegen Presse und Fernsehen. Praktisch die gesamte amerikanische Medienlandschaft verabscheut ihn und wird ihn weiter verabscheuen. Manche Journalisten, manche Redaktionen, manche Sender haben ihm regelrechten Krieg erklärt. Aber sie alle haben verloren, gegen jede Erwartung. Für die amerikanische Presse ist Trumps Triumph eine intellektuelle Demütigung sondergleichen, die sie ihm nie verzeihen wird. „Die Presse will ihn wirklich vernichten“, so der US-Politikwissenschaftler Walter Russell Mead im Interview mit der Pariser Tageszeitung Le Figaro. Er übertreibt nicht.

Präsident ohne Partei

So schwach wie Trump war zum Anfang seiner Präsidentschaft wohl noch nie ein US-Präsident. Alle seine Vorgänger konnten beim Einzug ins Weiße Haus auf politische Unterstützung zählen – auf ihre Partei oder den stärkeren Teil davon. Womöglich auf eine Mehrheit in Abgeordnetenhaus oder Senat. Oder, wie Barack Obama, auf die glühende Zuneigung des größeren Teils der Presse.

Trump beginnt seine Amtszeit mit der historisch niedrigen Zustimmungsrate von nur 40 Prozent.

Nicht Donald Trump. Der 45. US-Präsident hat – fast – niemanden, weder in seiner Partei, noch im Kongress. Schon gar nicht in den Medien. Nicht einmal in der Wählerschaft. Er hat zwar die Wahl gewonnen, aber eben keine absolute Wählermehrheit: Trump beginnt seine Amtszeit mit der historisch niedrigen Zustimmungsrate von nur 40 Prozent – Barack Obama kam im Januar 2009 auf 78 Prozent, George W. Bush 2001 auf 62 und Bill Clinton 1993 auf 66 Prozent. So unbeliebt wie Trump hat wohl noch nie ein frisch gewählter Präsident begonnen. Einen „unpopulären Populisten“ nennt ihn das Wochenmagazin The New Yorker.

Hostile take over – feindliche Firmen-Übernahme – haben amerikanische Kolumnisten Trumps Sieg in den republikanischen Vorwahlen genannt. Das war es auch, und die Feindschaft ist geblieben.

Umso wichtiger sind für ihn seine Wähler, seine Bewegung. Er hat nur sie, sonst nichts und niemanden. Das ist auch der Grund, warum Trump und seine Umgebung so wütend reagieren, wenn Bilder oder Zahlen belegen oder suggerieren sollen, die Zahl seiner Anhänger sei kleiner als behauptet. Trump braucht seine ganz persönliche Wählerschaft wie noch nie ein Präsident vor ihm. Darum hat er in seiner Amtseinführungsrede so gesprochen, wie er gesprochen hat – für sie. Wenn manches klang wie von Bernie Sanders, dem sozialistischen Populisten aus dem demokratischen Vorwahlkampf, ist das kein Zufall: Sanders‘ Wähler, soweit sie noch nicht zu ihm gefunden haben, kann er gewinnen, will er gewinnen. Trumps Rede war eben keine „parteiliche Rede“, beobachtet zutreffend die Tageszeitung Chicago Tribune. Kein Wunder: Trump ist ein Präsident ohne Partei. Er hat nur sich selbst und seine Wähler.

Amerika in unkartierten Gewässern

Wie geht es weiter in Washington? Trump ist allein, aber er kann nicht allein regieren. Er ist eingesperrt in das von der Verfassung vorgegebene System der „checks and balances“ – der gegenseitigen Kontrolle von Präsident, Kongress und Oberstem Gerichtshof. Gegen den Kongress kann er nicht regieren, kann er nichts bewegen. Immerhin, zwei Jahre lang, bis zu den nächsten Zwischenwahlen im November 2018, verfügt er über eine republikanische Mehrheit in Abgeordnetenhaus und Senat. Aber nur theoretisch. Denn es ist eine republikanische Mehrheit, aber eben keine Trump-Mehrheit. Interessante Beobachtung der Wochenzeitung The Weekly Standard: Weil Trump kein echter Konservativer ist, sondern Pragmatiker, müssten sich Demokraten im Grunde gut mit ihm arrangieren können. Problem: Dafür hassen sie ihn zu sehr.

Alle Präsidenten mussten ihre Kongressmehrheiten, wenn sie sie denn hatten, disziplinieren. Trump muss das besonders. Er hat dafür nur eine einzige Peitsche: seine Wähler, seine Bewegung. Von den republikanischen Abgeordneten und Senatoren wird Trump nur bekommen, was er will, wenn sie Angst haben vor seinen Wählern. Das könnte sogar funktionieren. Denn bis zum nächsten Wahltag im November 2018 ist es keine lange Zeit.

Die Bewegung geht weiter. Die Arbeit beginnt.

