Dem Goldenen Zeitalter auf der Spur: Künstler Beltracchi im nachgebauten Vermeer-Atelier. Im Vordergrund Linse und Spiegel einer Camera obscura, wie sie der niederländische Maler verwendet haben könnte. (Foto: A.Lukas/Zott Artspace)
Malerei

Vermeer oder weniger

Edle Samtstoffe im Lichtspiel eines Halbseidenen: Der verurteilte Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi malt in München wieder im Stil Alter Meister. Diesmal ohne betrügerische Absichten, dafür aber in der Pose eines kunsthandwerklichen Aufklärers.

Seine Reflexe haben den Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi nicht verlassen. In einem Gebäudekomplex gegenüber der Münchner Pinakothek der Moderne steht das spitzbärtige Schlitzohr in einem vollständig zur Camera obscura umgebauten Raum. Bei dieser Ur-Kamera fallen Lichtreflektionen einer erleuchtete Szene durch eine Linse auf einen Maltisch in der Dunkelkammer, in welcher der Maler sie dann auf Leinwand bannen kann. Historische Landkarte an der Wand des Szenarios, massive Barockmöbel. Ein Handwerker hat bleiverglaste Butzenfenster wie aus dem 17. Jahrhundert in die Wand eingesetzt. Feinster Brokatstoff wirft Falten auf dem Tisch. Für sein „Vermeer Experiment“ hat Beltracchi das Atelier des niederländischen Malers aus dem Goldenen Zeitalter originalgetreu nachbauen lassen. „Und dieser Vermeer hat so einen aufwendigen Aufbau gehabt – und dann nur ein oder zwei Bilder im Jahr gemalt?“, fragt der Fälscher mit theatralischer Armbewegung. „Niemals“, belehrt er das Publikum seines Versuchsaufbaus.

Obskur und kreativ

Aus dieser Spekulation hat Beltracchi jahrelang dreist Profit geschlagen: Wo mehr sein könnte, muss auch mehr sein. Er fälschte viel und aufwendig. Max Ernst, Campendonk, Fernand Léger. Und narrte Sachverständige und Sammler. Betrug in Millionenhöhe, dafür saß er seit seiner Verurteilung 2011 mehrere Jahre im Gefängnis. Nach seiner Haftentlassung hat er im Unternehmer Christian Zott einen reichen Mäzen gefunden. Beltracchi fälscht jetzt nicht mehr – er „malt nach“ im Stil großer Meister. Beckmann, Picasso, Kandinsky. Aber unter seinem eigenen Namen. Er sucht „Leerstellen“ in der Kunstgeschichte, die er kreativ füllt. Mit Bildern, die es gegeben haben könnte, aber nicht gibt. An diesem Donnerstag Ende Oktober arbeitet er an Jan Vermeers bis dato unbekanntem „Philosophen“.

Nur 37 von Experten anerkannte Bilder hat Vermeer gemalt. Scheinbar simple Alltagsszenen, die immer wieder in seinem schwarz-weiß gekachelten Atelier mit dem bleiverglasten Fenster auf der linken Bildseite spielen. Dichte atmosphärische Stimmungen, magische Lichteffekte, filigrane Details. Den Schattenwurf feiner Samtstoffe, Reflektionen auf dem Schmuck der Personen oder auf Gegenständen im Motiv. Symbolisch aufgeladen sind diese Motive häufig mit bildlichen Anspielungen. Ein regelrechter Kult der Interpretation ist darum entstanden, gerade weil Vermeer so wenige Werke hinterließ. „Andere Maler rundherum haben dieselben Interieurs gemalt. Die konnten Stoffe, Samt, Gold sogar besser als Vermeer“, erklärt der „Nachmaler“ Beltracchi, „aber sie haben alle nicht diese Stimmung hingekriegt wie er.“

Warum wir das machen? Einfach weil es mir Spaß bereitet.

Christian Zott, Kunst-Fan

Für sein Experiment stellt der nach eigenen Angaben geläuterte Ex-Kriminelle allerlei Hypothesen auf. Zwei der berühmten Öl-Gemälde nimmt er als Ausgangspunkt, den „Astronom“ von 1668 und den „Geograph“ von 1669. Also könnte Vermeer doch auch 1670 einen „Philosophen“ gemalt haben. Spinoza, den hat er womöglich sogar gekannt hat, mutmaßt Beltracchi. Alles höchst spekulative Gedankengänge, denen der Vermeer-Fan keineswegs folgen muss.

Aber: Um den Denker Spinoza nach allen Regeln der niederländischen Malerei ins Bild zu setzen, unternimmt er höchst aufwendige Versuchsanordnungen, die ihm Geldgeber Zott finanziert. Und die sind sehenswert für ein Laienpublikum. Zwar erforschen Experten seit langem den Einsatz einer Camera obscura in Vermeers Atelier. Doch ganz praktisch in Aktion gesehen haben die meisten der handverlesenen zwei Dutzend Zuschauer an diesem Abend im „Zott Artspace“ diese Technik wohl noch nie.

Live-Übertragung aus dem Barock

Ein spektakulärer, fast filmischer Effekt: Im nachgebauten erleuchteten Atelier platziert der Neu-Maler ein männliches Modell – einen langhaarigen Modeverkäufer von der Münchner Maximilianstraße – im weinroten Mantel. Der Herr hantiert mit Glasgegenständen, und die riesige Linse der Camera obscura projiziert das Geschehen über einen Spiegel auf Beltracchis Mal-Tisch. Dabei lösen sich die farblichen Schattierungen des Kleidungsstoffs in von einander abgegrenzte Farbfelder auf. „Die kann ich fast wie bei ‚Malen nach Zahlen‘ ausfüllen“, lacht der Künstler. Die Kamera-Linse überträgt auch die Lichtbrechungen aus den Glas-Teilen so, dass sie als irisierend helle Punkte auf der Leinwand erscheinen. Glasklar der Effekt, wie ihn Vermeer auf vielen seiner Bilder erzielte.

Die Zuschauer staunen über die Plastizität der Kamera-Wirkung. Der Kopist Beltracchi schlussfolgert: „Das Geheimnis der Malerei Vermeers besteht darin, dass es kein Geheimnis gibt.“ Zumindest nicht mal-technisch. Umso zauberhafter bleiben freilich dessen Kunstfertigkeit in Bild-Komposition und symbolischer Aufladung. Beltracchi jedenfalls glaubt, dass der Barock-Maler kaum mehr als drei Wochen nebst Trocknungszeiten an einem Werk gepinselt haben kann. Weitere Kurzschlussfolgerung: Dann könnte, ja müsste er doch wesentlich mehr Bilder gemalt haben.

Länger als zwei oder drei Wochen reine Malzeit kann Vermeer nicht benötigt haben. Alles andere wäre Pfusch.

Wolfgang Beltracchi, Ex-Fälscher

Bliebe im Sinne naiver Sammler zu hoffen, dass der verurteilte Fälscher nach seinem Vermeer-Experiment nicht rückfällig wird. Und Kunstsachverständige nicht demnächst einen spektakulären neuen „Fund“ machen: den bis dato völlig unbekannten „Philosophen“ von Vermeer, der seinen Delfter Nachbarn Baruch de Spinoza darstellt – und einem Boutiquier von der Münchner Edel-Shopping-Meile auffallend ähnelt.