Gewaltige Lücken
Bericht des Wehrbeauftragten: Der Bundeswehr fehlt es an allem, Zelte, Schutzwesten und Winterkleidung. Aber auch große Waffensysteme der Truppe sind nur bedingt einsatzbereit − in allen Teilstreitkräften. Zugleich steigen die NATO-Anforderungen.
Bundeswehr

Gewaltige Lücken

Bericht des Wehrbeauftragten: Der Bundeswehr fehlt es an allem, Zelte, Schutzwesten und Winterkleidung. Aber auch große Waffensysteme der Truppe sind nur bedingt einsatzbereit − in allen Teilstreitkräften. Zugleich steigen die NATO-Anforderungen.

Trotz erheblicher Reformanstrengungen hat sich der Zustand der Bundeswehr nach Einschätzung des Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels nicht verbessert. Die Lücken bei Personal und Material seien teils noch größer geworden, heißt es in seinem aktuellen Jahresbericht.

21.000 Offiziere und Unteroffiziere fehlen

Die Einsatzbereitschaft der Waffensysteme sei „dramatisch niedrig”. Die enorme personelle Unterbesetzung habe sich verstärkt. Viele Soldaten seien überlastet und frustriert. Die eingeleiteten Trendwenden müssten „deutlich mehr Fahrt aufnehmen”. Der SPD-Politiker überreichte seinen Bericht Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) und stellte ihn der Öffentlichkeit vor.

Die Materiallage bleibt dramatisch schlecht, an manchen Stellen ist sie noch schlechter geworden.

Hans-Peter Bartels (SPD), Wehrbeauftragter des Bundestages

21.000 Dienstposten von Offizieren und Unteroffizieren seien nicht besetzt. Der Mangel an Personal führe nicht selten zu Überlastung und Frustration. „Gleichzeitig ist die materielle Einsatzbereitschaft der Truppe in den vergangenen Jahren nicht besser, sondern tendenziell noch schlechter geworden”, sagte Bartels in Berlin. „Die Materiallage bleibt dramatisch schlecht, an manchen Stellen ist sie noch schlechter geworden.” Die von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) angestoßenen Trendwenden seien zu begrüßen. „Nur macht die Proklamation allein noch nichts besser.”

Bartels schlug „Fast-Track-Projekte“ vor, um den Alltagsdienst von Soldaten zu verbessern, etwa durch die schnelle Beschaffung von Stiefeln, Funkgeräten oder Nachtsichtbrillen. „Viele Soldatinnen und Soldaten wünschen sich an der einen oder anderen Stelle eine Art Befreiungsschlag im Sinne schneller Beschaffungspakete.” Generell brauche die Bundeswehr mehr Geld. Im Haushaltsplan „steht bisher noch nichts substanziell Zusätzliches”. Bartels beklagte zudem ein Übermaß an Zentralisierung und Bürokratisierung in der Truppe, durch die persönliche Verantwortung schwinde.

Eingreiftruppe ohne Winterkleidung

Erst am Montag war ein Papier des Heereskommandos bekannt geworden, dem zufolge der Bundeswehr für die Führung der schnellen Eingreiftruppe der Nato 2019 nicht nur Panzer, sondern auch Schutzwesten, Winterbekleidung und Zelte fehlen. Das Verteidigungsministerium relativierte die Mängelberichte. Die Einsatzbereitschaft der Truppe sei nicht gefährdet.

Wir haben bekanntermaßen vom Panzer bis zum Zelt von allem zu wenig.

Hans-Peter Bartels

Um der russischen Aggression auf der Krim zu begegnen, hat die Nato 2014 die sogenannte „Speerspitze” für rasche Einsätze gegründet. Die „Very High Readiness Joint Task Force” besteht aus bis zu 14.000 Soldaten in höchster Alarmbereitschaft. Auf Rotationsbasis stellen die Bündnismitglieder Truppen dafür zur Verfügung. Die Soldaten bleiben in ihren Verbänden, müssen aber innerhalb von 48 bis 72 Stunden einsatzbereit an jeden Ort verlegbar sein, wo die Truppe benötigt wird. Deutschland hatte bereits 2015 die Führung der Speerspitze inne und will die Rolle Anfang 2019 erneut übernehmen. 10.000 deutsche Soldaten sollen sich beteiligen.

Von allem zu wenig

Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels, hält die Mängellisten für symptomatisch für den Zustand der Truppe. „Diese Art von Mangelverwaltung ist mittlerweile normal”, sagte der SPD-Politiker der dpa. „Das ist ein Zeichen für die allgemeine Materialschwäche.” Fehle die Ausrüstung in einem Verband, werde sie woanders weggenommen. Man werde so den Nato-Auftrag zwar erfüllen können. „Aber immer zu hohem Preis für die Ausbildung und Übung in der ganzen übrigen Truppe.” Bartels: „Wir haben bekanntermaßen vom Panzer bis zum Zelt von allem zu wenig.” Bei der Marine ist von den U-Booten derzeit keines einsatzbereit, bei der Luftwaffe von den A400M-Transportern ebenfalls an manchen Tagen keiner.

Die Bundeswehr hat nach 25 Jahren des Schrumpfens gewaltige Lücken zu füllen.

Sprecher des Verteidigungsministeriums

Gleichzeitig ist aber die Bundeswehr wachsenden Belastungen in aller Welt ausgesetzt, etwa durch die Friedenssicherung in Mali oder die Mission in Afghanistan, wo die Soldaten sogar aufgestockt werden sollen. Neben den Einsätzen im Ausland rückt für die Bundeswehr angesichts der bedrohlichen russischen Außenpolitik auch die Landes- und Bündnisverteidigung wieder stärker in den Fokus.

Beschleunigte Beschaffung

Aus Sicht des Verteidigungsministeriums ist die Einsatzbereitschaft der Truppe in der Nato nicht gefährdet. Die Bundeswehr befinde sich bis Mitte des Jahres in einem „beschleunigten Beschaffungs- und Umverteilungsverfahren” für die Nato-Verpflichtung, so ein Sprecher des Ministeriums. Sinn dieser Phase sei es, minutiös durchzugehen, was für die Aufgabe 2019 an Material vorhanden sei und was noch gebraucht werde. „Das heißt nicht, dass die benötigte Ausrüstung grundsätzlich nicht mehr in der Bundeswehr verfügbar ist oder in dem gebotenen Zeitraum beschaffbar ist”, sagte der Sprecher.

Die mangelhafte Einsatzbereitschaft der Kampfpanzer führte der Sprecher auf die steigende Zahl an Übungen für die Nato-Missionen zurück. „Die Zahl der Manöver wird intensiver und die steigt auch. Das wirkt sich auf das Material aus.” Dadurch sinke die tagesaktuelle Einsatzbereitschaft. Das bedeute nicht, dass man dauerhaft über zu wenige Panzer verfüge. Dennoch könne die Bundeswehr mit der Einsatzbereitschaft generell nicht zufrieden sein. „Die Bundeswehr hat nach 25 Jahren des Schrumpfens gewaltige Lücken zu füllen.”

Der CSU-Verteidigungspolitiker Florian Hahn verlangte, die Materiallücken zu schließen, wie es im Koalitionsvertrag festgeschrieben sei. Dort haben Union und SPD vereinbart, den Soldaten die „bestmögliche Ausrüstung, Ausbildung und Betreuung” zur Verfügung zu stellen. (dpa/BK)