Millionen Dieselauto-Fahrer können voraussichtlich bald nicht mehr unbegrenzt in Ballungsräume mit hoher Luftbelastung fahren. Das Bundesverwaltungsgericht wies am Dienstag die Revision der Länder Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen gegen die von örtlichen Verwaltungsgerichten geforderten Fahrverbote in Stuttgart und Düsseldorf zurück. Deren Urteile seien nicht zu beanstanden, erklärte der Vorsitzende Richter Andreas Korbmacher in Leipzig. Fahrverbote sind demnach als letztes Mittel zulässig, um die Grenzwerte für gesundheitsschädliches Stickoxid (NOx) einzuhalten. Sie müssten aber verhältnismäßig sein und nicht auf einen Schlag eingeführt werden, urteilte der Richter.
Stickoxid-Grenzwert wird in 70 Städten gerissen
Das Gericht hatte im Rechtsstreit der Länder mit der Deutschen Umwelthilfe (DUH) zu entscheiden. Denn die hohe NOx-Belastung greift die Atemwege und das Herz-Kreislauf-System an. Die EU führt jährlich rund 400.000 vorzeitige Todesfälle in Europa auf Schadstoffe zurück. Der seit 2010 geltende Grenzwert von 40 Mikrogramm NOx je Kubikmeter Luft wird an Messstellen in 70 deutschen Kommunen noch immer nicht eingehalten, auch wenn der Trend seit Jahren rückläufig ist.
Es geht um einzelne Städte, aber nicht um die gesamte Fläche und die ganzen Autofahrer in Deutschland.
Angela Merkel, Bundeskanzlerin
Nach dem Leipziger Richterspruch versucht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Druck aus der Debatte zu nehmen: „Es geht um einzelne Städte, in denen muss noch mehr gehandelt werden. Aber es geht wirklich nicht um die gesamte Fläche und die ganzen Autofahrer in Deutschland.“ In einigen Städten gebe es freilich gravierende Probleme, gestand die Kanzlerin ein, die müsse man sich genau anschauen. „Auf jeden Fall müssen die Luftreinhaltepläne auch mit Hilfe des Bundes mit Nachdruck umgesetzt werden“, sagte Merkel.
Mittelstand und Handwerk besorgt
Massive Befürchtungen hat das Urteil indes bei Mittelstand und Handwerk ausgelöst. „Die Entscheidung gefährdet die Existenz vieler kleiner und mittlerer Unternehmen“, glaubt der Präsident des Mittelstandsverbandes BVMW, Mario Ohoven. Auch Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer reagierte besorgt: „Werden Dieselfahrzeuge aus der City verbannt, kann es zu großen Verwerfungen bei der Nahversorgung kommen.“ Fahrverbote seien „nicht alternativlos“, es gebe bessere Lösungswege. Ein Großteil des Lieferverkehrs besteht aus Diesel-LKW.
Zufrieden mit dem Urteil äußerten sich dagegen Verbände aus dem Natur- und Umweltschutz. Der NABU-Verband merkte an, nun steige der Druck auf Politik und Autobauer, effektive Maßnahmen gegen zu hohe Schadstoffwerte zu ergreifen. Greenpeace forderte die besonders belasteten Kommunen auf, Diesel-Fahrzeuge „mit giftigen Abgasen“ aus den Städten zu verbannen. Dabei seien Übergangszeiten und Ausnahmeregeln nötig.
Wirtschaftsverkehr ist für München unerlässlich. Aussperrungen sind Gift für die Wirtschaft.
Josef Schmid, Vize-Bürgermeister München
Der Vorsitzende des Bayerischen Städtetags, Augsburgs Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU), sagte: „Kommunalpolitiker sind keine Anhänger von Fahrverboten, weil Städte auf Mobilität angewiesen sind.“ Eine bessere Luftqualität in Städten lasse sich in der Praxis nur erreichen, wenn an der Quelle angesetzt wird: „Damit Autos, Laster und Busse weniger Schadstoffe ausstoßen.“ Für die zur Verhängung von Fahrverboten verpflichteten Städte fordert Gribl eine „vollziehbare Rechtsgrundlage“, nämlich die Einführung einer geeigneten Kennzeichnung für Fahrzeuge, die die Schadstoffgrenzwerte einhalten, in Form der so genannten „Blauen Plakette“.
Münchens Vize-Bürgermeister Josef Schmid (CSU) erklärte, das Leipziger Urteil werde „weitreichende und schwierig umzusetzende Folgen für die Landeshauptstadt“ haben. Die Umsetzung pauschaler Fahrverbote werde längere Zeit dauern. Aus Nürnberg vermeldete der CSU-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat, Marcus König: „Wir lehnen Diesel-Fahrverbote ganz klar ab und werden alles daran setzen, diesen Schritt zu vermeiden.“ Im Gegensatz zu den von der Deutschen Umwelthilfe beklagten Städten Stuttgart und Düsseldorf habe Nürnberg „kein großes Abgasproblem“.
Die bayerische Regierung will nach dem Diesel-Urteil die Möglichkeit von Fahrverboten in bayerischen Städten zur Verbesserung der Luft sorgfältig prüfen. Im Moment gebe es aber noch tausend ungeklärte Fragen, sagte Staatskanzleichef Marcel Huber (CSU).
(dpa/BK)