Bonny Bollmann und Bernd Ferstl haben sich ihren Traum erfüllt. (Bild: A. Schuchardt)
Auswanderer

Ein Franke in Patagonien

Breze sucht Argentinier: Bonny Bollmann und Bernd Ferstl haben sich nach 20 Jahren ihren Traum erfüllt: eine Bäckerei in Patagonien. Der gebürtige Franke setzt auf das Interesse für Vollkorn und auf die Intuition seiner Frau.

Der Himmel ergießt sich über El Calafate. Durch die schmale Hauptstraße peitscht der Wind den Regen. Die Stadt im Herzen Patagoniens liegt im südlichen Zipfel von Argentinien, 13.600 Kilometer entfernt von Nürnberg, Heimat von Bernd Ferstl. Er parkt seinen Lieferwagen so nah wie möglich vor dem kleinen Laden und sprintet mit einer großen Kiste Richtung Eingangstür. Er schließt auf, dabei tropft ihm der Regen von der riesigen goldenen Breze über ihm – dem Aushängeschild des Geschäfts – in den Nacken. Ferstl lacht trotzdem. „Ein Sauwetter, aber so ist das halt hier“, sagt er und tritt ein. Aus der Kiste weht der Duft süßer Teilchen. Im Inneren der schmalen Stube mit den hohen hellen Wänden mischt er sich mit dem Geruch von Kaffee und frischem Brot. „Das ist unser neues Reich“, sagt Ferstl.

Die Breze ist das Aushängeschild unseres Ladens.

Bernd Ferstl

Mit der „Panaderia“ (Spanisch für „Bäckerei“) hat er sich gemeinsam mit seiner Frau den Lebenstraum erfüllt, den sie seit ihrem Umzug von Deutschland nach El Calafate vor 16 Jahren in sich tragen. In der Zeit hat sich der Ort zu einem der beliebtesten Ausflugsziele in Argentinien entwickelt. Die einstige 3000-Seelen-Gemeinde wuchs zu einer Kleinstadt mit mehr als 22.000 Einwohnern. Die Einheimischen wohnen in einfach gebauten kleinen Häusern, abseits der Hauptstraße streunen viele Hunde durch die unbefestigten Schotterstraßen. Umringt von Hügeln, auf denen der Wind die beige-grünen Hälmer und Sträuche zerzaust, liegt die Gemeinde am Seeufer des türkis schimmernden Largo Argentino.

Nicht nur bayerische Spezialitäten

„Eine Bäckerei zeichnet sich dadurch aus, dass man jeden Tag alles neu produziert. Das trägt mich sehr, weil ich dadurch die Verantwortung habe, dass täglich alles hundertprozentig passen muss“, sagt Ferstl und bestückt die Verkaufsauslagen aus hell gestrichenem Holz mit Brotlaiben aus Roggen und Vollkorn.

Von der Wand ragen aus zwei Metern Höhe mehrere Holzstangen in den Raum. Dort drapiert der Nürnberger mehrere salzige Brezen: „Die Breze ist das Aushängeschild unseres Ladens, aber wir wollen nicht nur typisch bayerische Spezialitäten anbieten“. Zur kulinarischen Bandbreite gehören Produkte, die in verschiedenen Kulturen verankert sind. So ragen aus den Körben auch französische Baguettes. In der Glasvitrine reihen sich dänische Plunderteilchen neben Buttercroissants gefüllt mit „Dulce de Leche“, ein in Argentinien heiß begehrter süßer Aufstrich aus Milchkaramell.

Von Hamburg nach El Calafate

Zuckriges statt Herzhaftes, so wählen viele Südamerikaner. Doch die Ferstls wollen ihre Kunden auf einen neuen Geschmack bringen: mit Vollkorngebäck und Salzbrezen. Zwar kaufen hier auch viele Touristen ein, aber nur während der Saison. Von April bis Oktober ist der Bäcker auf einheimische Stammgäste angewiesen. „Wir müssen die Leute hier erst einmal mit Laugenteig und Vollkorn vertraut machen. Bonny hat dabei die Intuition, was den Argentiniern schmecken könnte“, sagt der 46-Jährige.

Bonny Bollmann ist in dem südamerikanischen Land geboren und aufgewachsen. Während eines Deutschlandaufenthaltes Anfang der 1990er-Jahre lernte sie Ferstl kennen. Der Nürnberger studierte zu der Zeit Musik in Hamburg.

