Im Fichtelgebirge kommen besonders Naturfreunde auf ihre Kosten. (Foto: Tourismuszentrale Fichtelgebirge)
Tourismus

Das Wunder im Wald

Aus dem BAYERNKURIER-Magazin: Das Fichtelgebirge galt noch vor Kurzem als vergessene Region. 2016 aber überraschte es mit zweistelligen Zuwächsen im Tourismus. Eine neue Generation von Unternehmern und Politikern hat den Umschwung geschafft.

Sein Job, sagt Ferdinand Reb, sei getan, wenn man den Tourismus im Fichtelgebirge nicht mehr erklären muss. Was allerdings nicht so bald der Fall sein wird, glaubt Reb und lacht, während er seinen Wagen durch wildromantische Wälder lenkt. Denn der Fichtelgebirgler an sich sei ein leidenschaftlicher „Erklärbär“. Und auch der Chef der dortigen Tourismuszentrale macht eigentlich nichts lieber, als über das Fichtelgebirge zu reden.

Es gab Zeiten, da musste man diesen Teil Oberfrankens nicht erklären. Die Transitstrecke durch die DDR führte direkt ins Fichtelgebirge, 60 Prozent der Stammgäste kamen vor dem Mauerfall aus Westberlin. Die Heilbäder der Region trugen ihren Teil zum Erfolg bei. Dann fiel die Mauer. Und die Gesundheitsreform kam. Parallel brach die im Fichtelgebirge angesiedelte Textil- und Porzellanindustrie ein. Und die Region verarmte.

In den schlechten Zeiten sind im Fichtelgebirge drei Typen Menschen zurückgeblieben: die Senioren, die schwer Vermittelbaren – und die Trotzigen.

Ferdinand Reb, Geschäftsführer der Tourismuszentrale Fichtelgebirge

Bayerisches Landesamt für Statistik, Tourismusbericht 2016: Das Fichtelgebirge hat bei den Übernachtungen im Vergleich zum Vorjahr um 7,3 Prozent zugelegt, bei den Gästeankünften gar um 10,3 Prozent. Diese touristischen Kennwerte gingen zwar nahezu überall in Bayern nach oben. Aber einen zweistelligen Zuwachs? Keine andere Tourismusregion im Freistaat konnte das 2016 erreichen.

Eine Generation von Machern

Was ist passiert? Tourismusdirektor Ferdinand Reb fährt jetzt Richtung Ochsenkopf und wechselt wieder in den Erklärbär-Modus. „In den schlechten Zeiten“, sagt er, „sind im Fichtelgebirge drei Typen Menschen zurückgeblieben: die Senioren, die schwer Vermittelbaren – und die Trotzigen.“ Diejenigen, die nicht zulassen wollten, dass ihre Heimat vor die Hunde ging. Die Trotzigen bauen nun die Destination Fichtelgebirge zu neuer Größe auf. Von einer „Koalition der Willigen“ spricht Reb, oder von „Fackelträgern“. Weil diese Menschen brennen für ihre Region.

Wobei Reb – typisch Fichtelgebirgler – bescheiden verschweigt, dass er einer dieser Trotzköpfe ist. Reb ist aufgewachsen in Bischofsgrün und hat in Bayreuth studiert. Sechs Jahre war er Geschäftsführer des Priener Tourismus’ im Chiemgau. 2011 zog er zurück nach Oberfranken. Jetzt ist Schluss mit Bezirksliga, sagten ihm die Altvorderen beim Antritt: Jetzt spielen wir Champions League. Mit solchen Erwartungen muss man umgehen können.

Ein Sechsjahresplan für die Region

Ferdinand Reb entwickelte mit seinem Team einen Sechsjahresplan. Besucht nun jährlich alle 46 Bürgermeister seiner Region, dazu möglichst viele Hoteliers und Vermieter mit dem Ziel, Synergien zu finden. Etwa, indem in Bischofsgrün auch für die neun Kilometer entfernten Thermen in Weißensee geworben wird. Manchmal könne er sich abends selbst nicht mehr reden hören, sagt Reb, aber: „Jetzt ziehen fast alle mit.“

Etwa Peter Hanke, ein hagerer Typ mit Fünf-Tages-Bart und den ersten grauen Strähnen im dunklen Zopf. Der Geologe kehrte 2007 nach vielen Auslandsjahren in seine Heimat zurück und war milde entsetzt über die schlechte Stimmung vor Ort. Inzwischen leitet er am Ochsenkopf, dem zweithöchsten Berg des Fichtelgebirges, das „Bullhead House“, ein Hostel für Outdoor-Begeisterte, sowie einen Bikepark mit Downhill-Strecken und Technik-Parcours. „Aufbruchstimmung“ spürt er nun durch eine neue Generation von Gastgebern.