Donald Trump

Dazu muss der Volkstribun Trump seine Anhänger mobilisieren, gegen den Kongress in Stellung bringen, gegen das sogenannte Establishment, gegen die Presse. Trump muss seine Anhänger mitreißen, ihnen immer wieder Grund zu Begeisterung, gar Aufregung bieten. So wie er es in seiner Rede zur Amtseinführung getan hat. Der Wahlkampf muss weiter gehen, auch nach der Wahl. Die Bewegung muss in Bewegung bleiben. Die neugestaltete Webseite des Weißen Hauses startet denn auch mit einem Wahlkampfbild. Trump: „Die Bewegung geht weiter. Die Arbeit beginnt.” Wenn das gelingen soll, wird der neue Präsident seiner Bewegung häufig etwas vorzeigen müssen, nämlich Erfolge. Was nicht unproblematisch ist: Es steckt darin das Potential für Zuspitzungen und politische Konfrontationen.

Noch nie in unseren Leben hatten wir einen politischen Moment wie diesen. Noch nie hatten wir einen Präsidenten wie diesen, der alle Normen, wie wir sie kennen, sprengt. Wir segeln in unkartierten Gewässern.

The Wall Street Journal

Amerika steht eine Präsidentschaft ganz  neuer Art bevor, ahnt die New Yorker Tageszeitung The Wall Street Journal: „Noch nie in unseren Leben hatten wir einen politischen Moment wie diesen. Noch nie hatten wir einen Präsidenten wie diesen, der alle Normen, wie wir sie kennen, sprengt. Wir segeln in unkartierten Gewässern.“

Jemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten

Eines der wichtigsten Wahlkampf-Versprechen Trumps war der Bau einer „großen“ Mauer entlang der 3200 Kilometer langen gemeinsamen Grenze zu Mexiko, um die illegale Einwanderung zu stoppen. „Wirksam, eindrucksvoll, aber auch kostengünstig“ sollte sie sein, und „schön“. Mexiko solle das obendrein auch noch bezahlen. Jetzt macht der neue US-Präsident damit ernst. Vor einem Treffen mit dem mexikanischen Außen- und dem Wirtschaftsminister in Washington twitterte Trump: „Großer Tag in Sachen NATIONALE SICHERHEIT für morgen geplant. Neben vielen anderen Dingen werden wir die Mauer bauen!“ US-Medien berichteten übereinstimmend unter Berufung auf Quellen im Weißen Haus, Trump werde am Mittwoch den Bau der Mauer mit Staatsmitteln anordnen.

Eine weitere Anordnung soll sich demnach gegen sogenannte Zufluchtsstädte richten, deren Verwaltungen nicht gegen Einwanderer ohne Papiere vorgehen. Außerdem will Trump Millionen Einwanderer ohne Aufenthaltsberechtigung abschieben und das Handelsabkommen Nafta neu verhandeln. Unternehmen aus den USA und anderen Ländern, die ihre Produktion nach Mexiko verlegen, drohte er mit hohen Importzöllen. Die mexikanische Regierung machte bereits klar, dass Trumps Mauerpläne und deutliche Abstriche bei Nafta für sie nicht akzeptabel sind. „Den Vereinigten Staaten nutzt es, wenn es Mexiko gut geht und Mexiko nutzt es, wenn es den USA gut geht“, sagte Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto. 80 Prozent der mexikanischen Exporte gehen in die Vereinigten Staaten. Andererseits hängen auch sechs Millionen Arbeitsplätze in den USA vom Handel mit dem Nachbarland ab. Mexiko ist zudem der zweitgrößte Kunde für US-Produkte. Bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung sind die USA auch auf Mexiko angewiesen.

Die Hürden einer Mauer

Der Bau stößt auch auf einige Hürden verschiedener Art: Zum einen die Kosten, die von Trump auf zehn Milliarden, vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) auf bis zu 40 Milliarden Dollar geschätzt werden, wegen der Bau- und Materialkosten sowie der Grundstückskäufe. Teile des Grenzgebiets sind in Privatbesitz, darunter auch 75 Meilen des Indianerstammes Tohono O’odham. Außerdem gebe es laut MIT große geografische Herausforderungen: Wüstengebiete mit Dünen, schroffe Gebirge, der Nationalpark Big Bend in Texas und Flüsse wie der Rio Grande finden sich im Grenzgebiet. Eigens zum Bau der Mauer müssten Straßen errichtet werden – teilweise mitten in Naturschutzgebieten. In seinem ersten Fernsehinterview bei CBS zeigte Trump, dass er diese Fakten wohl kennt: Zwar wollte er grundsätzlich an der Mauer festhalten, in einigen Gebieten könnte es aber auch „etwas Einzäunung“ geben. Die 3144 Kilometer lange Grenze von San Diego am Pazifik bis Brownsville am Golf von Mexiko ist bereits auf rund 1100 Kilometern mit Grenzanlagen verschiedener Bauweise gesichert, meist hohe Stahlstreben, teilweise 6,40 Meter hohe und 1,80 Meter tiefe Doppel-Metallzäune. Die ersten dieser Metallzäune entstanden bereits 1994 unter US-Präsident Bill Clinton, Kosten damals rund sieben Milliarden Dollar. Die US Border Patrol registrierte zwischen 1998 und 2013 insgesamt 6029 Todesfälle von illegalen Migranten an der US-Grenze zu Mexiko. Heute leben schätzungsweise elf Millionen Menschen illegal in den USA. (avd)