Terror gegen Pakistans Christen
Terror am Ostersonntag: Eine mit Nägeln und Schrauben gefüllte 20-Kilo-Bombe gegen Kinder auf einem Spielplatz in Lahore. Die islamistischen Terroristen drohen mit weiteren Anschlägen in Punjab. Zum Hintergrund der Tat gehört die fortschreitende islamische Radikalisierung der pakistanischen Gesellschaft. Staat und Justiz haben auf breiter Front vor den Islamisten kapituliert, sagen Beobachter.
Bombenanschlag

Terror gegen Pakistans Christen

Terror am Ostersonntag: Eine mit Nägeln und Schrauben gefüllte 20-Kilo-Bombe gegen Kinder auf einem Spielplatz in Lahore. Die islamistischen Terroristen drohen mit weiteren Anschlägen in Punjab. Zum Hintergrund der Tat gehört die fortschreitende islamische Radikalisierung der pakistanischen Gesellschaft. Staat und Justiz haben auf breiter Front vor den Islamisten kapituliert, sagen Beobachter.

In Pakistan hat sich etwas verändert, zum noch schlechteren, ahnt die die liberale englischsprachige pakistanische Tageszeitung Dawn (Auflage 109.000) nach dem verheerenden Bombenanschlag vom Ostersonntag in Lahore: „Der lange Kampf gegen die Radikalen geht in eine noch dunklere und ungewisse neue Phase.“

Terror gegen Pakistans Christen

Die Pakistaner haben schon viele Terrormassaker erlebt. Aber der Terrorschlag vom vergangenen Sonntag war so unmenschlich, „dass der Verstand es kaum fassen kann“ (Dawn). Im beliebtesten Park der Sieben-Millionen-Stadt Lahore und dort auf einem Spielplatz zündete der Terrorist seine 20-Kilo-Bombe nahe den Kinderschaukeln. Möglichst viele Kinder und Familien sollten getroffen werden, um größtmögliches Grauen zu erzielen. Viele Familien genossen gerade einen Sonnentag im Gulshan–e-Iqbal-Park, darunter eine große Zahl christlicher Familien, die dort den Ostertag begingen.

Wir haben diesen Anschlag in Lahore ausgeführt, weil die Christen unser Ziel sind.

Bekenner-Botschaft der Jahmaat ul Ahrar-Terroristen

Lahore ist ein Zentrum der kleinen christlichen Minderheit im Lande – etwa fünf Millionen von 180 Millionen Pakistanis. Vor allen ihnen galt die zusätzlich mit Nägeln und Schrauben versetzte Bombe am Ostersonntag. Die Eisenteile hatten die Wirkung von Schrapnellen, sie töteten und verletzten viele weitere Menschen. Mindestens 72 Personen kamen ums Leben, darunter viele Frauen und etwa 35 Kinder. Etwa 350 Personen wurden zum Teil schwer verletzt – Pakistans schlimmster Terrortag seit dem Dezember 2014, als pakistanische Taliban in der Grenzstadt Peshawar eine Schule für Kinder von Militärangehörigen angriffen und 136 Schüler ermordeten.

… und gegen den Staat

Am vergangenen Ostersonntag ging es um die christliche Minderheit – und um die Staatsmacht in Pakistans größter Provinz Punjab. „Wir haben diesen Anschlag in Lahore ausgeführt, weil die Christen unser Ziel sind“, heißt es in der Bekennerbotschaft der Jahmaat ul Ahrar, einer Splittergruppe der pakistanischen Taliban. Und weiter: „Wir schicken diese Botschaft an Premierminister Nawaz Sharif, um ihm zu sagen, dass wir in Lahore angekommen sind.“ Die Terroristen kündigten weitere Angriffe an: „Wir werden in der Zukunft weitere Anschläge dieser Art ausführen. Die Infrastruktur der Armee und der pakistanischen Regierung, Schulen und Universitäten gehören auch zu unseren Zielen.“

Wir schicken diese Botschaft an Premierminister Nawaz Sharif, um ihm zu sagen, dass wir in Lahore angekommen sind.

Bekenner-Botschaft

Lahore ist nicht nur ein Schwerpunkt der kleinen christlichen Gemeinde des Landes, sondern auch ein Zentrum der Staatsmacht und die Heimatstadt von Premier Sharif. Sein jüngerer Bruder ist Chef der Regionalregierung von Punjab, der mit 110 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten und einflussreichsten Provinz. Viele Angehörige der zivilen oder militärischen Elite Pakistans kommen aus Lahore oder anderen Teilen Punjabs. Bislang konnte Punjab als halbwegs friedlich gelten, jedenfalls für pakistanische Verhältnisse und im Vergleich zu den Regionen entlang der Grenze zu Afghanistan und der großen Unruhe-Provinz Belutschistan. Nicht mehr. Die Bombe von Lahore „markiert eine weitere Eskalation in Pakistans Kampf gegen den Extremismus“, kommentiert denn auch die Londoner Wochenzeitung The Economist.

Eskalation in Pakistans Kampf gegen den Extremismus.

The Economist

Von einer „Ausweitung der Kampfzone“ schreibt die Neue Zürcher Zeitung. Wohin diese Ausweitung das Land führt, muss sich zeigen. Der Blick auf den jüngsten „Nationalen Aktionsplan” gegen den Terror in anderen Regionen des Landes und auf dessen rücksichtslose und eigenmächtige militärische Umsetzung durch die Armee macht die Kommentatoren der in Karachi Tageszeitung Dawn unruhig: „Wenn das Gleiche mit einer neuen, größeren Anti-Terror-Phase jetzt in Punjab passiert, dann könnte das Ergebnis verheerend werden − für Punjab und das Land.”

