Viele seiner Wiesen mäht Alois Kramer bis heute mit der Sense. (Foto: Molkerei Berchtesgadener Land)
Landwirtschaft

Das Glück der steilen Hänge

Aus dem BAYERNKURIER-Magazin: Bergbauern leisten extrem harte Arbeit unter erschwerten Bedingungen – und doch möchte Alois Kramer aus dem oberbayerischen Krün nichts anderes sein. Das hat er auch schon Barack Obama erzählt.

Einen seltsamen Ruf gibt Alois Kramer da von sich, halb Jodler, halb Wort. „Daaa geh’ her“, singsangt er in die Waldschneise am Berghang hinein, und schon springt es auf, das braun-weiße Fleckvieh, walzt wild heran unter dem Geläut der schweren Glocken, massive Kraftpakete auf vier Beinen. Unten angekommen, stoßen die Rinder sich ungestüm beiseite, um ihre dicken Köpfe an Kramers Hand zu reiben. „Sehen Sie, das macht Freude“, sagt Alois Kramer mit glücklichem Lächeln. „Deshalb mache ich das.“

Der Hof, der packt dich mit Haut und Haaren und lässt dich nicht mehr los.

Bergbauer Alois Kramer

Das. Drei Buchstaben für eine Tätigkeit, die den Bergbauern Alois Kramer aus dem Dorf Krün von morgens um halb sechs bis abends um 20 Uhr auf den Beinen hält. „Der Hof, der packt dich mit Haut und Haaren und lässt dich nicht mehr los.“ Dass er viel körperlich arbeitet, sieht man an seinen Oberarmen unter dem karierten Hemd. Eine Woche Urlaub an Ostern gönnt er sich, nur der Sonntag ist der Familie vorbehalten, abgesehen von den unaufschiebbaren Stall- und Erntearbeiten natürlich. „Das“ ist der Alltag eines bayerischen Bergbauern.

400 Jahre Tradition

Wer sich Bergbauer nennen darf, steht festgeschrieben in der EU-Richtlinie 75/265 von 1980: Seine Wiesen und Weiden liegen entweder über 800 Meter oder auf einer Höhe von 600 bis 800 Meter, während gleichzeitig mehr als 50 Prozent dieser Flächen eine Hangneigung von mindestens 18 Prozent aufweisen. In der Regel sind es Familienbetriebe, die diese Form von Landwirtschaft betreiben.

Seit vier Jahrhunderten, erzählt Alois Kramer später, als er in seinem schwarzen Geländewagen wieder hinabrumpelt ins Tal, seit mindestens 400 Jahren also ist der „Ferlhof“ im Familienbesitz. Erst stand er zentral im Dorf Krün am Fuße des oberbayerischen Karwendelgebirges. 1978 baute der zweite Alois Kramer aus Platzgründen einen neuen Hof am Dorfrand. Dass der aktuelle Alois – Nummer drei – auch Bergbauer wird, stand für ihn nie zur Debatte, „da gab’s für mich keine Alternative“. Selbstbestimmt zu arbeiten, zu sehen, „wie etwas wächst und gerät“ und schließlich ein gutes Lebensmittel herzustellen, das alles sei nicht zu toppen. „Wenn einen so etwas berührt, zumindest.“

Knapp 10.000 Bergbauern-Betriebe gibt es noch in Bayern, die in Summe eine Fläche von 240.000 Hektar bewirtschaften. Auf den Ferlhof entfallen davon 75 Hektar Wald und 40 Hektar Wiesen, seine höchste Weide liegt auf nicht ganz 1000 Meter Höhe. Alois Kramer ist nicht nur CSU-Gemeinderat, sondern auch Vorstandsvorsitzender der Milchliefergenossenschaften Staffelsee / Werdenfelser Land. Seit 2014 liefert die Genossenschaft etwa zehn Millionen Kilogramm Milch pro Jahr an die Molkerei Berchtesgadener Land. „Dort wird unsere Milch und unsere ganz besonderen Produktionsbedingungen noch gewürdigt“, sagt Kramer.

Unterstützung von der EU

Das Bergbauern-Dasein in den bayerischen Alpen ist Landwirtschaft unter erschwerten Bedingungen. Die Wiesen in größerer Höhe sind schwer zu erreichen, die Bodenbeschaffenheit ist schwierig und die steilen Hänge oft nicht mechanisch zu mähen. Die Sommer sind kurz, die Winter lang, die Betriebe traditionell eher klein und nicht auf Extremertrag ausgerichtet. Wegen all dieser Besonderheiten werden Bergbauern von der Europäischen Union subventioniert.

Aber auch, weil Bergbauern nicht nur ein qualitativ hochwertiges Produkt herstellen, sondern zudem ihren Teil zur Erhaltung der bayerischen Kulturlandschaft beitragen. Alois Kramer zeigt auf die Weiden links und rechts vom Schotterweg, „die würden ohne unsere Kühe komplett zuwachsen.“ Nur Buchen-, Fichten- und Tannenwälder stünden dort, würden da nicht regelmäßig Rinder grasen und die Bauern nacharbeiten.

