Markus Blume (r.) und US-General Ben Hodges: „Europa kann keinen loyaleren Bündnispartner haben als die Vereinigten Staaten.“ Bild: Fotostudio Daniel
CSU-Zukunftskongress

„Plötzlich ist die Angst in Europa zurück“

Der CSU-Zukunftskongress „Außen- und Sicherheitspolitik“ debattiert in Regensburg über Deutsche Verantwortung und transatlantische Partnerschaft .

„Sollen wir uns überall einmischen?“ Die Frage hatte eine Facebook-Dialogpartnerin dem Vorsitzenden der CSU-Grundsatzkommission, Markus Blume, für den zweiten Zukunftskongress in Regensburg mit auf den Weg gegeben. Beim CSU-Brainstorming an der Donau sollte es um Außen- und Sicherheitspolitik gehen, um eine „Welt in Unordnung“ und um Deutschlands wachsende politische Verantwortung.

„Sollen wir uns überall einmischen?“ Die Frage dürfte in fast 2000 Jahren Regensburger Stadtgeschichte in der alten Reichsstadt nicht zum ersten Mal gestellt worden sein. Und Blumes vorsichtige Antwort wird man hier früher auch schon gehört haben: „Ja, wir müssen uns manchmal einmischen.“ Wenn die Weltpolitik sich so beschleunigt wie derzeit, sind Desinteresse und freundliche Zurückhaltung keine politische Option – jedenfalls nicht für das große Land in der Mitte Europas, von dem gerade jetzt so viele Nachbarn so viel erwarten.

Transatlantische Partnerschaft heute wichtiger denn je

Blumes Trost: Deutschland ist nicht allein, sondern Teil der europäischen Schicksalsgemeinschaft und der transatlantischen Wertegemeinschaft. Emphatische Bestätigung erhielt er sogleich von General Ben Hodges, dem Oberbefehlshaber der US-Truppen in Europa: Deutschland und Europa könnten keinen loyaleren Bündnispartner haben als eben die Vereinigten Staaten. Und wann immer die USA ihrerseits einen verlässlichen Partner suchten, schauten sie als erstes nach Europa. Genau so hört man das oft aus Washington. Die aus der europäischen Aufklärung hervorgegangene Republik auf der anderen Seite des Atlantiks sucht die Nähe zu Europa. Für die CSU, hielt Blume fest, sind denn auch das Bekenntnis zum europäischen Gedanken, zur Nato und zur Partnerschaft mit den USA Grundlage deutscher Außen- und Sicherheitspolitik.

Die transatlantische Partnerschaft sei heute wichtiger denn je, erläuterte Hodges seinem Regensburger Publikum mit kurzem Rückblick: Vor einem Jahr, Anfang 2014, hatte niemand Angst vor Ebola, den Islamischen Staat (IS) gab es kaum, Dschihadisten aus Europa waren kein Thema, und die Grenzen der Ukraine standen nicht in Frage. Plötzlich ist alles anders. Hodges: „In sehr kurzer Zeit hat sich unsere Sicherheit zum schlechteren gewandelt. Was für eine Wende.“

Russland hat auf Konfrontation umgeschaltet

Die größte Herausforderung für die Europäer – und für den Westen – kommt aus Moskau. Hodges: „Wladimir Putin hat mit Gewalt europäische Grenzen verändert und damit die Sicherheitsordnung in Europa in Frage gestellt.“ Dem US-Militär macht Sorge, dass die ostukrainischen Separatisten die in Minsk ausgehandelte Waffenstillstandslinie nicht akzeptieren wollen. Moskau, warnte Hodges, gehe es in der Ukraine nicht nur um die Schaffung einer postsowjetischen Einflusssphäre: Wladimir Putin wolle EU und Nato spalten und etwa in Estland, Polen oder Rumänien Zweifel wecken, ob auf das Bündnis und auf den Nato-Beistandsartikel 5 wirklich Verlass ist.

Russland habe umgeschaltet von Partnerschaft auf geopolitische Konfrontation, resümierte EVP-Fraktionschef Manfred Weber: „Plötzlich ist die Angst in Europa zurück – was hat Russland weiter vor?“ Schuldzuweisungen an die Ukraine, weil sie von blühenden demokratischen Verhältnissen weit entfernt sei, lässt Weber nicht gelten: Richtig, der ukrainische Präsident Petro Poroschenko sei kein Heiliger. „Aber die Ukraine ist das Opfer in der Debatte, nicht das Problem.“ Es gehe dort nicht um europäische Machtfragen, sondern allein „um das Selbstbestimmungsrecht der Ukrainer“, die eben nach Europa wollten. Weber erinnerte damit an die Grundlage allen CSU-Nachdenkens über Außenpolitik: Der Mensch steht im Mittelpunkt.

Gescheiterte Staaten in Südeuropa

Neben Russland haben die Europäer noch andere, nähere Sorgen, warnte der ehemalige BR-Hörfunkdirektor und Osteuropa-Experte Johannes Grotzky. Etwa auf dem Balkan: In Bosnien-Herzegowina  machen sich neue separatistische Tendenzen bemerkbar; dem Kunststaat Kosovo laufen die Bürger davon; in Mazedonien wächst der Anteil der Albaner und droht darum ethnischer Konflikt. Das Phänomen der „gescheiterten Staaten“ habe nicht nur Europas Außengrenzen, sondern schon Südeuropa erreicht, so Blumes besorgte Schlussfolgerung. Er hat womöglich untertrieben: Auch EU- und Euro-Mitglied Griechenland ist schon als gescheiterter Staat beschrieben worden.

