Die Zeit arbeitet für Kiew
In der Ostukraine arbeitet die Zeit für Kiew. Die Wirtschaft des Donbass ist zerstört, und Moskau muss für die Region aufkommen. Für Russland wird das jeden Tag teurer.
Ostukraine

Die Zeit arbeitet für Kiew

In der Ostukraine arbeitet die Zeit für Kiew. Die Wirtschaft des Donbass ist zerstört, und Moskau muss für die Region aufkommen. Für Russland wird das jeden Tag teurer.

Die Situation in den abtrünnigen Gebieten der Ostukraine wird unhaltbar – für Russland. Denn das Donbass-Gebiet steht vor dem wirtschaftlichen und sozialen Kollaps. Moskau wird das viel Geld kosten, das es zur Zeit nicht hat. Das berichtet das amerikanische Politik-­Magazin Foreign Policy und liefert spannende Zahlen.

Der UN-Flüchtlingsagentur UNHCR zufolge, haben seit März 2014 von etwa fünf Millionen Einwohnern der russisch besetzten Teile der Oblaste Donetzk und Luhansk etwa zwei Millionen das Gebiet verlassen: 1,25 Millionen Binnenflüchtlinge sind in andere Teile der Ukraine geflohen, knapp 800000 nach Russland (678000) und Weißrussland (81000). Von den zurückgebliebenen drei Millionen Ostukrainern seien etwa zwei Millionen Kinder und Rentner, so Foreign Policy. Bleibt eine Arbeitsbevölkerung von etwa einer Million Menschen, die alle Last tragen und auch noch kämpfen muss. Dazu passt, dass ukrainischen Quellen zufolge nur ein Drittel der Bevölkerung ein regelmäßiges Gehalt bezieht. Die Flucht geht weiter, sagen UNHCR-Zahlen: An nur zwei von der OECD überwachten Checkpoints an der russisch-ukrainischen Grenze hat sich im vergangenen April die Zahl der Flüchtlinge innerhalb einer Woche von 310 auf 602 Menschen fast verdoppelt.

Gleichzeitig ist die Industrieproduktion des Donbass 2014 um über ein Drittel gefallen, der Bausektor ist um über 50 Prozent geschrumpft. Brücken, Eisenbahnlinien und andere Infrastruktur sind vielfach zerstört. In Kiew wird der Schaden auf über zwei Milliarden Dollar geschätzt. In großen Teilen des Gebiets sind Strom, Gas und Wasser knapp. Der wirtschaftliche Verfall der Region hält an.

Wladimir Putin drängt fast schon verzweifelt Präsident Obama, Druck auf Kiew auszuüben

Die Lage im Donbass ist düster, und die Zeit arbeitet für Kiew, das seit Ende 2014 in der Ostukraine keine Renten mehr auszahlt. Moskau muss also nicht nur für den Krieg aufkommen, sondern auch die Region über Wasser halten – bei geschätzten 4,1 Prozent Rezession im Jahr 2015 (The Economist) und 15,2 Prozent Inflation in Russland.

Kein Wunder, dass Moskau will, dass die Separatistengebiete möglichst schnell in eine föderalisierte Ukraine integriert werden. Der Moskauer Tageszeitung The Moscow Times (Auflage: 35000) zufolge drängt Präsident Wladimir Putin etwa bei US-Präsident Barack Obama fast schon verzweifelt darauf, entsprechenden Druck auf Kiew auszuüben. Aber Kiew macht die Umsetzung der politischen Vereinbarungen des zweiten Minsker Abkommens – Sonderstatus und lokale Autonomie für die Ostukraine, Wiederaufnahme aller Leistungen – vom Abzug russischer Truppen, von der vollen Wiederherstellung ukrainischer Souveränität und von freien Wahlen nach ukrainischem Gesetz abhängig.

Das wäre für Putin eine politische Niederlage. So bleibt ihm nur die Drohung mit einer neuen Separatisten-Offensive, um den Druck auf Kiew zu erhöhen. Daher die immer wieder aufflackernden Gefechte, so The Moscow Times. Doch die Drohung ist nur begrenzt glaubwürdig: Wenn die russische Armee und die Separatisten weitere Gebiete eroberten, würden die Zerstörungen nur größer und noch mehr Ostukrainer würden fliehen. Der Donbass würde für Russland nur noch teurer.