Der langjährige Chefredakteur des BAYERNKURIER, Wilfried Scharnagl, beim CSU-Parteitag 2016. (Foto: Imago/Sven Simon)
Nachruf

Wilfried Scharnagl ist tot

Der ehemalige Chefredakteur des BAYERNKURIER, Wilfried Scharnagl, ist im Alter von 79 Jahren gestorben. Scharnagl prägte fast ein Vierteljahrhundert lang die Parteizeitung und war einer der wichtigsten Berater und Vertrauten von Franz Josef Strauß.

„Was einer ist, was einer war, beim Scheiden wird es offenbar.“ Mit diesen Worten begann Wilfried Scharnagl seinen Nachruf auf seinen Freund Franz Josef Strauß. Und was auf den Politiker Strauß zutraf, gilt auch für den Journalisten und Publizisten Scharnagl. Wenn Sie nicht mehr unter uns sind, wird uns schmerzhaft bewusst, was wir verloren haben.

Scharnagl war einer der bedeutendsten politischen Publizisten Deutschlands. Eine konservative Stimme, die sich wohltuend vom Chor der überwiegend linksliberalen Medien abhob. Scharnagl war enger Weggefährte und Vertrauter von Franz Josef Strauß. Legendär ist Strauß‘ Ausspruch: „Scharnagl schreibt, was Strauß denkt, Strauß denkt, was Scharnagl schreibt.“ Scharnagl war eben weit mehr als das Sprachrohr des Jahrhundertpolitikers Strauß. Er war eminent wichtiger Gesprächspartner, Ratgeber und Vordenker.

Leitartikel in Strauß‘ Namen

Scharnagl entwickelte und schärfte sein streitbares, konservatives Profil während seiner Zeit beim BAYERNKURIER, der Parteizeitung der CSU. Fast ein Vierteljahrhundert, von 1977 bis 2001, prägte er den BAYERNKURIER und führte ihn in Spitzenzeiten zu einer Auflage von fast 200.000 Exemplaren wöchentlich. Scharnagl kam in den sechziger Jahren als Redakteur zum BAYERNKURIER und erwarb schon bald das Vertrauen des Parteivorsitzenden. Im Laufe der Jahre wurde die intellektuelle und politische Symbiose der beiden so eng, dass Chefredakteur Scharnagl Kommentare unter Strauß‘ Namen schrieb und veröffentlichte. „Ich sagte dann meiner Sekretärin: `Leitartikel aufschreiben´“, berichtete Scharnagl einmal. Spätestens nach wenigen Zeilen habe sie gesagt: „Ah, heut schreiben wir wieder einen Strauß.“ Dessen Reaktion auf die Texte habe meist gelautet: „An guten Leitartikel ham mer heut gschriebn.“

Ich persönlich verliere mit Wilfried Scharnagl einen klugen Ratgeber und treuen Freund.

Horst Seehofer

Scharnagls Texte waren stets pointiert formuliert. Scharfzüngig griff er die politischen Gegner an, eloquent vertrat und erklärte er Politik und Standpunkt der CSU. „Die CSU ist die Partei der bayerischen Geschichte, der deutschen  Verantwortung, der europäischen Zukunftsaussichten. Sie ist die Partei der klaren Grundsätze, der sachlichen Arbeit, der soliden Ziele. Sie ist die Partei derer, die Ja sagen zu Arbeit und Leistung, zum Leben in seiner ganzen Fülle, in seiner Schönheit, auch in seinen Schwierigkeiten und Problemen. Sie ist die Partei des Rechtsstaats, sie ist die Partei der Freiheit, sie ist die Partei, die den Herausforderungen der Zukunft gegenübertritt, die sie annimmt, weder verleugnet, verdunkelt oder verkleinert, aber auch nicht übertreibt und eindeutige Antworten gibt. Sie zeigt die Wirklichkeit wie sie ist, die Schwierigkeiten und Gefahren wie sie sind, zeigt die Wege, die vernünftig und gangbar sind. Denn wer Mut hat, der macht auch Mut.“ Diese Beschreibung stammt zwar von Strauß, sie umreißt aber ebenso treffend, welche Haltung Wilfried Scharnagl als politischer Autor vertrat.

