Kein Scherz: Governor Jack A. Markell aus dem kleinen US-Ostküstenstaat Delaware geht in Bayern auf Großwildjagd. Er sucht Bayerns größtes und wertvollstes, aber eben auch scheuestes Wild. Der US-Gouverneur ist auf der Jagd nach Bayerns Mittelstand, nach bayerischen „hidden champions“ – so nennen Volkswirtschaftler kleine und mittelständische Unternehmen, die in ihren Nischen mit speziellen Produkten Top-Qualität liefern und oft sogar Weltmarktführer sind. Champions eben. Und in Bayern, weiß Markell, gibt es Hunderttausende erfolgreiche Mittelständler.
Hauptziel der Mission ist es, die Verbindungen zu den blühenden kleinen und mittleren Unternehmen (bekannt als Mittelstand) in Bayern und seiner Hauptstadt München zu stärken.
Governor Markell
Natürlich will Markell Bayerns Mittelständler nicht erlegen, sondern sie nach Delaware locken. Dafür ist er eigens nach München gekommen. Wo er Gespräche führt mit der Politik und mit Mittelständlern − vor allem mit Mittelständlern. „Hauptziel der Mission ist es, die Verbindungen zu den blühenden kleinen und mittleren Unternehmen (bekannt als Mittelstand) in Bayern und seiner Hauptstadt München zu stärken”, hat er zum Antritt seiner fast einwöchigen Reise zuhause in einer Pressemitteilung geschrieben. Markells kleine Delegationsreise ist Teil seiner dieses Jahr vorgestellten Initiative „Global Delaware” − und Bayern ist die erste Station.
Hatte ein produktives Treffen mit bayerischen Biotechnologie-Unternehmen, die Interesse haben, in die USA zu kommen.
Governor Markell per Twitter
Donnerstag Nachmittag hatte er einen Termin in Martinsried. Das Gespräch in dem Spitzenstandort für Biotechnologie-Unternehmen ist ihm wichtig. „Wir haben in Delaware auch ein Biotechnologie-Cluster“, sagt er zuvor beim Frühstück in München. „Und deswegen bin ich nach Bayern gekommen.“ Nach dem Besuch in Martinsried setzt er gleich ein Tweet ab: „Hatte ein produktives Treffen mit bayerischen Biotechnologie-Unternehmen, die Interesse haben, in die USA zu kommen.” Die Delawareans sollen wissen, was ihr Gouverneur in Bayern so treibt. Ein schöner Erfolg für Martinsried und für Bayern. Denn wieviele US-Gouverneure – Ministerpräsidenten – kennen schon Martinsried?
Bayern und Delaware
Der Governor hat seine Hausaufgaben gemacht und sich Bayern ganz bewusst ausgesucht: „Wir haben uns auf Bayern konzentriert.“ Denn Bayern und Delaware, meint er, sind sich in ein paar Dingen ähnlich. Natürlich ist Bayern mehr als zehnmal größer als der gerade einmal 6447 Quadratkilometer große US-Bundesstaat mit etwa 900.000 Einwohnern. Trotzdem gibt es tatsächlich Gemeinsamkeiten: Beide, der kleine Ostküstenstaat und der Freistaat, sind mitten auf der schwierigen Reise in eine völlig neue Wirtschaftswelt. Beiden gelingt bisher die Anpassung an die Bedingungen der sogenannte new economy – der High-Tech-Wirtschaft – gut. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 61.183 Dollar pro Kopf ist Delaware der reichste US-Bundesstaat. Bei den großen Rating-Agenturen hält Delaware als einer von wenigen US-Bundesstaaten schon seit 15 Jahren sein Triple-A-Rating.
Ich möchte mit Delaware da hin, wo Bayern ist.
