Verbrannte Erde in St. Louis
Für Donald Trump ging es in St. Louis um alles oder nichts: Nach der Veröffentlichung eines üblen Sexgerede-Videos stand seine Kandidatur vor der Implosion. In einer Debatte, wie sie das politische Amerika noch nie erlebt hat, konnte er sich behaupten. Beobachter erwarten für die letzten vier Wahlkampfwochen weitere Überraschungen.
US-Wahlkampf

Verbrannte Erde in St. Louis

Für Donald Trump ging es in St. Louis um alles oder nichts: Nach der Veröffentlichung eines üblen Sexgerede-Videos stand seine Kandidatur vor der Implosion. In einer Debatte, wie sie das politische Amerika noch nie erlebt hat, konnte er sich behaupten. Beobachter erwarten für die letzten vier Wahlkampfwochen weitere Überraschungen.

Freundlichkeiten gab es nur in den Schlussminuten der zweiten Kandidaten-Debatte, dieses Mal in St. Louis (Kansas). Bei der Debatte im Town Hall-Format kamen die Fragen aus dem Publikum. Der letzte Fragesteller wollte von beiden Präsidentschaftskandidaten etwas Positives hören – jeweils über den anderen. Donald Trump zögerte und Hillary übernahm die erste Antwort sogar mit einem besonders schönen Kompliment: „Also, ich habe Hochachtung vor seinen Kindern“, sagte sie. „Seine Kinder sind unglaublich fähig und hingebungsvoll, und ich finde, das sagt viel aus über Donald.“ Trump bedankte sich artig und fast verdutzt über das Kompliment – „wenn es als Kompliment gemeint war“ – und entgegnete: „Ich will das über Hillary sagen: Sie läuft nicht weg, sie gibt nicht auf, sie ist eine Kämpferin. Das respektiere ich.“ Momente später, nach der Debatte, reichten sie sich sogar die Hand.

Noch nie hat es eine Debatte gegeben, in der in Angriffen, Körpersprache und Wortwechseln die Tiefe der Spaltung und des Streits derart sichtbar wurde – nicht nur zwischen zwei Kandidaten, sondern zwischen zwei Amerikas.

The Washington Post

Vorausgegangen waren 90 Minuten und eine Debatte wie sie die amerikanische Politik wohl noch nie erlebt hat, mit Kandidaten, die sich nichts schenkten und sich in einem fort Beleidigungen und Beschuldigungen an die Köpfe warfen. Erschreckte Beobachtung der US-Tageszeitung The Washington Post: „Noch nie hat es eine Debatte gegeben, in der in Angriffen, Körpersprache und Wortwechseln die Tiefe der Spaltung und des Streits derart sichtbar wurde – nicht nur zwischen zwei Kandidaten, sondern zwischen zwei Amerikas.“

Umkleidekabinen-Geschwätz

Den Rahmen gab die Enthüllung jenes Skandalvideos aus dem Jahr 2005. Mit TV-Moderator Billy Bush – ein Neffe von Ex-Präsident George H. Bush Senior – redet Trump darin vor vermeintlich noch nicht angeschaltetem Mikrophon in einer aggressiv-sexistischen Weise über Frauen, die sogar hartgesottene Chauvinisten hätte erblassen lassen könnte. Von allen Seiten hagelte es Schock und Empörung. Sogar sein Vizekandidat Mike Pence distanzierte sich von Trump, eine Reihe hochrangiger Republikaner zogen ihre Unterstützung öffentlich zurück.

Von Trump kam erst einmal nichts. Dann muss es seinem Wahlkampfteam gelungen sein, ihn zu einer halben Entschuldigung zu überreden: „Das war Umkleidekabinen-Geschwätz. Ich bin darauf nicht stolz. Ich entschuldige mich bei meiner Familie; ich entschuldige mich beim amerikanischen Volk. Ich bin da bestimmt nicht stolz darauf, aber das ist Umkleidekabinen-Geschwätz.“ Schon vor der Debatte war damit klar, dass es um alles gehen würde: War Trumps Kandidatur überhaupt noch zu retten?

Jedem, der es gehört hat, ist klar, dass das genau ausmacht, wer er ist.”