Um ihren Traum von einer Bäckerei Wirklichkeit werden zu lassen, schloss er neben seinem Studium eine Bäckerlehre ab. 1996 entschlossen sie sich zu heiraten. Das Paar sparte Geld und investierte rund 10.000 Euro in Maschinen einer alten Bäckerei und einen Laster. Drei Jahre später dann der Umzug nach El Calafate. Durch die Nähe zum 80 Kilometer entfernten berühmtesten Gletscher Südamerikas, dem Perito Moreno, war das Dorf schon damals vom europäischen Tourismus geprägt. So reihen sich in der Hauptstraße neben Italienern und Crêperien allerhand Reiseanbieter und Hostels. 2001 eröffnete der 15 Kilometer nahe Flughafen und läutete damit endgültig das Ende der Einsamkeit ein – zumindest während der Sommermonate. Mindestens dreimal am Tag landen hier Flugzeuge und bringen Menschen aus aller Welt.

Vom Caterer zum Verkäufer

So wie der Ort wuchs auch Ferstls Unternehmen. Anfangs arbeiteten beide im Tourismus. Ins Backgeschäft stiegen sie 2005 ein. Dazu baute das Paar eine kleine Fabrik gleich neben ihrem Wohnhaus. Von dort aus belieferten sie Hotels, Restaurants und Supermärkte mit Gebäck, auch die ansässige Fluggesellschaft Aerolineas Argentinas gehört bis heute zum Kundenkreis. Die Eröffnung der Bäckerei für Laufkundschaft – der ursprüngliche Traum – erfüllte sich erst im Herbst 2016. Ferstl und Bollmann investierten 30.000 Euro in den Umbau zum Bäckereiladen.

Zurzeit laufen der dortige Betrieb und die Lieferungen an rund 20 Restaurants und Hotels parallel. Das funktioniert, weil Ferstl nicht nur von seiner Frau, sondern auch von ihren beiden Kindern Milena und Arian Unterstützung bekommt. Zudem kreiert der Bäcker alle Rezepte selbst. Die Produktion des Feingebäcks übernimmt der Franke persönlich. Kunden können zwischen rund 60 verschiedenen Gebäcksorten wählen. Abhängig von der Jahreszeit gibt es spezielle Leckereien, wie Christstollen an Weihnachten oder Krapfen an Fasching.

„Für mich geht es um Kulturaustausch“

Nicht nur mit dem Backgeschäft hat sich Ferstl einen festen Platz in der Gemeinde erarbeitet. Als Leiter des ortsansässigen Chors geht der Bayer seiner Passion, der Musik, nach. Auch ein Orchester hat er gegründet. Bäckereihandwerk und Musik gehört für ihn zusammen. „Für mich geht es nicht nur darum ein wirtschaftlich tragbares Unternehmen zu haben. Mir ist auch der Kulturaustausch wichtig. Spannend finde ich dabei, politisch und sozial in einem Land wie Argentinien mitmischen zu können, das noch sehr stark in der Entwicklung ist.“

Die relaxte Einstellung zum Leben, das ist etwas, was wir von den Argentiniern lernen können. Wir sind oft viel zu durchgetaktet.

Bernd Ferstl

Die größte Herausforderung beim Backen ist für Ferstl die Technik. Zutaten bekommt er aus Buenos Aires geliefert, aber qualitative Öfen und Froster, daran hapert es noch. Der Import von technischen Geräten in Argentinien wurde durch die ehemalige Regierung stark reglementiert. Mit dem Regierungswechsel im November 2015 hofft der Bäcker, dass sich die wirtschaftliche Lage bald ändert. An eine moderne Sauerteigmaschine ist bisher noch nicht zu denken. Bis dahin machen er und seine Mitarbeiter alles per Hand, wie auch den Laugenteig für die Brezen.

Kostprobe El-Calafate-Beere

Ob sich die Bäckerei im Namen der Breze lohnt, wird das Paar am Ende der Saison im Frühjahr 2017 wissen. Entwickelt sie sich zu einer lukrativen Investition, werden sie Unterstützung anheuern. Die Besonderheit aus Bayern kommt bisher gut an. Rund 40 Brezen wandern täglich über die Ladentheke. Immer mehr einheimische Stammgäste kommen auch zu Kaffee und Apfelstrudel vorbei. „Die relaxte Einstellung zum Leben, das ist etwas, was wir von den Argentiniern lernen können. Wir sind oft viel zu durchgetaktet“, sagt er und gießt sich noch einen Kaffee ein. Dazu nascht er ein Plunderteilchen. Oben drauf thronen bittersüße dunkelblaue Beeren. „Sie heißen ‚El Calafate-Beeren‘, weil sie hier überall wachsen“, erklärt er. Den Touristen bietet Ferstl gerne diese regionale Spezialität an: Wer von der Beere nasche, der komme wieder – so lautet zumindest ein argentinisches Sprichwort.