Governor Markell
Beide, Bayern und Delaware, sind in ihren Nationen die Top-Wirtschaftsstandorte: So finden sich In der größeren Region um Delaware 80 Prozent der amerikanischen Pharmaindustrie. Delaware hat landesweit die dritthöchste Konzentration von IT-Arbeitsplätzen. Beide, Bayern und Delaware, haben verstanden, dass es bei immer schnellerem wirtschaftlichen Wandel vor allem auf eines ankommt: sich möglichst effektiv mit dem Rest der Welt zu vernetzen und zu verbinden. Markell: „Erfolg für unseren Staat im 21. Jahrhundert heißt, über die Grenzen hinauszuschauen, um für die Delawareans Arbeitsplätze und wirtschaftliche Möglichkeiten zu schaffen.”
Bewunderung für Bayern
Bei allem IT und High-Tech ist Delaware trotzdem auch ein bisschen ein Agrarstaat geblieben: 2500 Farmen bewirtschaften 39 Prozent der Fläche des Staates. Im Jahr 2012 belief sich Delawares Agrarproduktion auf 12 Milliarden Dollar. Delaware ist der achtwichtigste Exporteur von Geflügelprodukten in den USA.
So ein wunderschöner Park, mitten in der Großstadt – das ist Lebensqualität.
Governor Markell
Ein Stück Bewunderung für den Freistaat kommt für Governor Markell dazu: „Ich möchte mit Delaware dahin, wo Bayern ist.“ Und in München gefällt es ihm blendend. Vor dem Frühstückstermin hat er sich ein Fahrrad ausgeliehen und ist durch den Englischen Garten geradelt. Er ist immer noch begeistert: „So ein wunderschöner Park, mitten in der Großstadt – das ist Lebensqualität.“ Während des Gesprächs wird er noch einmal auf den Englischen Garten zurückkommen.
Unternehmerisch denkender Regierungschef
Wie viele amerikanische Politiker hat auch Markell einen deutlichen Wirtschaftshintergrund. Er ist Betriebswirtschaftler und hat für den Unternehmensberater McKinsey gearbeitet. In der Gründungsphase des US-Mobilfunkbetreibers Sprint Company war er Angestellter Nummer 13 – heute ist Sprint das viertgrößte Unternehmen seiner Art in den USA, mit gut 64.000 Mitarbeitern und 43 Milliarden Dollar Umsatz.
Als Finanzminister im demokratisch regierten Delaware betonte Markell von 1998 bis 2008 fiskalische Solidität und senkte die Staatsausgaben. Was Markell − und in den USA wahrscheinlich nicht nur er − unter fiskalischer Transparenz versteht, zeigt ein so amüsantes wie aufschlussreiches Detail: Auf der offiziellen Webseite des Staates Delaware legt er offen, was seine kleine Delegationsreise nach Deutschland schätzungsweise kostet: weniger als 50.000 Dollar. 2008 gewann Markell – sozusagen mit der Obama-Welle – für die Demokraten den kleinen Bundesstaat mit satten 67 Prozent der Stimmen. 2012 gelang ihm die Wiederwahl sogar mit 69 Prozent.
Mir sind zehn Unternehmen mit 1000 Arbeitsplätzen oder 100 Firmen mit 100 Stellen lieber als ein einziger Arbeitgeber mit 10.000 Arbeitsplätzen.
Governor Markell
Der Gouverneur wird als unternehmerisch denkend beschrieben. Genau das führt ihn jetzt zu Bayerns Mittelstand. Nicht dass er in seinem Staat etwas gegen Großunternehmen wie Siemens oder BMW hätte – Siemens beschäftigt in Delaware 1000 Arbeitnehmer. Aber die Großen, meint er, „hat sowieso jeder auf dem Radar“. Und bei aller Attraktivität ist so ein Riesenarbeitgeber für einen kleinen Staat auch nicht ganz unproblematisch. Wenn die Branche und das Unternehmen in Schwierigkeiten geraten, können auf einen Schlag Tausende Arbeitsplätze betroffen sein. Delaware hat das im Fall des Chemie-Giganten Du Pont schon zu spüren bekommen: Das Unternehmen hat in Delaware einmal 17.000 Arbeitnehmer beschäftigt, heute nur noch ein Zehntel davon. Markell: „Mir sind zehn Unternehmen mit 1000 Arbeitsplätzen oder 100 Firmen mit 100 Stellen lieber als ein einziger Arbeitgeber mit 10.000.“
Außerdem setzt der Gouverneur auf Diversifizierung und freut sich genauso über Arbeitgeber, die 10, 15, oder 20 Arbeitnehmer in Brot und Geld setzen. Was man auch an einer Delaware-Steuerbestimmung erkennt: Ein Unternehmen, das 200.000 Dollar oder mehr investiert und fünf oder mehr qualifizierte Mitarbeiter einstellt, erhält eine Steuergutschrift.