Solche, die mutig neue Wege betreten. Tanja Schorn beispielsweise baute 2016 mit Partner Andreas Herzog einen Teil ihres Gehöfts um zu einer 5-Sterne-Ferienwohnung – das „Mussea“ im 60-Einwohner-Dorf Münchberg. Ein Luxus-Chalet mit eigenem Spa-Bereich irgendwo im Nirgendwo? Für 185 Euro pro Nacht in einer Gegend, die für ihre Schnäppchenpreise bekannt ist? Unbedingt, sagten Schorn und Herzog. Für 2017 ist das „Mussea“ nahezu ausgebucht.

Wo der weiße Hirsch röhrt

Im knapp 40 Kilometer entfernten Wildpark „Waldhaus Mehlmeisel“ setzt Eckard Mickisch eine Gießkanne aus Hartplastik an den Mund und röhrt damit in den Wald. Hirsche kommen zwischen den Bäumen hervor. „Da, der Hubertus!“, freut sich Mickisch, und das wettergegerbtes Gesicht des Mittfünfzigers fältelt sich beim stolzen Lächeln: „Der einzige weiße Rothirsch in ganz Bayern!“

Mickisch ist gelernter Elektroinstallateur. 2014 übernahm er das „Waldhaus Mehlmeisel“. Die Besucherzahlen steigen seither stetig, gut 80 000 waren es 2016. Jetzt führt ein Steg in drei Meter Höhe über Wildschwein, Luchs und Marder hinweg. Es gibt eine Eichhörnchen-Aufzuchtstation und den Fuchs Karli, der sich mit Dachs Erich eine Behausung teilt. Und wenn Mickisch durch seinen Park führt, erleben die Gäste einen Erklärbären in Bestform. Laut träumt er dann von einer neuen Bären- und Wolfsstation, über die ein Waldwipfelpfad führen könnte.

Kleines Bad, große Pläne

Attraktionen wie den Wildpark könnte das Fichtelgebirge ruhig noch mehr bekommen, findet Ferdinand Reb. Auf die Unterstützung der Staatsregierung habe man da glücklicherweise immer bauen können, dank dem erklärten Ziel, in ländlichen Regionen lebenswerte Bedingungen zu schaffen. Im Winter lockt die Region nun mit Nachtloipen, Schneeschuhwanderungen und beschneiten Pisten, im Sommer mit Wanderwegen, einem Radwegenetz und einem Zipline-Park am Ochsenkopf.

CSU-Politiker Peter Berek allerdings möchte lieber klotzen als kleckern. Mit großen Schritten eilt der Erste Bürgermeister durch die Gänge des Markgräfliche Schlosses, das auch die Gemeindeverwaltung beherbergt, und holt ein paar Papiere vom Drucker. Darauf nichts weniger als die Neuerfindung von Bad Alexandersbad.

Bayern kleinstes Heilbad hat Großes vor. Es will zurück in eine blühende Zukunft. Will wieder glänzen wie damals, als der Adel im Fichtelgebirgsort kurte und später Prominente wie Schauspieler Günter Strack, Politikerin Barbara Rütting und der ehemalige Bundespräsident Karl Carstens. Damals, als die 1000-Einwohner-Gemeinde noch 130.000 Gästeübernachtungen im Jahr zählte.

Damals ist lange her. 2016 kamen noch genau 51 Menschen zur Kur nach Bad Alexandersbad. Das in den 70-ern errichtete Kur- und Sporthotel – acht Stockwerke hoch, Schwimmbad mit Panoramablick – ist nun zur Hälfte abgerissen, die andere Seite ein trauriges Wrack. „Wir sind tief gefallen“, sagt Bürgermeister Berek. Aber ist das ein Grund liegenzubleiben, bis jemand sich zum Gnadenschuss erbarmt? Aus dem Masterplan, der jetzt vor Berek auf dem Tisch liegt, leuchtet in roten Buchstaben das Wort „machen“ heraus.

Wasserspiele und ein neues Bad

Schaut man heute aus dem hohen Fenster des Schlosses, blickt man auf muntere Wasserspiele und auf die Schlossterrassen aus Fichtelgebirgs-Granit. Dahinter das Ende April von Bayerns Tourismusministerin Ilse Aigner, CSU, eröffnete „AlexBad“. Wie aus dem All gefallen liegt das strahlend neue Kurzentrum inmitten des gebeutelten Ortes. Der Rest wird sich optisch anpassen, verspricht der Bürgermeister.

Auf Menschen wie Berek zählt Tourismus-Chef Ferdinand Reb. Auf Leute, die das Glas nicht nur halb voll sehen, sondern sich darum kümmern, dass es wieder ganz voll wird. Der Tourismus alleine kann eine Region zwar nicht retten, hat aber großen Einfluss auf viele Bereiche – das Ortsbild etwa, den Arbeitsmarkt, die Infrastruktur. Dass seine Fackelträger bereits die richtigen Funken gesetzt haben, erkennt Reb an zwei Sätzen, die Fichtelgebirgs-Gäste nun immer häufiger bei ihrer Abreise sagen: „Das hätte ich nicht gedacht.“ Und: „Da muss ich noch einmal kommen.“