Riads Hammerschlag
Das Scheitern der OPEC-Runde in Doha ist ein Signal: Der Ölpreis wird wieder sinken – weil Saudi-Arabien einen Ölpreiskrieg gegen den Iran und Russland führt. Was die Konsumenten überall in der Welt freut, bedroht die Wirtschaft missregierter und fragiler Ölförderländer: Öltiefstpreise treiben die Auflösung und Neuordnung der arabischen Welt voran.
Ölpreis

Riads Hammerschlag

Das Scheitern der OPEC-Runde in Doha ist ein Signal: Der Ölpreis wird wieder sinken – weil Saudi-Arabien einen Ölpreiskrieg gegen den Iran und Russland führt. Was die Konsumenten überall in der Welt freut, bedroht die Wirtschaft missregierter und fragiler Ölförderländer: Öltiefstpreise treiben die Auflösung und Neuordnung der arabischen Welt voran.

Nur auf den ersten Blick ist die OPEC-Runde in Doha an Teheran gescheitert. Tatsächlich entscheidend war eine überraschende saudi-arabische Volte – womöglich mit Blick auf Russland. Seit Februar war die außerplanmäßige OPEC-Runde avisiert worden. An Rohöl-Tiefstpreisen unter 30 Dollar pro Fass der Sorte Brent verzweifelnde Förderländer wie Venezuela, Angola, Nigeria und Ecuador hatten darauf gedrungen. Saudi-Arabien, das eine OPEC-Verhandlungsrunde vor dem regulären Juni-Termin in Wien zunächst ausgeschlossen hatte, gab nach. Denn auch in Riad verursacht der tiefe Sturz des Ölpreises Schmerzen. Russland, dessen Wirtschaft zuletzt um fast vier Prozent geschrumpft ist, musste nicht lange gebeten werden.

Zweck des Treffens in Doha sollte es sein, die Förderquoten der OPEC-Staaten auf den Rekordständen vom Januar einzufrieren. Kein ehrgeiziges Ziel und keine Beschränkung oder Härte für keines der Förderländer. Am Status quo der Förderraten und des Preises hätte sich nicht viel geändert. Trotzdem wäre das Zeichen für die Ölförderländer und für den Ölpreis wichtig gewesen: Es wäre die erste OPEC-Einigung auf eine Begrenzung der Förderung seit 15 Jahren gewesen – ein Signal.

Saudische Volte in letzter Minute

Sicher, der stellvertretende saudische Kronprinz Mohammed bin Salman hatte mehrfach gewarnt, dass Riad keine Einigung unterzeichnen würde, wenn nicht auch der Iran dadurch gebunden würde. Aber dass der Iran nicht mitmachen würde, war von vornherein klar. Im Januar von vielen Sanktionen – darunter dem Ölembargo – befreit, will das Land zurück auf den Ölmarkt und zurück zu Förderquoten von vor bald zehn Jahre alten Sanktionen. Teheran habe nicht die Absicht, nun die gefallenen Sanktionen sozusagen durch eigene Sanktionen gegen sich selbst zu ersetzen, verkündete denn auch am Vorabend des Doha-Treffens der stellvertretende iranische Ölminister.

Einigung zwischen Riad und Moskau.

Trotzdem schien im Grunde schon alles in trockenen Tüchern zu sein. In Doha hätte nur noch unterzeichnet werden sollen. Tatsächlich hatte die russische Presseagentur Interfax schon am 12. April gemeldet, Saudi-Arabien und Russland hätten Einigung darüber erzielt, dass Riad seine Ölförderung einfrieren würde – ohne Rücksicht auf Beteiligung oder Nichtbeteiligung des Iran. Der Entwurf der OPEC-Erklärung war schon fertig. Russlands Energieminister Alexander Novak flog optimistisch gestimmt nach Doha.

Wir haben heute viel diskutiert, und zwar deshalb, weil einige OPEC-Länder ihre Position in der Frühe geändert haben.

Russlands Energieminister Alexander Novak

Aber dann hat Riad die schon stehende Übereinkunft doch noch umgeworfen, im letzten Moment. In Doha bestanden die Saudis plötzlich auf einer Formulierung, die das Einfrieren der Ölförderung auf dem Stand vom Januar von der Beteiligung des Iran abhängig machte. Was alle überrascht hat: „Ich dachte, die Länder, die gekommen sind, sind gekommen, um sich zu einigen, und nicht um darüber zu diskutieren, dass die Länder, die nicht gekommen sind, teilnehmen müssen“, so Russlands Minister Novak: „Wir haben heute viel diskutiert, und zwar deshalb, weil einige OPEC-Länder ihre Position in der Frühe geändert haben.“ Damit meinte der Russe vor allem ein Land: Saudi-Arabien, nach dem sich andere Golfstaaten zu richten pflegen.

