Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe versichert, dass kein Pflegebedürftiger durch die Reform schlechter gestellt wird. Bild: Imago/Reiner Zensen
Pflegereform beschlossen

Mehr Leistung, weniger Bürokratie

Mit den Stimmen der Koalition hat der Bundestag am Freitag die zweite Stufe der Pflegereform beschlossen. Das neue Gesetz stärkt Demenzkranke und auch andere Menschen mit geistigen Einschränkungen. Sie werden bei Pflegeleistungen in Zukunft körperlich Behinderten gleichgestellt. Die Beiträge zur Pflegeversicherung steigen 2017 auf 2,55 Prozent.

Nach Angaben der Bundesregierung waren bei der Begutachtung von Patienten bislang kognitive und psychische Beeinträchtigungen – dazu zählen zum Beispiel bestimmte Verhaltensweisen und psychische Problemlagen – nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt worden. Das habe dazu geführt, dass diese Menschen seltener höhere Pflegestufen erreichten als Personen mit körperlichen Beeinträchtigungen. Sie erhielten also weniger Geld und Sachleistungen.

Zahl der Leistungsempfänger steigt um 500.000

Mit dem am Freitag beschlossenen Zweiten Pflegestärkungsgesetz werden nun die Pflegeversicherung und die pflegerische Versorgung durch einen neuen Pfegebedürftigkeitsbegriff und ein neues Begutachtungsinstrument auf eine neue Grundlage gestellt. In Zukunft werden alle Pflegebedürftigen nach einer einheitlichen Systematik erfasst.

In Zukunft werden auch Menschen erreicht, die bislang keine Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten.

Die bislang geltenden drei Pflegestufen werden auf fünf Pflegegrade erweitert. Bei der Bewertung wird nicht mehr nur der Zeitaufwand der Pflegenden eine Rolle spielen, sondern inwieweit ein selbstbestimmtes Leben des Betroffenen noch möglich ist und wie weit seine Alltagskompetenz eingeschränkt ist. So werden in Zukunft auch Menschen erreicht, die bislang keine Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten. Schätzungen zufolge wird die Zahl um 500.000 steigen.

Reibungsloser Übergang in neues System

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) bekräftigte am Freitag noch einmal, dass kein Pflegebedürftiger durch die Reform schlechter gestellt wird. Laut Gesetzentwurf wird für die derzeit 2,8 Millionen Pflegebedürftigen, die Leistungen erhalten, sichergestellt, dass sie ohne erneute Begutachtung reibungslos in das neue System übergeleitet werden. Damit werde auch der Verwaltungsaufwand bei den Pflegekassen, Versicherungsunternehmen und den medizinischen Diensten der Krankenversicherungen reduziert, heißt es.

Der von der Bundesregierung eingereichte Gesetzentwurf, der auch die pflegenden Angehörigen entlastet und dafür sorgt, dass diese in der Renten- und Arbeitslosenversicherung besser abgesichert sind, war nach Meinung der Antragsteller alternativlos.

Städtetag fordert Beratungen zu Pflegestärkungsgesetz III

Insbesondere der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff stieß auf breite Zustimmung. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) sprach von einem „Meilenstein“, und auch der Deutsches Städtetag begrüßte, dass durch den Begriff nun auch Menschen mit Demenz als pflegebedürftig anerkannt würden: „Dafür haben wir uns seit langem eingesetzt“, hieß es in einer Erklärung. Allerdings habe der Gesetzgeber die Aufgaben nur zur Hälfte erledigt. „Das Gesetz greift nur für die Pflegeversicherung, notwendige Folgeänderungen in der Sozialhilfe, insbesondere in der Hilfe zur Pflege, bleiben außen vor“, moniert der Städtetag, der fordert, „dass die Beratungen zu einem Pflegestärkungsgesetz III umgehend aufgenommen werden, um den ab 2017 vorgesehenen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff erfolgreich umsetzen zu können“.

vbw spricht von verpasster Chance

Kritik äußerte die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw). Ihr Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt erklärte, das Pflegestärkungsgesetz II sei eine „verpasste Chance“. Es leiste keinen nachhaltigen Beitrag, das Pflegesystem angesichts des demografischen Wandels mit einer privaten Finanzierungssäule zukunftssicherer zu machen. Der Pflegebedürftigkeitsbegriff erlaube eine passgenauere Eingruppierung und könne so einen Beitrag für die Betroffenen leisten, problematisch sei aber, „dass die Politik den Menschen nach wie vor suggeriert, dass die Pflegeversicherung eine Art ,Vollkasko‘ sei und alle Pflegekosten übernimmt“, moniert Brossardt. Die Kostensteigerungen gingen in die Milliarden. Pflegestärkungsgesetz I und II zusammen würden die Beitragszahler jedes Jahr sechs Milliarden Euro zusätzlich kosten.

Überleitung in neues System kostet 4,4 Milliarden Euro

Die Überleitung der Pflegebedürftigen in das neue System kostet die Pflege-Versicherung einmalig 4,4 Milliarden. Das Geld wird aus den Rücklagen entnommen. Der Beitrag zur Pflegeversicherung stieg zum 1. Januar 2015 bereits von 2,05 auf 2,35 Prozent. 2017 folgt eine weitere Anhebung um 0,2 Punkte auf 2,55 Prozent. Kinderlose zahlen dann 2,8 Prozent. Beide Erhöhungen zusammen sollen fünf Milliarden Euro einbringen. Die Beiträge bleiben bis 2022 stabil.

Mit den Pflegestärkungsgesetzen I und II verwirklichen wir ein ganz wichtiges gesundheitspolitisches Ziel in diesem Jahr, das die Pflege getreu dem CSU-Motto ,Näher am Menschen‘, in diesem Fall den Pflegebedürftigen und ihren pflegenden Angehörigen, ausrichtet.

Wolfgang Stefinger (CSU, MdB)

Die CSU begrüßt die Reform ausdrücklich: „Mit dem Pflegestärkungsgesetz I und II verwirklichen wir ein ganz wichtiges gesundheitliches Ziel in diesem Jahr“, sagt der CSU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Stefinger. Es richte die Pflege getreu dem CSU-Motto „Näher am Menschen“ aus – in diesem Fall für Pflegebedürftige und ihre pflegenden Angehörigen.