Politprofi Hillary Clinton hat beim ersten TV-Duell der US-Präsidentschaftskandidaten ihren Kontrahenten Donald Trump auf Distanz halten können. Nach einer teils hitzig geführten, mehr als 90 Minuten langen Debatte wirkte Clinton für die meisten Beobachter abgeklärter und inhaltlich besser vorbereitet.
„Diese Debatte war nicht seine beste, aber es kommen noch zwei”, schrieb Trumps republikanischer Parteifreund und Wahlkampfhelfer, New Yorks früherer Bürgermeister Rudy Giuliani, auf Twitter. „Ich versichere Euch, dass Donald Trump bei der nächsten Debatte besser vorbereitet sein wird.” Eine erste Blitzumfrage des Senders CNN sah Clinton mit 62 Prozent vorn, Trump sahen nur 27 Prozent der Befragten als Sieger. Trumps Lager beanspruchte den Sieg für sich und verwies dabei auf eine informelle Internet-Umfrage des Senders CNBC.
Die Debatte in der Hofstra University in Hempstead (New York) wurde auf mehreren US-Fernsehsendern sowie via Twitter und YouTube weltweit als Livestream im Internet übertragen. Bis zu 100 Millionen Zuschauer sollen sie gesehen haben − die Zahl entspräche fast einem Drittel der US-Bevölkerung und mehr als der Hälfte der registrierten Wähler. Das Fernsehduell gilt als eines der größten politischen TV-Ereignisse der vergangenen Jahre. Umstritten ist allerdings, wie groß der Einfluss von TV-Debatten auf den Wahlausgang ist. In den vergangenen Jahrzehnten habe dieser Einfluss kontinuierlich abgenommen, sagen Beobachter.
Keine wahlentscheidenden Patzer
Trump habe sogar „stärker angefangen“, beobachtet die Londoner Wochenzeitung The Economist − das Blatt ist vehementer Trump-Gegner. Auf eine Eingangsfrage zur wirtschaftlichen Lage reagierte Clinton fahrig, ohne überzeugende Antwort. Trump, so wieder The Economist, sah wenn noch nicht präsidentiell, so doch jedenfalls nicht „fehl am Platze” aus neben einer ehemaligen Senatorin und Außenministerin.
Beide Kandidaten schlugen sich über die 90-minütige Sendung ohne Werbepause gut.
Neue Zürcher Zeitung
Mit der Zeit allerdings sei Trumps Angriffen sozusagen der Dampf ausgegangen, urteilte am Morgen nach der Debatte die Nachrichtenagentur Bloomberg. Der für Trump schwierigste Moment kam wohl, als Moderator Lestor Holt ihn in Minute 15 fragte, warum er seine Äußerung, US-Präsident Barack Obama sei möglicherweise nicht in den USA geboren, fünf Jahre lang nicht eindeutig korrigiert habe. Trump redete mehre Sätze lang herum, ohne jedoch eine Antwort zu haben. Insgesamt aber sei der große debatten- oder gar wahlentscheidende Fehler oder Ausrutscher ausgeblieben, urteilt die Neue Zürcher Zeitung: „Beide Kandidaten schlugen sich über die 90-minütige Sendung ohne Werbepause gut.”
Trump aggressiv, Clinton höhnisch
Bei der Live-Übertragung war der Bildschirm geteilt, Clinton und Trump waren mehr als 90 Minuten lang gleichzeitig zu sehen. Der 70-Jährige machte dabei einen teils aggressiven und oftmals atemlosen Eindruck. Er schnaufte oder verzog bei Antworten von Clinton sein Gesicht. Der Blog Fivethirtyeight zählte mit, dass Trump seiner Kontrahentin 27 Mal ins Wort fiel, sie ihm umgekehrt nur fünfmal. Clinton gab sich meist gelassen und versuchte, mit Argumenten zu überzeugen. Häufig reagierte sie auf Trumps Anwürfe belustigt oder fast höhnisch, was auch nicht immer sympathisch wirkte (Neue Zürcher Zeitung). Trump lobte sich in einem Teil der Debatte selbst. „Ich habe die deutlich bessere Urteilsfähigkeit als sie”, sagte er. „Sie sieht nicht wie eine Präsidentin aus, sie hat nicht die Ausdauer dazu.” „Sobald er in 112 Länder gereist ist, kann er mit mir über Ausdauer reden”, konterte die Ex-Außenministerin.
Sobald er in 112 Länder gereist ist, kann er mit mir über Ausdauer reden.