Saudi-Arabiens Ölpreis-Krieg gegen Iran und − Russland

„Die Tatsache, dass Saudi-Arabien die Einigung blockiert zu haben scheint, ist ein Indikator dafür, wie Riads Ölpolitik vom anhaltenden geopolitischen Konflikt mit dem Iran gesteuert wird“, zitiert der Nachrichtendienstleister Bloomberg einen amerikanischen Öl-Experten. Doch das allein kann es kaum gewesen sein. Zwar will Teheran seine Ölförderung auf vier Millionen Fass am Tag verdoppeln. Davon ist es aber noch weit entfernt. Tatsächlich ist den Iranern seit dem Ende der Sanktionen im Januar nur eine Exportsteigerung um etwa 200.000 Fass gelungen – aber nicht aus zusätzlicher Förderung, sondern aus Lagerbeständen, schreibt das Internetmagazin Oilprice.com. Um die Förderung zu erhöhen, müsste Teheran massiv in seine Ölinfrastruktur erhöhen. Doch dazu fehlen die Investoren. Tatsächlich gibt es in Teheran noch nicht einmal einen Konsens darüber, ob man ausländische Investitionen in die iranische Ölindustrie überhaupt erlauben will, geschweige denn einen entsprechenden Vertragstext, den man ausländischen Investoren anbieten könnte.

Den Iranern ist seit dem Ende der Sanktionen im Januar nur eine Exportsteigerung um etwa 200.000 Fass gelungen – aber nicht aus zusätzlicher Förderung, sondern aus Lagerbeständen.

Riad führt einen Ölpreiskrieg gegen Iran, den großen Rivalen um die Vormacht in der Region und Kriegsgegner in Jemen, Irak und Syrien. Und gegen Russland, das sich in Syrien auf die Seite der schiitischen Allianz aus Teheran, Bagdad, Damaskus und Hisbollah geschlagen hat. Auch der Konflikt mit Moskau steuert also Riads Ölpolitik. Es ist kein Zufall, dass es offenbar eine Übereinkunft mit Russland war, die die Saudis jetzt in aller letzter Minute haben platzen lassen. Auch das ist ein Signal.

Natürlich will Saudi-Arabien auch die neue US-amerikanische Konkurrenz in die Knie zwingen, die mit Fracking das Land vom Ös- und Gas-Importeur zum Exporteur gemacht hat. Niedrige Ölpreise machen das teure Fracking unwirtschaftlich, was zu einer Pleite der Förderfirmen führen könnte.

Riads Hammerschlag gegen die Förderländer

Vom saudischen „Hammerschlag gegen die anderen Förderländer“, spricht ein britischer Experte. Der Hammerschlag trifft denn auch die Russen besonders hart. Anders als die Saudis können die Russen ihre Förderrate kaum steigern. Um neue Lagerstätten in Sibirien oder der Arktis zu erschließen, braucht Moskau Geld, das bei den aktuellen Öltiefstpreisen eben fehlt. Russlands Energieministerium sieht bis 2020 schon die russische Förderung von derzeit 10,6 auf 9,2 Millionen Fass am Tag sinken.

Das Scheitern der Doha-Runde ist ein dramatisches Signal, das den Ölpreis weiter nach unten treiben wird.

Wie geht es weiter? Das Einfrieren der OPEC-Förderung auf den Rekordständen vom Januar hätte am Öl-Überangebot nicht viel geändert. Aber das Scheitern der Doha-Runde ist nun ein dramatisches Signal, das den Ölpreis weiter nach unten treiben wird. Und schon gibt es weitere Signale: Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed Bin Salman deutet kürzlich an, dass Riad seine Ölförderung um eine weitere Million auf 11,5 Millionen Fass pro Tag steigern könnte – „wenn wir das wollten“. Nur ein Streik der kuwaitischen Ölarbeiter bewahrt derzeit den Ölpreis vor sofortigem Absturz: Kuwaits Ölförderung hat sich am vergangenen Wochenende von 2,9 Millionen auf 1,1 Millionen Fass pro Tag fast gedrittelt.

