Dr. Ulrich Netzer, Präsident des Sparkassenverbands Bayern, fordert von der EU Zurückhaltung. Bild: Imago/Stephan Görlich
Sparkassen und EU

Plädoyer für die Verhältnismäßigkeit

Gastbeitrag Die deutschen Regionalbanken wie Sparkassen und Volksbanken funktionieren anders als Großbanken. Und sie haben eine andere Aufgabe: Die Finanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen. Die EU hat das offenbar nicht verstanden und setzt nach der Bankenkrise falsche Akzente. Ein Beitrag von Dr. Ulrich Netzer, Präsident des Sparkassenverbandes Bayern.

Die Sparkassen als kommunale Kreditinstitute sind schon immer sehr regional aufgestellt. Sie versorgen die Bürger und die Wirtschaft in ihren Geschäftsgebieten mit Finanzdienstleistungen, die sie aus ihrem überregionalen Verbund der Sparkassen-Finanzgruppe beziehen. Denn fast jede der 413 deutschen oder 71 bayerischen Sparkassen für sich ist zu klein, um selbst ein umfassendes Produktangebot entwickeln zu können. So verbinden sie die Vorteile der professionellen zentralen Produktentwicklung damit, dass sie über das ganze Land verteilt räumlich und persönlich nah an ihren Kunden sind. Sie können deshalb schneller und flexibler reagieren als so manche Großbank. Dieses dezentral organisierte System arbeitet seit vielen Jahrzehnten reibungsfrei und stabil.

Doch wir stellen fest – Europa tickt anders.

Dr. Ulrich Netzer

Inzwischen steht eine starke europäische Union für den Wohlstand der Gemeinschaft. Auch wir sind überzeugte Europäer und wollen stabile europäische Strukturen. Doch wir stellen fest – Europa tickt anders: Ein breiter und allgemeiner Blick über alle Mitgliedsländer legt verlässliche und allgemeingültige Regeln für alle Beteiligten nahe, seien es reiche oder arme Länder, seien sie zentral oder dezentral organisiert und sei ihr Bankensystem dreigliedrig wie in Deutschland aufgebaut oder nicht. Die zentralen europäischen Entscheidungsstrukturen sind also schon vom Prinzip her so angelegt, dass sie sich schwer tun mit den Besonderheiten der deutschen Regionalbanken, die ganz anders funktionieren als internationale Großbanken.

Nach der Bankenkrise durfte es nicht so weitergehen

Nach der Finanzkrise war allen klar: So darf es nicht weitergehen. Banken müssen anders reguliert werden, damit nie wieder Steuerzahler für die Rettung von Banken herangezogen werden müssen. Doch welche Schwierigkeiten dieser allgemeine Ansatz nach sich ziehen würde, war damals niemandem bewusst. Daran, dass Regeln, die mit Blick auf große Privatbanken ersonnen wurden, nicht unbedingt für Regionalbanken passen würden, sie mitunter sogar an den Rand der Überforderung treiben könnten, hatte noch niemand gedacht.

Mit einer übermäßigen Belastung der Sparkassen sind deshalb immer auch unnötige Lasten für die heimische Wirtschaft verbunden.

Dr. Ulrich Netzer

Nach 30 Gesetzesvorhaben in 5 Jahren zeigt sich allerdings immer deutlicher, dass Regulierungsmaßnahmen stärker nach Größe und Risikogehalt von Kreditinstituten differenzieren müssen, damit sie nicht andere, ernsthafte Probleme nach sich ziehen. Denn schon aufgrund der beschränkten Ressourcen leiden Regionalinstitute besonders unter der ausufernden Regulatorik und unter überbordenden Meldepflichten. Sparkassen sind und bleiben regionale Institute, die sich vornehmlich um die Menschen und die mittelständische Wirtschaft kümmern. Mit einer übermäßigen Belastung der Sparkassen sind deshalb immer auch unnötige Lasten für die heimische Wirtschaft verbunden.