Hillary Clinton
Inhaltlich gerieten beide unter anderem bei Themen wie dem Kampf gegen den internationalen Terror, beim Handel, bei der Steuer- und Wirtschaftspolitik sowie bei der Behandlung der schwarzen Minderheit aneinander. Die ungleiche Behandlung von Schwarzen und Weißen ist nach Ansicht von Clinton nach wie vor eines der größten Probleme der USA. „Wir müssen das Vertrauen zwischen den Kommunen und der Polizei wiederherstellen“, sagte sie in der TV-Debatte. Jeder müsse sich an das Gesetz halten. „Wir müssen die Waffen aus den Händen derer wegnehmen, die sie nicht tragen sollten”, betonte sie. Donald Trump sagte, Amerika brauche mehr „law and order”, Recht und Ordnung. Clinton wolle diese Wörter nicht einmal benutzen.
Klare Gegensätze in der Wirtschaftspolitik
Beim ersten Themensegment Wirtschaft boten Trump und Clinton den Wählern Positionen, die gegensätzlicher nicht hätten sein können: Trump will die größten Steuersenkungen seit Ronald Reagan ins Werk setzen, um Unternehmensgründungen zu ermutigen und Arbeitsplätze zu generieren. Trump: „Wir müssen beenden, dass uns so viele Jobs gestohlen werden.” Er trat zudem für eine Erleichterung des Regelwerks für die Gründung neuer Unternehmen ein: Die Schaffung von Arbeitsplätzen müsse erleichtert werden. Clinton, die die Wähler ihres demokratischen Mitbewerbers um die Kandidatur, des erklärten Sozialisten Bernie Sanders, für sich gewinnen muss, ist massiv nach links gerutscht: In der Debatte mit Trump warb sie nun für deutlich höhere Unternehmenssteuern, die dann soziale Angebote finanzieren sollen. Die Reichen müssten ihren Teil für die Gesellschaft leisten, so Clinton: „Wir brauchen eine Wirtschaft, die für alle funktioniert.”
Wir müssen beenden, dass uns so viele Jobs gestohlen werden.
Donald Trump
Beim Streitthema „Internationaler Handel” warf Trump Clinton mehrmals vor, ihre Ansicht zur Transpazifischen Handelspartnerschaft unter zwölf Pazifikanrainern mehrmals geändert zu haben. „Sie haben gehört, was ich dazu gesagt habe, und dann waren Sie dagegen”, sagte Trump. Clinton widersprach. Ein einleuchtendes Argument gegen Clintons Angriffe hatte Trump immer auf seiner Seite, beobachtet The Economist: Sie sind seit 30 Jahren im öffentlichen Leben aktiv − warum haben Sie nicht all jene Probleme, von denen Sie reden, längst in Ordnung gebracht? Allerdings sind selbst die Handlungsmöglichkeiten des US-Präsidenten durch den Kongress stark eingeschränkt.
Außenpolitik: Die Nato-Verbündeten sollen zahlen
Die frühere Außenministerin setzte sich für eine härtere Gangart im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ein. „Wir müssen die Luftangriffe auf den IS intensivieren”, sagte sie. „Wir müssen auch Bagdadi jagen”, sagte sie über den Anführer der Terrormiliz, Abu Bakr al-Bagdadi. Trump warf der Administration von US-Präsident Barack Obama schwere Fehler vor und wiederholte seine Darstellung, die USA hätten die Ölquellen des Iraks besetzen müssen, um sie vor dem IS zu schützen.
Die größte Bedrohung der Welt ist die nukleare, nicht wie Sie und Ihr Präsident es sehen, der Klimawandel.
Donald Trump
Donald Trump will, dass Deutschland und Japan und andere Länder für den Schutz durch die USA zur Kasse gebeten werden. „Sie müssen bezahlen”, sagte der Präsidentschaftskandidat der Republikaner in der Nacht zum Dienstag in der ersten TV-Debatte mit seiner Konkurrentin Hillary Clinton. Das gelte auch für Saudi-Arabien. „Die größte Bedrohung der Welt ist die nukleare, nicht wie Sie und Ihr Präsident es sehen, der Klimawandel”, giftete Trump, obwohl direkt davor Clinton nukleare Waffen als größte Bedrohung der Welt bezeichnet hatte.
Trump widersprach der Darstellung Clintons, er werde als Sicherheitsrisiko angesehen und für nicht tauglich gehalten, die Rolle des Oberkommandierenden der US-Armee zu übernehmen. „Mehr als 200 Admirale und Generale unterstützen mich”, sagte Trump. „Ich werde sicher nicht den nuklearen Erstschlag führen.” Er behauptete erneut, er sei stets gegen den Einmarsch der USA in den Irak gewesen.