Nah-Tod-Erfahrung instabiler Öl-Staaten

Von einer „Nah-Tod-Erfahrung“ vieler Ölförderländer sprechen Beobachter mit Blick auf die Öltiefstpreise um 30 Dollar pro Fass vom Februar. Derzeit liegt der Preis pro Fass der Sorte Brent bei knapp 43 Dollar. Das wird wohl nicht anhalten. Russlands Energieministerium sieht den Ölpreis für die Jahre 2016 und 2017 wieder bei Werten von 31 bis 33 Dollar pro Fass. Was Folgen haben wird für die politische und wirtschaftliche Stabilität ohnehin fragiler Ölförderländer und -regionen: Russland etwa, das vor allem vom Ölexport lebt, droht weitere Rezession und Zunahme der Inflation von derzeit 8,4 Prozent. Moskaus Haushaltsdefizit könnte von jetzt 2,6 auf vier Prozent steigen, warnt Finanzminister Anton Siluanow – wenn der Ölpreis nicht weiter sinkt. Die Russen müssen sich auf schrumpfende Reallöhne und Renten gefasst machen. Nicht auszuschließen sind deshalb neue außenpolitische Abenteuer von Russlands Autokraten Putin, um von dem Desaster daheim abzulenken.

Afrikas Petro-Staaten implodieren.

Foreign Policy

Kein Zufall ist auch, dass Länder wie Venezuela und Nigeria auf die Sitzung in Doha gedrängt hatten. Sie haben die Nahtod-Erfahrung der Öltiefstpreise besonders unmittelbar vor Augen. Das sozialistisch kaputtregierte Venezuela, mit derzeit 8,8 Prozent Rezession, einem Haushaltsdefizit von 14,4 und einer Inflation von 181 Prozent könnte vollends in Chaos und revolutionäre Gewalt abrutschen. Ungute Vorzeichen sind auf der anderen Seite des Atlantiks in Westafrika sichtbar: „Afrikas Petro-Staaten implodieren“, warnt schon das amerikanische Politikmagazin Foreign Policy. Nigeria, Afrikas bevölkerungsreichstes Land (180 Millionen) und die größte Wirtschaft des Kontinents, hängt zu 70 Prozent von Öleinnahmen ab – und befindet sich jetzt im wirtschaftlichen Absturz. Das Wirtschaftswachstum hat sich von etwa sechs auf drei Prozent halbiert, die Fremdwährungsreserven schwinden dramatisch. Sogar für den Kampf gegen die Korruption, den Nigerias neuer Präsident Muhammadu Buhari versprochen hat, fehlt jetzt das Geld – vom Krieg gegen die Boko-Haram-Dschihadisten im Norden des Landes nicht geredet. Im Niger-Delta, dem Zentrum der Öl-Infrastruktur im Süden des Riesenlandes, hat die Regierung vor knapp zehn Jahren mit viel Geld von etwa 30.000 Mann starken Rebellengruppen einen leidlichen Frieden erkauft. Auch das gerät jetzt in Gefahr.

In Saudi-Arabien wächst die Gefahr der Instabilität.

Die schlimmsten Wirkungen des Absturzes des Ölpreises drohen in der ohnehin in Chaos und Umbruch begriffenen arabischen Welt. In Libyen oder im Irak machen wegbrechende Öleinnahmen die Suche nach Kompromissen zwischen Clans, Stämmen, Ethnien und Religionsgruppen nicht einfacher. Sogar in Saudi-Arabien wächst die Gefahr der Instabilität: Sparpolitik, wegfallende Subventionen, noch nie dagewesene Steuern, Bevölkerungsexplosion, sehr junge Bevölkerung, Arbeitslosigkeit, wachsende Unruhe der schiitischen Minderheit und steigender sunnitischer Radikalismus, fließen zur bedrohlichen Gemengelage zusammen. Alles erinnert an Bedingungen für den sogenannten arabischen Frühling in Tunesien, Ägypten und Syrien. Für Riad hinzu kommt der Krieg in Jemen und in Syrien.

Wenn auch noch Algerien, das größte Land Afrikas, ins Chaos abstürzt, wird es die die gesamte Sahelzone und ganz Nordafrika mit sich reißen.

Besonders gefährdet ist ein anderes Ölförderland, das – noch – keine große Aufmerksamkeit genießt: Algerien. Dort laufen jetzt drei krisenhafte Entwicklungen zusammen: bevorstehender Regimewechsel, wachsende islamistische Tendenzen, wirtschaftlicher Absturz. Vor bald 20 Jahren hat das Regime in fast zehn jährigem Bürgerkrieg, der bis zu 200.000 Todesopfer kostete, islamistische Machtübernahme abgewendet. Jetzt droht von Süden (Mali) und Osten (Libyen) her neuer dschihadistischer Aufruhr. Wenn auch noch Algerien, das größte Land Afrikas, in arabisches Chaos abstürzt, wird es die die gesamte Sahelzone und ganz Nordafrika mit sich reißen − mit dramatischen Folgen für Europa an der mittelmeerischen Gegenküste. Die Auflösung und vollständige Neuordnung der arabisch-islamischen Welt käme in eine völlig neue Phase.