Duell an der Moldau
An diesem Donnerstag wird Bundeskanzlerin Angela Merkel in Prag über die Zukunft Europas sprechen – und über die Bewältigung der anhaltenden Migrantenkrise. Das wird schwierig. Denn die tschechische Regierung zählt zu den schärfsten Kritikern der Berliner Asyl- und Einwanderungspolitik.
Merkel in Prag

Duell an der Moldau

An diesem Donnerstag wird Bundeskanzlerin Angela Merkel in Prag über die Zukunft Europas sprechen – und über die Bewältigung der anhaltenden Migrantenkrise. Das wird schwierig. Denn die tschechische Regierung zählt zu den schärfsten Kritikern der Berliner Asyl- und Einwanderungspolitik.

Das hat Bundeskanzlerin Angela Merkel seit Griechenland nicht mehr erlebt: Protestdemos gegen ihren Besuch. Am morgigen Donnerstag muss sie sich in Prag darauf gefasst machen. Überhaupt steht ihr in der tschechischen Hauptstadt wohl die schwierigste Station ihrer Europa-Reise- und Tagungswoche bevor: Einem ausführlichen Gespräch mit Ministerpräsident Bohuslav Sobotka folgen eine Begegnung mit dem Präsident Milos Zeman und schließlich ein Abendessen mit Sobotka und Mitgliedern seiner Regierung. Es wird um Europa nach dem Brexit gehen, um die Vorebereitung eines 27er-Gipfels in Bratislava am 16. September – und um die sich wieder verschärfende Migrantenkrise. Problem: Die Tschechen – von der sprichwörtlichen Marktfrau bis zum Präsidenten – gehören zu den schärfsten Kritikern von Angela Merkels Politik der offenen Grenzen.

Berlin will die EU-weite Umverteilung von Migranten durchsetzen

Aktuell geht es in Tschechien um die Frage, ob das Land im Oktober 80 syrische Flüchtlinge aus der Türkei aufnehmen soll, entsprechend den Vereinbarungen zwischen der EU und Ankara vom vergangenen März. Einer EU-Ministerratsentscheidung vom vergangenen Oktober zufolge soll Tschechien bis zum Jahr 2017 außerdem 2691 von 160.000 aus Griechenland und Italien umzuverteilenden Migranten aufnehmen. Berlin pocht auf Erfüllung der europäischen Verpflichtungen, wie Regierungssprecher Steffen Seibert jetzt noch einmal betonte: „Klar ist, dass europäische Beschlüsse, die von allen europäischen Staaten getroffen worden sind, dann auch von allen einzuhalten sind. Klar ist auch, dass es aus unserer Sicht kein nationales Vorgehen einzelner Nationen geben kann, das dieser großen europäischen Herausforderung durch die Migration und Flüchtlingsbewegungen gerecht wird.“

Prag besteht auf Freiwilligkeit

Das sieht man in Prag ganz anders, zumal jene Ministerratsentscheidung nicht einstimmig, sondern mit qualifizierter Mehrheit beschlossen wurde. Sobotka zwei Tage vor Merkels Besuch: „Wir stimmen nicht überein, was die Quoten angeht, aber das weiß die Kanzlerin.“ Prag teile mit Deutschland zwar das Ziel, den Migrantenstrom aus dem Mittleren Osten zu reduzieren, so Sobotka. „Aber wir haben unterschiedliche Ansichten darüber, wie das gelöst werden soll.“

Zusammen mit den anderen Visegrad-Staaten Polen, Ungarn und der Slowakei bestehen die Tschechen bei der Aufnahme von Migranten auf völliger Freiwilligkeit. Die EU-Mitgliedstaaten müssten die Zahl der Zuwanderer selber festlegen dürfen, fordert Sobotka: „Denn im Endeffekt sind es die nationalen Regierungen, die die Sicherheit der Bürger garantieren müssen“. Prag könne nicht wie Deutschland im vergangenen Jahr „das Hereinströmen einer großen Zahl von Menschen zulassen, ohne den Überblick zu haben“.

Wir wollen die Flucht nach Europa nicht verstärken, sondern ihre Ursachen bekämpfen.

Ministerpräsident Bohuslav Sobotka

Schon im vergangenen Juni hatte Sobotka die Migranten-Umverteilungspläne der EU-Kommission zur Sackgasse erklärt: „Die tschechische Regierung lehnt diese Vorschläge ab. Das ist keine clevere Lösung. Wir wollen die Flucht nach Europa nicht verstärken, sondern ihre Ursachen bekämpfen. Das geht nur außerhalb unserer Grenzen, die stärker bewacht werden müssen.“

Wir wünschen uns auch nicht, dass sich hier eine starke muslimische Gemeinschaft bildet.

