Filmort Genf - Drehort München: "Snowden"-Hauptdarsteller Joseph Gordon Levitt fährt Vespa auf der Ludwigstraße. (Foto: Universum)
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Edward Snowden vor der Feldherrnhalle

Tarantino, Spielberg & Co. drehen bevorzugt in Berlin. Aber der Freistaat will zurück an den Platz im Scheinwerferlicht. Der Film-Fernseh-Fonds Bayern führt die Scouts der großen Studios zu den spannendsten Drehorten. Wer jetzt im Kino genau hinschaut, erkennt: Der US-Geheimdienst wohnt hinter der Münchner Olympiahalle und sein gefürchteter Whistleblower rollert über die Ludwigstraße.

Der amerikanische Geheimdienst-Whistleblower Edward Snowden ist mutmaßlich noch nie in Bayern gewesen. Vespa dürfte er auf der Münchner Ludwigstraße gar nicht gefahren sein, im Bayerischen Wald keine vermeintliche US-Militärbasis aufgesucht haben. Dennoch sehen es Tausende Kinobesucher in Deutschland und der ganzen Welt genau so. Denn Hollywood-Regisseur Oliver Stone hat große Teile seines Films „Snowden“ im Freistaat gedreht. „München hat am besten zu dem gepasst, was wir suchten“, erklärt der Filmemacher. Interessante Orte für Innen- und Außenaufnahmen hat Stones Team in der Stadt gefunden, zudem rund 1,6 Millionen Euro Unterstützung vom Film-Fernseh-Fonds Bayern kassiert.

Genfer Siegestor und Feldherrnhalle

Deshalb fährt Snowden-Darsteller Joseph Gordon Levitt mit dem Motorroller zwar laut Drehbuch durch Genf – für die Aufnahmen aber erkennbar an der Feldherrnhalle und am Schumann’s vorbei in Richtung Siegestor. Die NSA-Niederlassung auf Hawaii, aus welcher der reale Snowden per Datenstick Überwachungsmaterial schmuggelte, hat Filmemacher Stone in den Münchner Untergrund verlegt: in den etwa 200 Meter langen Liefertunnel hinter der Olympiahalle. Eine ähnlich riesige Betonröhre, verwinkelt und leicht abschüssig, obendrein über den Mittleren Ring bestens zugänglich für die Lastwagen der Filmequipment-Crews, finden Drehort-Scouts in ganz Europa nur selten.

Wir sind sehr zufrieden mit München, rund 80 Prozent unseres Films sind hier entstanden.

Oliver Stone, Regisseur von „Snowden“

Olympiapark-Geschäftsführer Arno Hartung ist stolz, dass die Zahl der Drehgenehmigungen auf seinem Areal in den vergangenen Jahren gestiegen ist: „Für uns ist es ganz wichtig, dass in dieser Stadt, in der der Film zu Hause ist, auch viel gedreht wird.“ So hat am Originalschauplatz des Olympiaattentats von 1972 schon Steven Spielberg Szenen für sein Dokumovie „München“ aufgenommen. Obendrein entstehen Werbespots und TV-Produktionen auf und unter der weitläufigen Anlage. Dabei geht es für die städtische Park-Anlage im Norden Schwabings nicht nur um cineastisch wertvolle Präsenz auf Leinwänden und Bildschirmen, sondern auch schlicht um Rentabilität: Pro Drehtag verlangt die Olympiapark-GmbH bis zu 10.000 Euro.

Verfolgungsjagd hinter dem Olympiaturm

Um die Produzenten der Welt auf die Möglichkeiten in Bayern aufmerksam zu machen, veranstaltet der Film-Fernseh-Fonds (FFF) regelmäßig Ortsbegehungen. Die Arrestzellen unter dem Olympiastadion sind interessant, weil Filmcrews in echten Polizeidienststellen nie das Kittchen abbilden dürfen. Die einstigen Umkleiden und Duschen der Bayern- und 1860-Spieler in 70er-Jahre-Orange könnten für Sportfilme in Frage kommen. Bei einer FFF-Führung bleibt die altgediente Szenenbildnerin Irene Edenhofer-Welzl begeistert an einer Betontreppe neben einer Autoabfahrt hinter dem Olympiaturm stehen. „Hier kann man super Verfolgungsjagden drehen“, verkündet sie. Gejagter und Verfolgter könnten die Treppe herabrennen, in einen Gang seitlich verschwinden – und die Kamera- und Tonleute über die Zufahrt problemlos die Ausrüstung herankarren. „Aber das allerbeste an diesem Ort: Man kann ihn nicht klar zuordnen – das könnte überall auf der ganzen Welt sein“, freut sich Edenhofer-Welzl. Ein klarer Pluspunkt für Filmproduktionen aus dem Ausland.