Trumps Steuererklärung
Der New Yorker Milliardär forderte Clinton hinsichtlich ihrer E-Mail-Affäre heraus. Er werde seine Steuerunterlagen veröffentlichen, sobald Clinton diejenigen 33.000 E-Mails publik mache, die sie als Außenministerin über einen privaten Server gesendet hat und die noch nicht von der US-Bundespolizei FBI aufgefunden werden konnten.
Irgendetwas versteckt er, vielleicht ist er nicht so reich, wie er sagt, vielleicht spendet er nicht so viel, wie er sagt.
Hillary Clinton
Traditionell veröffentlichen Präsidentschaftskandidaten in den USA ihre Steuererklärungen, um dem Wahlvolk einen Einblick in ihre Verdienst- und Vermögenssituation zu geben. Clinton hat dies ebenfalls getan. Trump weigerte sich bisher beharrlich. „Irgendetwas versteckt er”, sagte nun Clinton in der Debatte. Als Seitenhieb fügte sie hinzu: „Vielleicht ist er nicht so reich, wie er sagt.” Hinsichtlich ihrer E-Mails, die sie als Außenministerin unerlaubterweise von einem privaten Server versandt und empfangen hatte, erklärte Clinton: „Ich habe einen Fehler gemacht.”
Wirkung der Debatte
Dieser ersten Debatte in Hempstead nahe dem New Yorker Stadtteil Queens folgt am 4. Oktober die Begegnung der beiden Vizepräsidenten-Kandidaten Tim Kaine (Clinton) und Mike Pence (Trump) in der Longwood-Universität im Städtchen Farmville im Staate Virginia. Am 9. Oktober stehen sich wieder Hillary Clinton und Donald Trump gegenüber, dieses Mal in der Washington University in St. Louis in Missouri. Die letzte Debatte müssen die beiden Präsidentschaftskandidaten am 19. Oktober in der Universität von Las Vegas bestreiten.
Ich glaube nicht, dass Donald Trump heute Nacht Stimmen verloren hat, und ich bin nicht sicher, dass Hillary Clinton heute Nacht Stimmen gewinnen konnte.
US-Fernseh-Journalist Bob Schieffer
Was die Debatten für den Verlauf des Wahlkampf bedeuten, muss sich zeigen. „Ich glaube nicht, dass Donald Trump heute Nacht Stimmen verloren hat, und ich bin nicht sicher, dass Hillary Clinton heute Nacht Stimmen gewinnen konnte”, urteilte nach dem Auftritt der Kandidaten in New York der bekannte US-Fernsehjournalist Bob Schieffer, der selber schon Präsidentschaftskandidatendebatten moderiert hat. Es habe in New York nicht viel Neues zu sehen gegeben, sondern nur die tiefe Kluft zwischen Demokraten und Republikanern, so Schieffer: „Sie hat zum Chorgestühl auf ihrer Seite gepredigt, er zu dem auf seiner Seite.” Schieffer weiter: „Aber zu keinem Zeitpunkt war eine Andeutung zu sehen, wie man wieder zusammenkommen und eine Koalition bilden könnte, um die Blockade zu brechen, in der sich das Land befindet.”
Umfrage-Trends derzeit gegen Clinton
Derzeit ist der Wahlkampfschwung möglicherweise auf Seiten von Trump. In den Umfragen hat er dramatisch aufgeholt, in manchen Clinton sogar überholt. Anfang August lag Clinton im Umfragedurchschnitt der viel beachteten − und überaus nützlichen − US-Medienportalseite realclearpolitics.com etwa acht Prozentpunkte vor Trump. Dann fielen die Werte, am Tag nach der Debatte blieben noch 2,4 Punkte. In einer Umfrage für das ausgesprochen Trump-kritische Medienunternehmen Bloomberg lagen am Tag der Debatte von New York beide Kandidaten bei 46 Prozent. Wurde nicht nur nach Trump und Clinton, sondern auch nach den beiden unabhängigen Kandidaten Gary Johnson und Jill Stein gefragt, lag Trump sogar mit 43 gegen 41 Prozent vor Clinton. „Es wird sehr eng”, schreibt Umfrage-Analytiker Nate Silver in seinem immer aktuellen, wichtigen Blog Fivethirtyeight.com. Silver sieht Clinton nur mit 1,5 Prozentpunkten Vorsprung − bei seit Wochen anhaltend negativem Umfragetrend. Der Umfrage-Guru gibt Trump derzeit eine Chance von 46 Prozent auf den Wahlsieg. In allen Umfragen seien die mittelfristigen Trends gegen Clinton, so Silver.