Im Flugzeug nach Moskau

Scharnagl begleitete Strauß auf vielen wichtigen Auslandsreisen. So saß er mit im Flugzeug, das Strauß selbst steuerte, als er Ende 1987 auf Einladung von Michail Gorbatschow nach Moskau flog. Bei der Landung im Schneegestöber auf dem vereisten Moskauer Flughafen schwitzten die Passagiere Blut und Wasser, wie sich Strauß‘ Sohn Franz Georg erinnerte.

Entscheidenden Anteil hatte Scharnagl auch an der Niederschrift und Fertigstellung von Strauß‘ Autobiographie „Erinnerungen“. Nach dem überraschenden Tod des CSU-Vorsitzenden im Jahr 1988 vollendete Scharnagl das Werk und traf auch dabei Strauß‘ Duktus so genau, dass der damalige Chefredakteur des „Stern“, Herbert Riehl-Heise urteilte, der Text sei „absolut authentisch, so redet und schreibt nur Strauß“.

Sein Wirken ist untrennbar mit den einmaligen Verdiensten von Franz Josef Strauß verknüpft.

Markus Söder

Scharnagl machte sich aber auch als Verfasser eigener Bücher einen Namen. So veröffentlichte er zum 20. Todestag des ehemaligen Ministerpräsidenten sein Werk „Mein Strauß. Staatsmann und Freund“, dem Rezensenten attestierten, darin finde sich ein „Strauß für Feinschmecker und Liebhaber“. Bundesweites Aufsehen erregte Scharnagl mit seinem Buch „Bayern kann es auch allein – Plädoyer für den eigenen Staat“, das im Jahr 2012 erschien. Darin stieß er eine über die bayerischen Grenzen hinaus wirkende Debatte über eine mögliche Eigenständigkeit des Freistaats an. „Angeblich Undenkbares darf oder muss gedacht werden“, sagte Scharnagl zu seinem Buch und erklärte: „Es ist Zeit für das große bayerische Aufbegehren.“

Kritik an der Europäischen Union

Zwei Jahre später legte er eine fulminante Abrechnung mit den Defiziten der Europäischen Union vor. „Versagen in Brüssel“ ist eine veritable Streitschrift eines überzeugten Europäers, der wollte, dass sich die Dinge zum Besseren wenden. Peter Gauweiler verglich den EU-Kritiker Scharnagl damals mit einem Krankengymnasten. Er sagte: „Krankengymnastik tut weh. Aber Krankengymnastik macht nicht der, der ein Menschenfeind ist, sondern der will, dass es den Menschen besser geht.“

Zu seinem jüngsten Buch „Am Abgrund – Streitschrift für einen anderen Umgang mit Russland“ schrieb der ehemalige russische Präsident Michail Gorbatschow das Vorwort. Im Juli 2015 wurde die russische Ausgabe des Buches in Moskau im Beisein von Gorbatschow vorgestellt.

Wichtige Stimme der CSU

Scharnagl war seit Jahrzehnten kooptiertes Mitglied des Parteivorstands der CSU. Mit den Nachfolgern von Strauß im Amt des Parteivorsitzenden verband ihn ein ein freundschaftliches und vertrauensvolles Verhältnis. Als wichtiger Ideen- und Impulsgeber blieb er der Partei stets verbunden. An den Sitzungen des Vorstands nahm er bis zuletzt teil.

„Ich bin tief erschüttert über den Tod von Wilfried Scharnagl“, sagte CSU-Chef Horst Seehofer. „Die Liebe zu seiner Heimat hat diesen großen bayerischen Patrioten geprägt. Ich persönlich verliere mit Wilfried Scharnagl einen klugen Ratgeber und treuen Freund.“ Die CSU werde Scharnagl für sein großes Lebenswerk immer dankbar sein.

Ähnlich äußerte sich Ministerpräsident Markus Söder: „Sein Wirken ist untrennbar mit den einmaligen Verdiensten von Franz Josef Strauß verknüpft, dem er persönlich und politisch engstens verbunden war.“