Im internationalen Filmgeschäft versucht der Freistaat derzeit, verlorenen Boden gut zu machen. Nachdem Kultfilmer Quentin Tarantino („Inglorious Basterds“) und Star-Darsteller Tom Cruise („Operation Walküre“) bevorzugt in Berlin auf Bilderjagd gingen, die Filmstudios im Potsdamer Stadtteil Babelsberg große Anziehungskraft auf Hollywood entwickeln und selbst George Clooney Aufnahmen im Harz („Monuments Men“) fertigte, möchten die bayerischen Filmförderer wieder zurück an den Platz im Scheinwerferlicht. Hilfe bei der Drehort-Suche, auf Neudeutsch „Location-Scouting“ genannt, soll dabei auch zur Selbsthilfe werden.

Bayerns höchster Trumpf: die Alpen

Mehr als 30 Millionen Euro pumpt der Freistaat über den FFF derzeit in die finanzielle Förderung. Während beispielsweise Nordrhein-Westfalen seine Ausgaben in diesem Bereich drosselt. Das Geld ist Hauptargument für Filmproduzenten, ganz oder in Teilen in der Förderregion zu absolvieren. Um attraktiver zu werden, will die Fördergesellschaft aber auch an eine spezielle Spezies der Makler heran: an die einheimischen Location-Scouts, die für Produzenten aus dem europäischen Ausland oder aus Übersee die zu ihren Drehbüchern passenden Drehorte suchen. Berlin hat unter anderem den ausgedienten Monumentalflughafen Tempelhof aus der Nazizeit zu bieten („Tribute von Panem“) oder die Glienicker Brücke („Bridge of Spies“) – Bayerns Trümpfe hingegen sind: die Alpen und die vielen mittelalterlichen Burgen und die alten erhaltenen Stadtkerne.

Der Münchner Location-Scout Carlos Loza ist auf spektakuläre Kamera-Aussichten oberhalb von 1000 Metern Höhe spezialisiert: „Die Amerikaner kommen meistens wegen der Berge. ‚180 Grad reiner Fels, bitte‘, sagen die. Da schleppe ich sie auf den Osterfelder rauf.“ Loza kennt viele Förster zwischen Garmisch-Partenkirchen und Mittenwald, von denen er leichter die Sondererlaubnis erhält, um mit den Equipment-Lkw über Forstwege an die hochalpinen Film-Spots zu gelangen. Er selbst genießt seine Tätigkeit in Bergstiefeln: „Ich gehe viel wandern und werde dafür noch bezahlt – ein Traumberuf.“

Dass in München so viel gebaut wird, ist eine Schwierigkeit. Alte Gebäude verschwinden. Dazu noch der Verkehr, der Dreharbeiten behindert.

Ute Platzer, Drehort-Scout

In den Städten des Freistaats allerdings fällt es Loza und Kollegen bisweilen schwer, noch unbekannte Drehorte mit Flair und Ausstrahlung zu finden. Obendrein fallen wegen des Baubooms auch immer mehr davon weg. „Dass in München soviel gebaut wird, ist für uns eine Schwierigkeit“, sagt Ute Platzer, die auch für „Tatort“-Krimis die Szenenplätze scoutet. Wegen der massiven Neubau-Welle würden immer mehr alte Gebäude abgerissen, deren Patina oder düstere Ausstrahlung viele Filmer aber anlocke. So geschehen an ihrem einstigen Lieblingsort, der leicht heruntergekommenen „Alten Chemie“ an der Arcisstraße. Die vormaligen Gebäude der Technischen Universität München gegenüber des „Park Cafe“ mussten vor einigen Jahren einer Nobelwohnanlage nebst dem Retro-Designhotel „The Charles“ weichen. Spannend für betuchte Immobilienkäufer und Touristen – für Regisseure: totes Terrain.

Also weicht Platzer vermehrt ins Umland aus. Oder sie sucht in München nach letzten abgewirtschafteten Häusern, die älter als vierzig oder fünfzig Jahre sind. „Dass ich in Krimis München als München zeige, wäre langweilig. Es geht darum, die Stadt aus ungewohnter Perspektive zu sehen – wie einen anderen, unbekannten Ort.“ Für den jüngsten Franken-„Tatort“ ist sie gleich ganz tief in die Provinz hinausgegangen. In Röthenbach an der Pegnitz fand sie das historische „Gasthaus zum Rockebrunn“, ein trutziges, finsteres Fachwerk-Gemäuer aus dem 17. Jahrhundert. Ideal als Schauplatz für einen fränkischen Mord. Aber auch denkbar für Tarantinos nächsten Nazi-B-Movie – oder als letzte Zufluchtsstätte für verfolgte amerikanische Geheimdienst-Hacker.