London hat es in der Hand
Artikel 50 des Vertrages über die Europäische Union sieht für die Austrittsverhandlungen zwischen der EU und Großbritannien eine zweijährige Frist vor. Danach droht London ein ungeregeltes Ausscheiden aus der EU – ohne Austrittsvertrag und ohne Reglung der neuen Beziehungen zur EU. Aber: Allein London entscheidet darüber, wann diese zweijährige Frist beginnt.
Brexit, aber wie?

London hat es in der Hand

Artikel 50 des Vertrages über die Europäische Union sieht für die Austrittsverhandlungen zwischen der EU und Großbritannien eine zweijährige Frist vor. Danach droht London ein ungeregeltes Ausscheiden aus der EU – ohne Austrittsvertrag und ohne Reglung der neuen Beziehungen zur EU. Aber: Allein London entscheidet darüber, wann diese zweijährige Frist beginnt.

Der 23. eines Monats wird zum vorbelasteten Datum für Referenden über einen EU-Austritt: Ebenfalls an einem 23., am 23. Februar 1982, stimmten auch die 55.000 Grönländer per Referendum für den Austritt aus der damaligen Europäischen Gemeinschaft (EG). Grönland wollte damals seine reichen Nordatlantik-Fischgründe vor europäischen Fischfangflotten schützen. Ein gut begründetes Anliegen. Drei Jahre später, am 1. Januar 1985, wurde Grönlands Austritt aus der EG vollzogen. Als autonomer Teil des Königreiches Dänemark genießt Grönland allerdings weiterhin den Status eines „assoziierten überseeischen Landes“, sogar mit den Vorteilen einer Zollunion, obwohl es nicht zum Zollgebiet der EU gehört.

Artikel 50 des EU-Vertrages

Mit Großbritannien und dem Brexit wird es komplizierter werden. Wie Londons EU-Austritt ablaufen wird, regelt der fünf Absätze lange Artikel 50 des Vertrages über die Europäische Union, der seit dem 13. Dezember 2007 mit anderen europäischen Vertragswerken im Vertrag von Lissabon zusammengefasst ist.

Grundsätzlich hat jeder Mitgliedstaat das Recht, aus der Union auszutreten (Absatz 1). Ein Mitgliedstaat, der den Austritt beschließt, teilt dem Europäischen Rat anschließend seine Absicht mit (Absatz 2). Der Europäische Rat handelt dann ein Austrittsabkommen mit diesem Staat aus, in dem auch dessen künftige Beziehungen zur EU geregelt werden sollen.

Gemäß Artikel 218 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union – seit Dezember 2007 ebenfalls Teil des Vertrages von Lissabon – erteilt der Rat eine Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen, benennt einen Verhandlungsführer und legt Verhandlungsrichtlinien fest. Der Austrittsvertrag, heißt es wieder in Artikel 50, wird im Namen der Union geschlossen und mit qualifizierter Ratsmehrheit beschlossen – nach Zustimmung des Europäischen Parlaments. Was im britischen Fall wichtig werden könnte: Ein Assoziierungsabkommen braucht im Rat nicht nur die sogenannte qualifizierte Mehrheit – 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten –, sondern Einstimmigkeit.

Entscheidend: Der Tag der Mitteilung an den Rat

Von überragender Bedeutung ist Absatz 3 von Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union: Für das Austrittsland endet die EU-Mitgliedschaft entweder ab dem ausgehandelten Tag des Inkrafttretens des Austrittsabkommens – „oder andernfalls zwei Jahre nach der in Absatz 2 genannten Mitteilung“ über den Austrittswunsch an den Rat. Es sei denn, die übrigen 27 Mitglieder des Europäischen Rats beschließen einstimmig, diese Frist zu verlängern.

Daraus folgt dreierlei:

  • Das Austrittsland bleibt bis zu diesem Zeitpunkt Vollmitglied der EU mit allen Rechten und Pflichten – inklusive etwa des Vetorecht bei Entscheidungen im Rat, die Einstimmigkeit erfordern.
  • Wenn bis Ende der Zweijahresfrist das Austrittsabkommen und gegebenenfalls ein Assoziierungsabkommen nicht stehen, dann scheidet das Austrittsland ungeregelt aus der EU aus, ohne Austrittsvertrag, ohne Klarheit über seine künftigen Beziehungen zur EU.
  • Allein das Austrittsland kann den zweijährigen Austrittsprozess in Gang setzen, in dem es dem Rat vom Austrittswunsch Mitteilung macht. Der Wahl des Datums für diese Mitteilung kommt darum große Bedeutung zu. Bemerkenswert: Eine Frist dafür gibt es nicht, jedenfalls nicht laut Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union. London hat es also in der Hand.

Klar ist dagegen nach Absatz 4 jenes Artikel 50, dass das Austrittsland an den Ratsverhandlungen und den Ratsbeschlüssen über den Austrittsvertrag natürlich nicht teil nimmt. Ansonsten aber bleibt Großbritannien bis zum Austritt voll gleichberechtigtes EU-Mitglied. Der EU stehen also zwei sehr schwierige Jahre bevor, mindestens, in denen sie sich vor allem mit sich selbst beschäftigen wird.