Basel III – ein Schlag gegen kleine und mittlere Unternehmen

Nehmen wir Basel III, die Regeln zur „Eigenkapitalunterlegung von Kreditrisiken“. Worum geht es? Alle Kreditinstitute müssen bis zum Jahr 2019 mehr Eigenkapital vorhalten, um sich gegen mögliche Risiken in der Kreditvergabe zu wappnen. Nun beabsichtigt die europäische Bankenaufsicht weitere Verschärfungen, die besonders die Kreditfinanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen verteuern werden:

  • So soll für Unternehmen mit einem Umsatz von weniger als 5 Millionen Euro deutlich mehr Kapital vorgehalten werden als bisher.
  • ­Auch Kreditlinien, die nicht in Anspruch genommen und jederzeit kündbar sind, sollen künftig mit Eigenkapital unterlegt werden.
  • ­Mit der Einführung von Basel II im Jahr 2008 und von Basel III im Jahr 2013 waren jeweils „Mittelstandserleichterungen“ verbunden, die jetzt stark eingeschränkt werden sollen.

Das engt die Spielräume der Sparkassen, der Hauptfinanzierungspartner der kleinen und mittelständischen Unternehmen, zur Kreditvergabe ein. Leidtragend wird  letztlich der Mittelstand sein.

Das Kreditregister AnaCredit (Analytical Credit Dataset) als Datengrab

Die Europäische Zentralbank (EZB) bereitet derzeit das zentrale Kreditregister AnaCredit vor, das durch ein äußerst aufwändiges Meldesystem für Kreditdaten befüllt wird. Danach sollen die Kreditinstitute ab 2017 bereits Kredite ab 25.000 Euro mit jeweils über 150 Einzelmerkmalen mitteilen. Das bedeutet einen immensen zusätzlichen Aufwand. Hier schafft die EZB ein Datengrab und macht den Kunden gläsern, ohne dass die Bankenaufsicht einen sachlich begründeten Mehrwert damit schafft.

Diesem Aufwand steht aber kein entsprechender Nutzen gegenüber.

Dr. Ulrich Netzer

Wir sind froh, dass der EU-Abgeordnete Markus Ferber uns Regionalbanken bei der Ablehnung von AnaCredit unterstützt. Zu Recht fragt er nach der Verhältnismäßigkeit und hat bereits deutliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit des AnaCredit-Projekts gegenüber der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht geäußert. Fest steht, dass dieses Vorhaben mit einem sehr erheblichen Melde- und Datenschutzaufwand verbunden sein wird. Diesem Aufwand steht aber kein entsprechender Nutzen gegenüber. Zumindest die Meldeschwellen müssen angehoben und die automatische Befüllung ermöglicht werden. Ansonsten werden wiederum besonders die Spielräume der kleinen Regionalbanken eingeschränkt, die weniger Ressourcen haben und zudem mehr Kleinkredite in ihrem Portfolio haben. Leidtragend sind letztlich wiederum deren Kunden.

Auch die Kapitalmarktunion gefährdet Unternehmen

Die EU-Kommission möchte Wachstum und Beschäftigung in Europa fördern und setzt dabei auf einen künftig erleichterten Kapitalmarktzugang für Unternehmen. Die Grundzüge einer Kapitalmarktunion sollen deshalb bis 2019 festgelegt werden. Doch wir müssen uns bewusst sein, dass die Hürde für kleinere Unternehmen wie einen mittelständischen Handwerksbetrieb auch dann noch zu hoch sein wird, wenn die Kosten für den Kapitalmarktzugang wirklich gesenkt werden. Diese Betriebe finanzieren sich nicht über die Börse und das wird sich auch nicht ändern. Für kleine und mittelständische Unternehmen bleibt der Bankkredit nach wie vor die zentrale Säule der Außenfinanzierung. Das muss auch weiterhin möglich sein. Unsere Mittelstandskunden verlassen sich auf ihre gewachsene, belastbare Vertrauensbeziehung zu ihrer örtlichen Hausbank – der Sparkasse. Wenn die Kreditfinanzierung im Rahmen der Kapitalmarktunion erschwert würde, wären letztlich wieder die kleinen und mittleren Unternehmen, die größte Kundenklientel der Sparkassen, betroffen.

Europäische Einlagensicherung setzt falsche Anreize

Die EU-Kommission unter der Führung von Präsident Juncker drängt derzeit  massiv auf eine EU-weite Einlagensicherung für die Ersparnisse der Bankenkunden. Damit soll nach der einheitlichen Bankenaufsicht  und dem gemeinsamen Abwicklungsmechanismus nun auch die dritte Säule der europäischen Bankenunion verwirklicht werden. Dazu wird die Kommission noch im November einen konkreten Gesetzesvorschlag präsentieren. Jetzt auch einen einheitlichen Einlagenschutz für alle EU-Mitglieder zu schaffen, klingt zunächst auch folgerichtig. Denn das Ziel ist ja eine Bankenunion über ganz Europa, die so konstruiert ist, dass Notlagen im Bankensystem nie wieder vom Steuerzahler ausgeglichen werden müssen.

