Gerhard Marcks bei der Arbeit in seinem Atelier Ende der 1940er Jahre. (Foto: Edwin Scharff Museum)
Ausstellung

Gerhard Marcks und seine Muse

Einen außergewöhnlich tiefen Einblick in Leben und Werk eines der wichtigsten deutschen Bildhauer des 20. Jahrhunderts ermöglicht derzeit das Edwin-Scharff-Museum in Neu-Ulm. In der Ausstellung „Stille im Zentrum des Zyklons“ zeigt es das künstlerische wie persönliche Verhältnis von Gerhard Marcks zu seiner Muse Trude Jalowetz.

„Von besonderem Zauber, schön und elegisch, ja sogar ein bisschen zärtlich.“ So charakterisiert Museumsleiterin Helga Gutbrod eine Werkgruppe von Gerhard Marcks (1889-1981), der das Edwin-Scharff-Museum bis 16. August seine Ausstellung „Stille im Zentrum des Zyklons“ widmet. Schon einmal konnte Gutbrod eine Ausstellung des deutschen Bildhauers, Zeichners und Grafikers nach Neu-Ulm holen: 2010 hatte sie für das Edwin-Scharff-Museum eine Überblicksausstellung zu dem gebürtigen Berliner und späteren Wahl-Rheinländer zusammengestellt. Dieses Mal geht sie nach eigenen Angaben nun ins Detail: Sie stellt das Verhältnis von Marcks zu seiner Muse und Modell-Figur Trude Jalowetz, später Trude Guermonprez (1910-1976), in den Fokus der Betrachtung und verschiedener Perspektiven.

Künstlerische Befruchtung

Im Mittelpunkt der Betrachtung steht dabei die 1932 entstandene Plastik „Still allein“, die als eines der zentralen Werke der deutschen Bildhauerei der 1930er Jahre gilt. Mit „Still allein“ hält Marcks sein Lieblingsmodell Jalowetz fest. Im weitesten Sinne steht die Skulptur laut Gutbrod aber noch für viel mehr – nämlich kontemplativ für die Geschichte der vielseitigen, weil auch politisch geprägten Beziehung zwischen dem Künstler und seiner Muse: 1934, nur etwas über ein Jahr nach Fertigstellung der Skulptur und drei Jahre nach ihrem Kennenlernen, endete die Zusammenarbeit der beiden schon wieder, weil die nationalsozialistischen Machthaber Marcks seiner Lehrtätigkeit enthoben und die jüdische Kunststudentin Jalowetz in die Niederlande fliehen musste. 

Zuvor war zwischen beiden eine enge Verbindung – ob es eine Liebesbeziehung war, ist unklar – entstanden, die sich für den verheirateten Marcks vor allem ökonomisch-künstlerisch auszahlte: Die Weberei-Schülerin an der renommierten Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein in Halle, wo Marcks seit 1925 die Bildhauerklasse unterrichtete, inspirierte ihn zu zahlreichen Zeichnungen. Nach diesen begann er bald, plastische Arbeiten zu fertigen; während der 1930er Jahre entstanden so mehr als 20 Bronzeplastiken und drei größere Steinskulpturen. Bei Sammlern waren die Figuren und Zeichnungen nach Jalowetz sehr beliebt. Und auch Jalowetz selbst fand im Laufe der Zeit ihren beruflichen Weg und ihre Selbstverwirklichung: Sie wurde später eine gefragte Textildesignerin.

Bedrückung durch Nationalsozialismus

Mit ihren rund 60 Exponaten rund um „Still allein“ erschöpft sich die Ausstellung aber nicht nur in künstlerischen Betrachtungen, sondern zeichnet auch die politischen Einflüsse auf die Arbeit Marcks’ nach. Sein Bauhaus- und anfänglicher expressionistischer Stil gefielen den Nationalsozialisten nicht. Noch vor seiner Entlassung von Burg Giebichenstein umschreibt er die dortige Bedrücktheit der politischen Stimmung in einem Brief an seine Frau am 23. Juni 1932 mit den Worten: „Abgesehen von einigen Arbeitslosenkrawallen ist es hier ganz still – in der Burg hört man wenig. Ich denke, wir haben jetzt das stille Zentrum des Zyklons erreicht.“ Seinen Plastiken nach 1932 ist jene Schwere der Situation anzumerken: Wie Marcks finden sie ihren Ruhepunkt im Inneren, als Ausdruck eines inneren Exils. Auch der Abschied von seiner Muse spiegelte sich in seinen folgenden Arbeiten wider.

Rein ideell kam Marcks nie von Jalowetz los: Immer wieder nahm er in der Folgezeit ältere Entwürfe wieder auf und entwickelte sie weiter. 1963 trafen sich beide auf Initiative Marcks’ sogar noch einmal in den USA, dem Wohnort von Jalowetz. Dort unterrichtete sie seit 1949 Webkunst und trug maßgeblich zur Durchsetzung der Textilarbeit als eigenständige Kunstform bei. Ihre abstrakten Arbeiten wurden in zahlreichen Ausstellungen gewürdigt – so wie auch Marcks noch zu Lebzeiten zu den – neben Ernst Barlach, Georg Kolbe und Wilhelm Lehmbruck – wichtigsten deutschen Bildhauern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gezählt wurde.

Werk-Neuzugang als Ausstellungs-Anlass

Umso mehr freut es Gutbrod, dass „Still allein“ von ihrem Museum mit Hilfe der Neu-Ulmer Kunststiftung Werner Schneider erworben werden konnte. Der Neuzugang der Museumssammlung gab gleichzeitig den Anlass für die Ausstellung sowie für die Beschäftigung mit einem Ausschnitt aus dem Leben und Werk Marcks’, jenes bedeutenden, späteren Künstler- und Lehrer-Kollegen Edwin Scharffs an der Landeskunstschule Hamburg. Unterstützung erhielt das Museum dabei vom Gerhard-Marcks-Haus in Bremen und von privaten Leihgebern.

Informationen zur Ausstellung:

Die Ausstellung „Die Stille im Zentrum des Zyklons. Gerhard Marcks und sein Modell Trude Jalowetz“ ist bis 16. August im Edwin-Scharff-Museum in Neu-Ulm zu sehen. Geöffnet ist Dienstag und Mittwoch 13-17 Uhr, Donnerstag, Freitag und Samstag 13-18 Uhr, Sonntag 10-18 Uhr. Führungen gibt es an bestimmten Sonntagen.

Weitere Informationen unter: www.edwinscharffmuseum.de.