Es braucht viel Erfahrung

Kramers Wagen hält schließlich an einer steilen, extrem unebenen Weide, der Landwirt steigt aus. „Eine Buckelwiese“, erklärt er, eine Besonderheit dieser Gegend, Schönheit und Schwierigkeit zugleich. Wenn zur Hanglage noch Buckel dazukommen, „ist man schnell bei mehr als 100 Prozent Steigung.“ Da bleibt nur noch traditionelle Sensenarbeit, da ist die ganze Familie gefragt.

Drei trächtige Kühe liegen in der Sonne, „die sind im Mutterschutz“, sagt Kramer und lacht. Seine Hand fährt durch die bunte Wiese, „Flockenblume, Buphtalmum, kleine Braunelle“, zählt er begeistert auf. Und da, Ackeleien, Vogelwicke, Labkraut und der Ziest, Botaniker-Glück auf wenigen Quadratmetern. „Würden hier Schafe und Ziegen grasen, wäre die Wiese nur grün“, erklärt er, diese Tiere sind wählerisch und fressen am liebsten nur die Kräuter. Rinder aber selektieren nicht, sie mähen mit ihrem breiten Maul, was gerade vor demselben wächst. So gewinnen nicht die Gräser die Überhand, sondern bleibt der Artenreichtum der bayerischen Almen erhalten.

Die Kunst des Bergbauern liegt darin, stets die passende Vieh-Weide-Kombination herzustellen: Welche Wiese benötigt gerade welche Herde in welcher Größe? Wann wird gemäht, wann nachgesät und womit? Jeder Sommer ist anders, für einen Bergbauern gibt es deshalb kein Grundrezept, sondern nur eine immer bessere Mischung aus Erfahrung, Versuch und Irrtum. Und gerade weil er stets nach bestem Wissen und Gewissen handelt, hat Bauer Kramer sich auch so geärgert, als Umweltministerin Barbara Hendricks, SPD, Anfang des Jahres mit gar nicht lustigen „Bauernregeln“ den Berufsstand pauschal verurteilte. „Das hat weh getan.“

Frühschoppen mit Obama

Lebensmittelproduktion und Landschaftspflege, Tourismus, Arbeitsmarkt und Naturschutz: Bergbauern haben einen gesamtgesellschaftlichen Auftrag. Das hat Kramer auch dem ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama bei Weißbier und Weißwurst erzählt, als der am Rande des G7-Gipfels im Juni 2015 auf dem nahen Schloss Elmau mit Einheimischen zusammentraf. Kramer spricht fließend Englisch, er hat während seines Studiums in Vermont /USA auf einer Farm gearbeitet. „2015 war das Handelsabkommen TTIP noch ein Thema. Ich habe versucht, Obama darzulegen, dass wir eine Art Gegenentwurf sind zum global agierenden Lebensmittelkonzern. Wir sind ortsgebunden, wir sind authentisch. Einem steigenden Preisdruck können wir irgendwann nicht mehr standhalten. Dafür versteuern wir unsere Gewinne in Deutschland – im Gegensatz zu manchem Großkonzern.“

Etwa 90 Rinder, oberbayerisches Höhenfleckvieh, hat Alois Kramer aktuell. Während das Jungvieh die Sommerfrische auf den Almen verbringt, und die tragenden Kühe auf den Weiden in der Nähe des Hofes ihre Zeit abwarten, stehen die derzeit 45 Milch gebenden Kühe im Laufstall. Zwei Mal täglich wird „eingegrast“, Rindermäuler wühlen in duftenden, mit Kräutern durchmischten Gräsern. So ernährtes Vieh, erzählt Kramer, produziert eine Milch, die extrem reich ist an ungesättigten Fettsäuren und konjugierten Linolsäuren, beides wichtig für die menschliche Gesundheit.

Ferienwohnung als Zuverdienst

Inzwischen vermietet die Familie Kramer auch Ferienwohnungen, ohne mindestens ein zusätzliches Standbein kann sich ja kaum noch ein Landwirt halten. Natürlich haben die Böden einen großen Wert, aber so etwas darf ein Bauer gar nicht sehen: „Das ist Nutzfläche, die wir hegen für die nächste Generation.“ Alois Nummer vier hat gerade sein Abitur gemacht und startet jetzt eine agrarwirtschaftliche Lehre.

400 Jahre „Ferlhof“. Das ist nicht nur eine lange Historie, sondern auch eine große Verantwortung. Kein Erbe will schließlich derjenige sein, der es versaut hat, sagt Alois Kramer. „So ein Hof, der gehört einem nie wirklich. Man ist nur eine Generation lang sein Verwalter.“