Hilfestellung für Mittelständler, die den Schritt über den Atlantik wagen
Das „Wild“, das er nun in Bayern sucht, sind kleine Unternehmen, die vielleicht schon Geschäftsverbindungen in die USA haben. Solche Mittelständler sind in den meisten Fällen Familienunternehmen mit konservativ denkender, sehr vorsichtiger Führung. Genau darum scheuen viele von ihnen die schwierige, teure Entscheidung zum Schritt über den großen Teich. Um den Mittelständlern die Entscheidung zu erleichtern, wirbt Delaware mit Hilfestellungen und Unternehmensdienstleistungen aller Art – vor allem juristischen.
Delaware gilt im Bereich Unternehmens- und Rechtsdienstleistungen in den USA als unangefochtener Marktführer
Die Staatsregierung in der Hauptstadt Dover hält sich dafür eigens eine stets reaktionsbereite Unternehmensabteilung, die Investoren mit Rat und Tat zur Seite steht. Tatsächlich gilt der kleine Ostküstenstaat im Bereich Unternehmens- und Rechtsdienstleistungen in den USA als unangefochtener Marktführer. Delawares großer Trumpf ist denn auch seine im ganzen Land gerühmte vortreffliche Rechtspflege. In den USA unterliegen Firmen stets dem Recht des Staates, in dem sie registriert sind. Weil Delawares Justiz und seine Richter so einen guten Ruf haben, sind dort über eine Million Unternehmen registriert, darunter 65 Prozent der 500 weltweit größten börsennotierten Konzerne.
Klein und praktisch in bevorzugter Lage
Auch aus rein geographischen Gründen wäre Delaware wahrscheinlich keine schlechte Wahl für einen bayerischen Mittelständler, der vielleicht überlegt, den Schritt über den Atlantik zu wagen. Es gibt eine direkte Flugverbindung vom München nach Philadelphia, 20 Minuten von Delaware entfernt. „Small ist beautiful“ – für Delaware gilt das allemal. „Hier kennt jeder jeden“, meint eine Mitarbeiterin des Gouverneurs. Es ist leicht, Leute zusammen zu bringen – Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Wirtschaft und Politik. Besonders gerne spricht Governor Markell von den vielen gut ausgebildeten Arbeitskräften in Delaware: Der Staat wirbt mit der zweithöchsten Konzentration von Doktortiteln pro Einwohner in den USA.
Im Sommer versammelt sich Washington an Delawares Stränden und macht den Bundesstaat zur ‚Sommer-Hauptstadt der Nation‘
Dazu kommt die bevorzugte Lage in gleichkurzer Entfernung zwischen New York und Washington. Es ist möglich einen Vormittagstermin in New York wahrzunehmen und zum Mittagessen wieder in Delaware zurück zu sein. Wer sich lieber in New York niederlässt, zahlt dreimal höhere Mieten und knapp den doppelten Mediandurchschnittslohn. Nach Washington muss man von Delaware aus gar nicht fahren, jedenfalls nicht im Sommer. Denn dann kommt die Hauptstadt nach Delaware. Alles, was in Washington Rang und Namen hat, versammelt sich in schönen Ferien-Domizilen an Delawares Stränden. Was dem Bundesstaat einen Spitznamen eingetragen hat: „The Nation‘s Summer Capital“ – Sommer-Hauptstadt der Nation.