Der Neubau der EZB in Frankfurt am Main. (Bild: European Central Bank/Robert Metsch/fkn)
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Schluss mit dem Sonderweg

Gastbeitrag Nach der Wende in den USA müsste auch die Europäische Zentralbank zu normalen Zinssätzen zurückkehren, verlangt Bayerns Sparkassenpräsident Ulrich Netzer. Mit einer steigenden Inflation wird ein wesentliches Argument für die Nullzinspolitik Stück für Stück entkräftet. Aus dem BAYERNKURIER-Magazin.

Die große Zins-Nachricht vom Jahresende 2016 strahlt ins Jahr 2017 hinein: Die US-Notenbank Fed erhöht ihren Leitzins. Zunächst nur minimal, doch weitere Schritte dürften bald folgen. Sogar drei Erhöhungen in 2017 kann sich die Fed vorstellen. Das ist ein Signal dafür, dass sich die Zeit der ultraniedrigen Zinsen – zumindest in den USA – ihrem Ende zu nähern scheint. Es zeigt sich eine Wende, allerdings auf weiterhin extrem niedrigen Niveau.

Die mannigfaltigen Nebenwirkungen der anhaltenden Niedrig-, Null- oder Negativzinsen werden dabei weiterhin in Kauf genommen, auch wenn die Arznei ihre Wirkung nicht wie gewünscht entfaltet.

Ulrich Netzer

Zum Leidwesen der Sparer wählt Europa noch einen anderen Weg. Zwar dürften die langfristigen Zinsen durch internationale Arbitragegeschäfte schon mittelfristig mit ansteigen, doch die kurzfristigen Zinsen diesseits des Atlantiks bleiben durch die Geldpolitik der EZB auf niedrigstem Niveau zementiert. Die mannigfaltigen Nebenwirkungen der anhaltenden Niedrig-, Null- oder Negativzinsen werden dabei weiterhin in Kauf genommen, auch wenn die Arznei ihre Wirkung nicht wie gewünscht entfaltet. Während die konjunkturellen und strukturellen Wirkungen ausbleiben, werden die Altersvorsorge der Bürger beschädigt und die Geschäftsmodelle eines Großteils von Finanzdienstleistern extrem belastet. Auch wenn es uns nicht gefällt, wir müssen uns weiterhin mit diesen Kollateralschäden auseinandersetzen, uns in dieser neuen, verdrehten Welt ohne Zinsen oder sogar Minuszinsen orientieren und ihr mit neuen Strategien begegnen.

Sparen bleibt richtig

Sparer, Stiftungen, Pensionskassen und Finanzdienstleister in Deutschland spüren das Niedrigzinsniveau sehr empfindlich. Ein auf Null geschrumpfter Zinseszinseffekt behindert das Kapitalwachstum und die geringe Differenz zwischen Einlage- und Kreditzinsen die Profitabilität im Bankgeschäft. Die Belastung steigt mit jedem weiteren Jahr der Niedrigzinsphase, da mehr und mehr höher verzinsliche Anlagen fällig werden und durch neue, niedriger verzinste ersetzt werden müssen. Werden aber deshalb erprobte und lang gültige Verhaltensregeln und Geschäftsmodelle in Frage gestellt? Nein. Der Spargedanke ist auch in Zeiten von Niedrig- und sogar Negativzinsen richtig. Der Rückenwind, den ein guter Zins gibt, fehlt – umso wichtiger wird es also, selbst stärker in die Pedale zu treten. Und auch die Geschäftsmodelle der Finanzwirtschaft bleiben gute Marken. Die Finanzdienstleister müssen aber hart kämpfen, um die derzeitige Ausnahmephase gut zu bewältigen. Strukturen, Kosten, Preisgefüge kommen dazu auf den Prüfstand.

Es ist inzwischen Allgemeingut, dass im aktuellen Zinsumfeld mehr Rendite nur mit einem höheren Risiko erkauft werden kann.

Ulrich Netzer

Wo Sparen alleine nicht mehr ausreicht, um Vermögen aufzubauen und zu sichern, bieten sich Wertpapiere als Anlagealternative an. Es ist inzwischen Allgemeingut, dass im aktuellen Zinsumfeld mehr Rendite nur mit einem höheren Risiko erkauft werden kann. Dazu sind allerdings nur 10 Prozent der Deutschen auch wirklich bereit. Viele Menschen haben offensichtlich nach mehreren Jahren Niedrig- und Negativzinsphase resigniert und sind derzeit auch nicht bereit, sich auf die Spielregeln eines Markts mit umgekehrten Vorzeichen einzulassen. Aktien sind aber wie Immobilien ohnehin nicht für alle Sparer geeignet, denn sie setzen ein moderates Vermögen und eine entsprechende Risikotragfähigkeit voraus. Für die Bevölkerungsgruppe mit kleinerem Einkommen und Vermögen bedarf es anderer Möglichkeiten.

Spielraum für den Staat

Gerade Geringverdiener sollten Vermögen für ihre Zukunft aufbauen können. Im Moment sind es aber vor allem die öffentlichen Haushalte, die von der anhaltenden Niedrigzinsphase profitieren. Allein der Bund spart durch den massiven Zinsrückgang pro Prozentpunkt Zinssenkung jedes Jahr rund 11 Milliarden Euro. Es wäre also durchaus eine Option, einen Teil dieser Zinsersparnisse durch eine stärkere Unterstützung des Sparens wieder an die benachteiligten Sparer zurückzugeben. Eine Reform des Vermögensbildungsgesetzes wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Denn die heute geltenden Einkommensgrenzen und Anlage-Höchstbeträge für die Förderung des VL-Bausparens wurden beispielsweise zuletzt 1999 überarbeitet. Weil die Nettolöhne und ‑gehälter der Arbeitnehmer inzwischen aber um rund 32 Prozent gestiegen sind, fallen viele Sparer heute aus der Förderung. Auch steuerliche Anreize für das selbstgenutzte Eigenheim sowie eine Anhebung der Einkommensgrenzen und Fördersätze bei der Wohnungsbauprämie wären denkbar.

Mit einer steigenden Inflation wird 2017 auch ein wesentliches Argument für die Nullzinspolitik der Zentralbank Stück für Stück entkräftet.

Ulrich Netzer

Doch auch wenn neue Fördermöglichkeiten geschaffen werden, wenn Sparer und Finanzdienstleister sich an die verdrehte Zinswelt anpassen ‑ die EZB sollte der Fed nachziehen. Dass ein Umsteuern nicht nur angedacht ist, sondern auch langsam in Gang gesetzt wird, zeigen erste Entscheidungen vom Jahresende 2016, mit denen die EZB zwar noch nicht den Rückwärtsgang einlegt, aber offensichtlich das Tempo drosselt. Mit einer steigenden Inflation wird 2017 auch ein wesentliches Argument für die Nullzinspolitik der Zentralbank Stück für Stück entkräftet. Es ist an der Zeit, die Rückkehr in eine normale Zinslandschaft auch in Europa einzuleiten.