Radikaler Islam im Punjab

Das Pakistans Terror-Eskalation nun ausgerechnet im Punjab stattfindet, ist kein Zufall. Die Provinz hat ein altes und wachsendes Problem mit radikalen islamischen Gruppierungen, dem lange keine Aufmerksamkeit geschenkt wurde, schreibt Dawn. Das ist womöglich nur die halbe Wahrheit. Sharifs regierende Muslim-Liga-Partei werde nachgesagt, sich mit Jihadisten-Gruppen in Punjab arrangiert zu haben, berichtet The Economist. Manche von ihnen seien jahrelang von der pakistanischen Armee unterstützt und gegen Indien und Afghanistan eingesetzt worden. Erst seit dem Terror-Anschlag von Peschawar vor anderthalb Jahren geht Pakistans Armee entschlossen gegen die Dschihadisten vor − und eben mit großer Härte, die dann vielerorts die Bevölkerung gegen Staat und Armee aufbringt.

Religionsgelehrte laufen Sturm gegen ein Gesetz zum Schutz für Frauen gegen Gewalt.

Dazu kommt wachsende Radikalisierung der pakistanischen Gesellschaft. In Punjab etwa hat sich in den vergangenen Wochen ein Konflikt zwischen der Provinzregierung und „religiös-konservativen Kreisen“ zugespitzt, berichtet die Neue Zürcher Zeitung: Das Provinzparlament hat in diesem März ein für Pakistan revolutionäres Gesetz verabschiedet, das die Position von Frauen stärkt, wenn es um häusliche Gewalt oder um Streit um Mitgift geht. Islamisten, aber eben auch ein politisches Beratungsgremium von Religionsgelehrten, bekämpfen das Gesetz als unislamisch, fordern seine Rücknahme und haben dafür ein Ultimatum gesetzt, das am Ostersonntag verstrichen ist.

Richter und Anwälte haben Angst vor den Terroristen, der Rechtsstaat hat auf breiter Front kapituliert.

Neue Zürcher Zeitung

Vor einem Monat hat Premierminister Nawaz Sharif Islamisten und im Grunde einen großen Teil des religiösen Lagers in Rage gebracht, weil der die Hinrichtung von Mumtaz Quadri veranlasste. Der einstige Leibwächter und Elitepolizist hatte vor fünf Jahren Salman Taseer, den damaligen – christlichen – Gouverneur der Provinz Punjab erschossen, weil der sich für die Abschaffung der pakistanischen Blasphemie-Gesetze und für die wegen angeblicher Beleidigung des Propheten zum Tode verurteilte Christin Aasia Bibi eingesetzt hatte. Hunderttausende Pakistanis hatten damals den Mörder wie einen Helden gefeiert. Zu Qadris Beerdigung Anfang März kamen Zehntausende.

Tausende Demonstranten in Islamabad fordern die Anerkennung eines Gouverneurs-Mörders als Märtyrer.

Nur Stunden vor dem Anschlag am Ostersonntag in Lahore hatten etwa 10.000 fanatische und gewaltbereite Demonstranten Teile der Hauptstadt Islamabad lahmgelegt. Noch zwei Tage später blockierten etwa 2000 von ihnen einen Platz vor dem Parlament. Die radikal-islamischen Demonstranten fordern die offizielle Anerkennung Qadris als „Märtyrer“. Sie verlangen gar, dass seine Gefängniszelle in ein nationales Kulturdenkmal verwandelt wird. Weitere Forderungen der Fanatiker vor dem Parlament in Islamabad: Die Blasphemie-Gesetze sollen nicht verändert werden; die für Blasphemie verurteilte Christin Aasia Bibi soll hingerichtet werden; alle sunnitischen Kleriker, die für Mord, Terror oder andere Verbrechen in den Gefängnis sitzen, sollen sofort freigelassen werden.

Pakistans islamisch fanatisierte Gesellschaft

Die Radikalisierung der pakistanischen Gesellschaft ist weit fortgeschritten. Islamistische Terroristen haben „weitgehend freie Bahn“, warnte schon vor einem Jahr etwa die Neue Zürcher Zeitung. Strafverfolgung müssten religiöse Fanatiker, Hassprediger und ihre bewaffneten Anhänger „höchstens ausnahmsweise befürchten“, so das Schweizer Blatt: „Richter und Anwälte haben Angst vor den Terroristen, der Rechtsstaat hat auf breiter Front kapituliert.“ Niemand wagt es etwa, die bösartigen und willkürlichen Blasphemiegesetze aus den achtziger Jahren wieder abzuschaffen.

84 Prozent der pakistanischen Muslime wollen das islamische Scharia-Recht als offizielles Gesetz im Lande.

Kein Wunder: Islamisten und Taliban fordern die konsequente Umsetzung des grausamen islamischen Scharia-Rechts – und die überwältigende Mehrheit der Pakistaner folgt ihnen dabei. Einer Umfrage des Washingtoner Pew Research Center aus dem Jahre 2013 zufolge wollen 84 Prozent der pakistanischen Muslime das islamische Scharia-Recht als offizielles Gesetz im Lande haben, das man als brutal und unmenschlich beschreiben muss. 76 Prozent dieser pakistanischen Scharia-Befürworter fordern auch die Todesstrafe für Religionsabtrünnige, und 89 Prozent von ihnen bestehen etwa auf der Steinigungsstrafe für Ehebrecher. Auch das gehört zu dem unschönen Bild von Pakistans Gesellschaft: Der Selbstmordtäter in Lahore war Lehrer an einer der vielen und in Pakistan populären Religionsschulen − Madrassas. Beunruhigend für Europäer: Unter den Millionen von Migranten, die im vergangenen Jahr Deutschland und Europa erreicht haben, sind Pakistanis besonders stark vertreten.