Flüchtlingskrise: Die Herkunftsländer in die Pflicht nehmen

Auf das EU-Schwergewicht Deutschland kommt an Europas Grenzen wachsende Verantwortung zu. Wie kann das Land sie ausfüllen? Mit vernetzter Außenpolitik, die Entwicklungspolitik, Diplomatie und Verteidigung bündelt, riet mit Blick auf den großen Problem-Nachbarn Afrika und auf den Nahen Osten Thomas Silberhorn, Staatssekretär im Ministerium für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Besser als die militärische Intervention sei allemal die Prävention – mit Geld, Know-How und Partnerschaft. Die Bundesregierung ist da auf einem guten Weg: Bis 2019 werden für Entwicklungsarbeit weitere 8,3 Milliarden Euro bereitgestellt.

Aber Geld ist nicht alles, warnte Silberhorn. Angesichts der aktuellen Flüchtlingskrise etwa müsse man stärker auf die Herkunftsländer schauen und sie in die Pflicht nehmen. Wenn die Menschen dort eine Perspektive erhalten sollten, brauche es gute Regierung und dazu den politischen Willen der Führungseliten – aber genau daran fehle es allzu oft, wie afrikanische Gesprächspartner selber zugeben.

Mit dem Ausbildungseinsatz der Bundeswehr in Mali übernimmt Deutschland schon heute wichtige Verantwortung in Afrika, erinnerte Julia Obermeier, CSU-Sicherheitspolitikerin und Mitglied im Verteidigungsausschuss im Bundestag. Mali ist nicht irgendwo: Genau dort beginnt für viele Westafrikaner der Fluchtweg durch die Sahara. Auch im Nahen Osten werden Deutsche und Europäer mehr zur politischen Stabilisierung beitragen müssen, sah Reinhard Brandl, Leiter des ASP-Fachausschusses Sicherheit und Bundeswehr und Mitglied im Verteidigungsausschuss im Bundestag, ebenfalls mit Blick auf das Flüchtlingsthema. Denn etwa die meisten syrischen Flüchtlinge wollten gar nicht nach Europa, sondern zurück nach Syrien.

EU-Marktöffnung als Teil vernetzter Außenpolitik

Blume warf daraufhin das Stichwort vom „Marschall-Plan für Nordafrika“ in die Regensburger Runde. Doch schon eine Nummer kleiner könnten die Europäer zur Stabilisierung krisenhafter Regionen beitragen, erinnerte aus Straßburger EU-Perspektive Manfred Weber: Alle Empfänger deutscher und europäischer Entwicklungshilfe sind Agrarstaaten – aber der große europäische Agrar-Absatzmarkt bleibt ihnen verschlossen. Ein Gedanke, den europäische Agrarpolitiker nicht gerne hören: EU-Marktöffnung als Teil vernetzter Außen- und Entwicklungspolitik.

Nicht nur die Deutschen, sondern die Europäer insgesamt werden über ihre gemeinsame Rolle in einer gefährlicher gewordenen Welt nachdenken müssen. Die gemeinsame europäische Armee ist noch in weiter visionärer Ferne. Aber kann es in der EU-Außenpolitik beim Prinzip der Einstimmigkeit bleiben? Weber: „Kann es sein, dass ein Land die gesamte EU-Außenpolitik blockieren kann?“ Für die Europäer steht viel auf dem Spiel: Europas Werteordnung und die Frage, ob sie sich durchsetzt auf der Welt – oder ein russisches oder chinesisches Modell. Weber: „Der Kampf um die Werteordnung in der Welt wird die nächsten zehn Jahre prägen.“

Die Fortschreibung des CSU-Grundsatzprogramms von 2007

  • Im Mai letzten Jahres erhielt die CSU-Grundsatzkommission, geführt von Markus Blume, MdL, den Auftrag, ein neues CSU-Grundsatzprogramm zu formulieren. Es soll das acht Jahre alte Vorgängerdokument ersetzen, gesellschaftliche Veränderungen aufnehmen und den Werterahmen für die Bewältigung der Zukunftsaufgaben des Landes setzen.
  • Die Entwicklung des neuen CSU-Grundsatzprogramms ist auf knapp zwei Jahre angelegt. In dieser Zeit sollen im breit angelegten Dialog alle CSU-Mitglieder, Mandatsträger und Interessierten zu Wort kommen.
  • Am Anfang des Grundsatzprozesses steht die Ideenphase: Seit dem Parteitag im Dezember 2014 werden Anregungen von Mitgliedern, Arbeitsgemeinschaften und -kreisen und Verbänden, aber auch von externen Fachleuten und Beratern gesammelt.
  • Ein Forum dafür bieten die von der CSU-Landesleitung ausgerichteten großen Zukunftskongresse zu unterschiedlichen Themenfeldern. Parallel dazu sammeln viele Verbände in Zukunfts-Cafés vor Ort Ideen.
  • Der nächste Zukunftskongress findet am 25. Juli in Rosenheim statt: „Marktwirtschaft – Die Kraft der kreativen Zerstörung: Wie wir ein neues Wirtschaftswunder schaffen können.“ Ein weiterer tagt am 10. Oktober in Schweinfurt: „Demokratie – Die Renaissance des Staates: Wie wir das Gemeinwesen neu denken können.“
  • Auf dem Großen Parteitag in München am 20./21. November 2015 werden die Ergebnisse der Kongressreihe und erste Eckpunkte vorgelegt.
  • 2016 wird ein Parteitag über die Schlussfassung des neuen Grundsatzprogramms beraten.
  • Weitere Informationen und Möglichkeiten der Ideen-Eingabe gibt es unter www.csu-grundsatzkommission.de.

BK/dia