Ministerpräsident Bohuslav Sobotka

Auch die Prager Position, nach Möglichkeit keine muslimischen Migranten aufnehmen zu wollen, verteidigte Sobotka unmittelbar vor Merkels Besuch noch einmal: „Wir haben hier bei uns keine starke muslimische Gemeinschaft – und ehrlich gesagt wünschen wir uns auch nicht, dass sich hier eine starke muslimische Gemeinschaft bildet.“

Ich möchte die Quoten zurückweisen, auch um den Preis von Sanktionen.

Finanzminister Andrej Babis

Mit seiner Haltung steht Sobotka nicht alleine. Finanzminister Andrej Babis, Milliardär und Gründer seiner eigenen Partei ANO (Aktion unzufriedener Bürger), etwa will Bundeskanzlerin Merkel erklären, „dass ich ihre Migrationspolitik ablehne, die ihr völlig aus der Hand geglitten ist“. Merkel „solle aufhören, politisch korrekt zu sein und endlich handeln“. Anders als Sobotka, der offenbar bereit wäre, sich dem Druck aus Brüssel zu beugen und die EU-Aufnahmeverpflichtungen zähneknirschend doch zu erfüllen, plädiert sein Koalitionspartner Babis dafür, grundsätzlich keine Migranten aufzunehmen: „Das wäre ein enormes Risiko, wenn man sieht, was für Greueltaten manche Menschen anrichten, die in Deutschland kein Asyl bekommen haben“, so der Minister unter Anspielung auf den Bombenanschlag in Ansbach. Anfang August warb Babis für eine harte Linie gegenüber Brüssel: „Ich möchte die Quoten zurückweisen, auch um den Preis von Sanktionen.“ Der Finanzminister fordert stattdessen, an den Schengen-Außengrenzen einen Zaun zu bauen – „und zwar sofort“.

Scharfe Merkel-Kritik von Präsident Milos Zeman

Ebenso deutlich hat sich immer wieder Tschechiens sozialdemokratischer Präsident Milos Zeman gegen eine von Brüssel erzwungene Aufnahme von Migranten ausgesprochen. Anfang August rief er das Parlament in Prag gar dazu auf, die EU-Quoten zu ignorieren und schlicht keine Migranten aufzunehmen. Zeman: „Mit der Aufnahme von Migranten würden wir den Nährboden für barbarische Angriffe auf dem Gebiet der Tschechischen Republik schaffen.“ Vom deutschen EU-Kommissar Günther Oettinger wurde er dafür hart kritisiert. Zeman diffamiere die europäische Gesetzgebung und schwäche Europa insgesamt, so Oettinger. Von Zemans Sprecher Jiri Ovcacek kam prompt eine scharfe Antwort: „Für den Herrn EU-Kommissar noch einmal und nachdrücklicher: Wir wollen in Tschechien keine Migranten auf der Grundlage europäischer Quoten oder angeblich freiwilliger Umverteilung.“

Ich bin der Ansicht, dass die Bundeskanzlerin ihre Meinung ändern sollte, denn die Willkommenskultur hat sich als unsinnig erwiesen.

Präsident Milos Zeman

Wenn Bundeskanzlerin Merkel nun in Prag Zeman gegenüber steht, wird sie sich womöglich auch daran erinnern, dass er sie, ebenfalls Anfang August, zur Umkehr in der Asyl- und Migrantenpolitik aufgefordert hat, wie bei Zeman üblich, in deutlicher Formulierung: „Ich bin der Ansicht, dass die Bundeskanzlerin ihre Meinung ändern sollte, denn die Willkommenskultur hat sich als unsinnig erwiesen.“

Am Freitag in Warschau

Am Tag nach dem schwierigen Besuch in Prag wird Bundeskanzlerin Merkel in Warschau erst mit Ministerpräsidentin Beata Szydlo zusammentreffen und dann an einem Mittagessen mit den Regierungschefs der vier Visegrad-Staaten – Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei – teilnehmen.

Die Quoten sind Unfug. Wir werden das nicht machen. Der Islam hat keinen Platz in der Slowakei. Wir sind nicht multikulti.

Robert Fico, slowakischer Ministerpräsident

Gut möglich, dass sie dort ähnliche Dinge zu hören bekommt wie wahrscheinlich schon in Prag. Denn vor gut zwei Monaten machte auch der slowakische Ministerpräsident Robert Fico überdeutlich, was er von den Brüsseler – und Berliner – Plänen zur europaweiten Umverteilung vom Migranten hält: „Ich bin ein Freund klarer Worte. Die Quoten sind Unfug. Wir werden das nicht machen. Der Islam hat keinen Platz in der Slowakei. Wir sind nicht multikulti. Wir sagen dazu nein und werden unseren Standpunkt nicht ändern.“