Hillary Clinton über das Skandalvideo mit Donald Trump

Trump ging prompt zum Gegenangriff über und machte wahr, was er schon im Vorwahlkampf angedroht hatte: Er packte Ex-Präsident Bill Clintons Sex-Skandal-Vergangenheit aus. Kurz vor Beginn der Debatte präsentierte er sich mit drei Frauen, die Bill Clinton schon seit Jahren und Jahrzehnten sexuelle Angriffe, gar Vergewaltigung vorwerfen – und brachte sie dann sogar mit in die Debatten-Town Hall. Wo es dann natürlich zuerst um Trumps Skandalvideo ging. Das Video sei bezeichnend für Trumps Persönlichkeit, hielt ihm Hillary Clinton vor: „Jedem, der es gehört hat, ist klar, dass das genau ausmacht, wer er ist.” Dort sei der richtige Donald Trump zu sehen, so wie man ihn kenne, für die Präsidentschaft völlig ungeeignet. Ihm werde bloßes Gerede vorgeworfen, ihrem Mann dagegen Taten, und Hillary habe die Opfer seinerzeit auch noch attackiert, schoss Trump zurück. Von Clinton kam darauf nicht mehr viel: „So vieles, was er da gerade gesagt hat, ist nicht richtig.“

Debatten-Strategie der verbrannten Erde

Und von da an ging’s bergab, könnte man sagen. Trump blieb im Angriffsmodus. Von einer „Debattenstrategie der verbrannten Erde“ schrieb Stunden später der TV-Sender CNN. Trump erzwang einen längeren Austausch über Clintons privaten Internet-Server, den sie als Außenministerin gegen alle Vorschriften genutzt hatte, auch für vertrauliche E-Mails. Mehr als 30.000 E-Mails sollen entgegen richterlicher Anweisung gelöschte worden sein. Clinton kam in Bedrängnis. Aber Trump überzog: Als Präsident würde er einen Sonderermittler einsetzen und sie hinter Gitter bringen. „Der wichtigste und schändlichste Moment des Abends“, kommentiert in London die Wochenzeitung The Economist: „Die Verletzung eines demokratischen Grundsatzes, der freie Gemeinwesen von autokratisch regierten unterscheidet.“

Sie sind seit dreißig Jahren hier – alles Gerede, keine Taten.

Donald Trump

In der zweiten Hälfte der Debatte wurde es etwas ruhiger. Trumps nicht öffentlich gemachte Steuererklärung kam zur Sprache. Weil er alle Steuerschlupflöcher so gut kenne, wisse er auch, wie man sie schließen könne, versuchte Trump zu kontern und warb für sein Steuersenkungsprogramm. Mehrfach nutzte Trump die zentrale Schwäche der Langzeit-Politikerin Clinton aus: „Sie sind seit dreißig Jahren hier – alles Gerede, keine Taten.“ Clinton hatte darauf nicht viel zu entgegnen, urteilte am Morgen nach der Debatte das Washingtoner Politikmagazin Politico. Auffällig: Clinton ging immer wieder auf das Publikum und die Fragesteller ein, ging auf sie zu, nahm sie persönlich ernst. Anders Trump, der blieb im Angriffsmodus und ganz auf Clinton konzentriert.

Phasenweise kam bei Trump der Herausforderer durch, der er hätte sein können und der gebildete Wählerschichten, die mit dem Status quo unzufrieden sind, hätte gewinnen können.

Politico

Nicht ohne Erfolg. Trump war besser vorbereitet als bei der ersten Debatte. Es gelang ihm tatsächlich das Sex-Video hinter sich zu lassen – wenigstens in der Town Hall in St. Louis – und andere Themen in den Vordergrund zu schieben. „Und das nicht uneindrucksvoll“, kommentiert Politico: „Phasenweise kam bei Trump der Herausforderer durch, der er hätte sein können und der gebildete Wählerschichten, die mit dem Status quo unzufrieden sind, hätte gewinnen können.“ Clinton „fand sich öfter in die Verteidigung gedrängt als in der ersten Debatte“, urteilt auch die New York Times. Das Blatt beschreibt Trumps Debattenleistung als „trittsicher genug“, so dass zumindest nicht noch mehr Republikaner-Mandatsträger sich sofort von ihm abwenden. Wenn ihm das gelänge, „könne man die Nacht als für Trump zum Teil erfolgreich werten”, meint auch die klar und hart gegen Trump gebürstete Washington Post.