Trumps Chance auf den Wahlsieg liegt bei 46 Prozent.
Nate Silver
Bei derzeitigem Stand der Dinge könnte für Clinton gefährlich werden, dass es bei der Wahl am 8. November eben nicht auf die reine Stimmenmehrheit ankommt. Denn die Wähler wählen nicht den Präsidenten, sondern in ihren Staaten nach Mehrheitswahlrecht insgesamt 538 Wahlmänner. Bevölkerungsreiche Staaten haben viele Wahlmänner zu vergeben (Kalifornien: 55), kleine nur wenige (Maine: 4). Wer die relative Mehrheit im Staat gewinnt, erhält alle Wahlmänner des Staates, die dann im Electoral College für ihren Kandidaten die Stimmen ihres Bundesstaates abgeben müssen. 270 Wahlmännerstimmen braucht es für den Sieg. Fällt das Ergebnis 269 zu 269 aus, entscheidet das Abgeordnetenhaus.
Extrem knapper Vorsprung in entscheidenden Swing States
Auf der Wahlkarte von realclearpolitics.com steht es im Wahlmännergremium derzeit 188 zu 165 Stimmen für Clinton − bei 185 Stimmen aus sogenannten „Toss-Up”-Staaten, in denen beide Kandidaten fast Kopf an Kopf liegen. Verteilt man auch die Toss-Up-Staaten − bei denen die Münze sozusagen noch in der Luft ist − nach ihren knappen und knappsten Vorsprüngen auf die beiden Kandidaten, dann steht es 292 gegen 246 Wahlmännerstimmen für Clinton. Sechs Wochen vor dem Wahltermin bedeutet das wenig. Denn so würde etwa der notorische Wackelstaat Florida mit 29 Wahlmännerstimmen über Clintons Sieg oder Niederlage entscheiden. Am Tag nach der Debatte lag Clinton in Florida mit gerade einmal 0,5 Prozentpunkten vorne.
Clintons Position im Electoral College ist relativ verwundbar.
Nate Silver
In einem knappen Dutzend unsicherer und genau darum wahlentscheidender Wechselstaaten − Swing States − liegt Clinton im Durchschnitt nur um 1,2 Prozentpunkte vorne, analysiert Nate Silver. Und auch in den Swing States hat sich der Umfrage-Trend seit Wochen nur in eine Richtung bewegt: in die von Trump. Clintons Position im Wahlmännergremium, so Silver, „ist zu ihrem Unglück relativ verwundbar”: Wenn sie etwa Colorado (9 Wahlmännerstimmen) verliere, müsse sie etwa North Carolina (15) gewinnen, wo sie aber gerade zurückliegt. Im ebenfalls wahlentscheidenden Ohio (18) liegt Trump mit zwei Prozentpunkten vorne, im Nachbarstaate Pennsylvania (20) nur mit 1,8 Punkten zurück. Problem für Clinton: In vielen Swing States ist der Anteil der Wähler aus der weißen Arbeiterschicht besonders hoch − jene Wählergruppe, die Trump besonders zuneigt.
Hillary Clinton nicht gut genug, um ihren Sinkflug zu stoppen
The Boston Globe.
Silver weist auch darauf hin, dass in dieser Wahl, die so anders ist als alle vorhergegangenen, den Umfragen nur begrenzt zu trauen ist. Was gleich doppelte Unsicherheit zur Folge haben kann: Weil in manchen benachbarten Bundesstaaten die politischen, wirtschaftlichen und demographischen Bedingungen sehr ähnlich sind, stehen dann nicht nur einer, sondern gleich zwei Swing States auf dem Spiel: Wenn die Umfragen, die etwa in Wisconsin (10) Clinton derzeit mit fünf Prozentpunkten solide vorne sehen, falsch lägen, so Silver, dann lägen sie ziemlich sicher auch in Michigan (16) daneben.
Am Tag nach der ersten Debatte der Kandidaten, heißt das alles, steht das Rennen um die Präsidentschaft denkbar knapp. „Hillary Clinton nicht gut genug, um ihren Sinkflug zu stoppen”, titelt gar die Tageszeitung The Boston Globe. Wie auch immer: Am 8. November wird es darauf ankommen, wie sich jene 10 bis 20 Prozent der Wähler entscheiden, die den Umfrageinstituten noch immer sagen, dass sie unentschieden sind. Diese Unentschiedenen werden die Wahl entscheiden − vielleicht in Colorado, Florida oder Pennsylvania.
(dpa/BK/H.M.)