Eine Vergemeinschaftung höhlt das Haftungsprinzip aus.

Dr. Ulrich Netzer

Bei genauerem Hinsehen offenbaren sich allerdings ansehnliche Stolpersteine: Wir haben seit dem vergangenen Jahr eine bestehende europäische Richtlinie zur Einlagensicherung, die jedem Bürger in Europa einen Mindestschutz zusagt. Der wird allerdings noch nicht von allen europäischen Mitgliedsstaaten eingehalten. Während die Sparkassen und Genossenschaftsbanken sogar zusätzlich ihre eigenen Institutssicherungssysteme pflegen, hat etwa die Hälfte der Staaten noch nicht einmal diese Richtlinie umgesetzt. Die Einlagensicherungssysteme sind also in der Praxis noch lange nicht harmonisiert. Ob die nächste Stufe nun ein gemeinsamer Einlagensicherungsfonds oder ein gegenseitiges Rückversicherungssystem wäre – wir warnen davor, zu glauben, dass ein größeres und verzweigteres System per se mehr Sicherheit bringt. Das Gegenteil ist der Fall. Wir brauchen das Zusammenspiel von Risiko und Verantwortung für die Risiken vor Ort. Verteilt man diese Risiken über viele Länder, so setzt man falsche Anreize zum Trittbrettfahren. Eine Vergemeinschaftung höhlt das Haftungsprinzip aus.

Differenzierte Regulierung notwendig

Wer die wirtschaftliche Entwicklung in Europa unterstützen will, muss wieder zurückkehren zu einer besseren Differenzierung in der Finanzmarktregulatorik. Die Komplexität, das Risiko der verschiedenen Geschäftsmodelle und die internationalen Abhängigkeiten müssen eine stärkere Rolle spielen. Hier wird noch zu vieles über den gleichen Kamm geschoren. Wir brauchen aber eine Abstufung nach Risikogehalt, Größe und Geschäftsmodell wie in den USA. Dort hat man sich entschieden, die Regulierung so auszugestalten, dass sie auf die jeweiligen Geschäftsmodelle passt. Das wäre auch eine Blaupause für die EU.

Vor lauter Melde- und Dokumentationspflichten kommen die Sparkassen ihrer eigentlichen Aufgabe, der Versorgung der lokalen Unternehmen und breiter Bevölkerungsteile, nur noch eingeschränkt nach.

Dr. Ulrich Netzer

Grundsätzlich fordern wir auch immer wieder, die administrative Belastung für kleine und mittlere Institute wie die Sparkassen zu reduzieren. Ein immer größerer Datenhunger und die Regulierungsdichte der Aufsichtsinstanzen überlasten die Institute bereits jetzt – auch ohne die Einführung von AnaCredit. Die Gefahr ist, dass die Sparkassen vor lauter Melde- und Dokumentationspflichten ihrer eigentlichen Aufgabe, der Versorgung der lokalen Unternehmen und breiter Bevölkerungsteile, nur noch eingeschränkt nachkommen können.

Die Bundesregierung sollte keine Gelegenheit versäumen, auf europäischer Ebene dafür einzutreten, dass mehr Bewusstsein für die spezifische deutsche Finanzmarktkultur mit vielen kleinen und mittleren Regionalbanken entsteht. Dies muss sich dann auch in verhältnismäßigen aufsichtlichen Regelungen wiederfinden, die Regionalbanken nicht genauso behandeln wie internationale Großbanken. Denn am Ende der Regulierungskette stehen immer die Kunden, die darunter leiden, wenn die Spielräume der Sparkassen übertrieben eingeengt werden.

Vom 1. Mai 1996 bis zum 30. April 2014 war Dr. Ulrich Netzer Oberbürgermeister der Stadt Kempten im Allgäu. Seit dem 1. Mai 2014 ist er Präsident des Sparkassenverbandes Bayern. Der promovierte Jurist arbeitete vor seiner ersten Wahl in verschiedenen Bereichen der Finanzverwaltung.