Vor vier wilden und aufreibenden Wochen

Die Debatte am Sonntag hat vor allem gezeigt: Trump kann einstecken und denkt gar nicht ans Aufgeben. Auch CNN-Kommentator John King bescheinigte ihm in St. Louis einen „definitiv stärkeren Auftritt” als bei der ersten TV-Debatte vor zwei Wochen. Sein Vize-Kandidat Pence gratulierte ihm gar per Twitter zum „großen Sieg”. In einer CNN-Blitzumfrage sahen zwar 57 Prozent Clinton vorn, 63 Prozent aber waren von Trump positiv überrascht.

Trump ist ein böse zugerichteter, verwundeter und zorniger Kandidat, und darum noch unberechenbarere denn je.

The Washington Post

Wie geht es nun weiter in den 29 Tagen, die bis zum Wahltermin noch bleiben? Alles sei möglich in diesem „unglaublichen Jahr“ und überhaupt nichts sicher, warnt die Washington Post: „Trump ist ein böse zugerichteter, verwundeter und zorniger Kandidat, und darum noch unberechenbarere denn je.“ Wenn es so weiter ginge wie in den letzten paar Tagen, „dann stehen wilde und aufreibende vier Wochen bevor“. Die nächste und letzte Debatte findet am 19. Oktober in Las Vegas statt. Die Washington Post rechnet allerdings mit weiteren Schlammschlacht-Eskalationen schon in den nächsten Tagen: „Die Dinge entwickeln sich zu schnell und es steht viel zu viel auf dem Spiel  − für Trump persönlich und für die Republikanische Partei – als dass man da einfach nur abwarten könnte.“

Die Wahlbeteiligung entscheidet

Das Blatt hat sich gewendet, gegen Trump, derzeit jedenfalls. In nationalen Umfragen führt Hillary Clinton mit durchschnittlich fünf Prozentpunkten, in den wahlentscheidenden „Swing States“ Florida und Pennsylvania mit 2,4 und fast 9 Punkten. Ihr Vorsprung bei Frauen ist deutlich größer als Trumps Vorsprung bei Männern. Aber Unwägbarkeiten bleiben: Clinton gelingt es offenbar nicht, im gleichen Maße schwarze Wähler für sich zu gewinnen wie 2008 und 2012 Präsident Barack Obama. Im Staate Ohio, auch ein Swing State, der seit 1968 immer für den Wahlsieger votiert hat, sind ihr bei schwarzen Wählern offenbar 15 Prozentpunkte verloren gegangen, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg. Auch mit jungen Wählern tut sich Clinton nach wie vor schwer.

2012 hat Obama die Wiederwahl mit fast fünf Millionen Stimmen Vorsprung gewonnen, aber etwa 47 Millionen weiße Wahlberechtigte ohne College-Abschluss − darunter 24 Millionen Männer − haben sich nicht die Mühe gemacht, zur Wahl zu gehen.

Nate Silver, Fivethirtyeight.com

Am Schluss wird womöglich alles von der Wahlbeteiligung abhängen. Aber auch da gibt es große Ungewissheit, schreibt Umfrage-Guru Nate-Silver auf seinem sehr guten Blog Fivethirtyeight.com und wartet mit „für die Demokraten furchterregenden statistischen Daten“ auf: „2012 hat Obama die Wiederwahl mit fast fünf Millionen Stimmen Vorsprung gewonnen, aber etwa 47 Millionen weiße Wahlberechtigte ohne College-Abschluss − darunter 24 Millionen Männer − haben sich nicht die Mühe gemacht, zur Wahl zu gehen.” Genau diese Wählergruppe gehört jetzt zu Trumps wichtigsten Anhängern. Lichtblick für die Demokraten: Diese 47 Millionen weißen Nichtwähler müssten sich registrieren lassen, aber davon ist offenbar noch nichts zu sehen. Was für die Demokraten aber noch keine Sicherheit bedeutet. Denn auch von den registrierten Wählern des Jahres 2012 sind 14,7 Millionen weiße Wahlberechtigte nicht zur Wahl gegangen. Ob sie sich an diesem 8. November doch auf den Weg zur Wahlurne machen oder nicht, könnte am Wahlabend entscheidend sein.

(dpa/BK/H.M.)