Unter türkischer Flagge: Pro-Erdogan-Demonstration in Köln nach dem gescheiterten Putsch im vergangenen Sommer. (Foto: Imago/Jochen Tack)
Integration

Spaltung der Deutsch-Türken

Islamexperten beobachten eine wachsende Kluft unter den drei Millionen Türkischstämmigen in der Bundesrepublik - zwischen Erdogan-Verfechtern und Gegnern des Präsidenten. Als treibende Kraft dahinter sehen sie den Moscheen-Verein Ditib.

Die Wirkung reicht bis in die türkische Community in Deutschland hinein: Das rigide Vorgehen von Präsident Recep Tayyip Erdogan gegen vermeintliche Gegner in der Türkei treibt auch viele der drei Millionen türkischstämmigen Menschen hierzulande um. Die Spaltung in Anhänger und Kritiker Erdogans sei unübersehbar geworden, bilanziert der deutsch-türkische Journalist Hüseyin Topel ein Jahr nach dem Putschversuch. „Wer oppositionell gegen Erdogan eingestellt ist, traut sich das auch in Deutschland weiterhin nicht zu sagen.“ Aus Angst davor, denunziert zu werden, aus Sorge vor Ausgrenzung. „Und weil man befürchtet, bei einer Reise in die Türkei Probleme zu bekommen.“

Zusammenspiel zwischen AKP und Ditib

Topel sieht die Organisation UETD als treibende Propaganda-Kraft zugunsten der türkischen Regierungspartei AKP und Erdogans. Aber auch die Ditib sei ein Instrument Ankaras. Ähnlich äußert sich Islamexpertin Susanne Schröter: „In der Türkei wird der Islam als Rechtfertigung für die Abschaffung der Demokratie missbraucht. Die Ditib versucht, den Erdogan-Kurs in ihren Moscheegemeinden in Deutschland durchzusetzen.“ Die Türkisch-Islamische Union Ditib sei immer schon verlängerter Arm der Religionsbehörde Diyanet in Ankara und der türkischen Regierung gewesen. Anlass zur Sorge aber nun: „Unter der AKP und Erdogan sind Politik und Islam eine untrennbare Vereinigung eingegangen, die in eine islamistische Richtung geht“, betont die Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam an der Universität Frankfurt.

Der Ditib-Vorstand geht da gnadenlos vor, betreibt Hetze, spricht von Verrätern.

Hüseyin Topel, Journalist

Der Ditib-Vorstand werde seine Regierungsnähe nie aufgeben, glaubt auch Topel. Innerhalb der Ditib-Gemeinschaft brodele es. Wer sich klar von der Erdogan-Linie distanziere, habe es schwer: „Der Ditib-Vorstand geht da gnadenlos vor, betreibt Hetze, spricht von Verrätern oder setzt die Leute von ihren Posten ab. Viele aufgeklärte Jugendliche hat der Ditib-Vorstand schon vertrieben.“

NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) fordert von der Ditib-Spitze, dass „hier keine Erdogan-Politik vertreten wird“, sonst könne der Bundesverband nicht mehr Partner sein. Es gebe „eine Diskrepanz zwischen den Ditib-Gemeinden vor Ort und den Funktionären an der Spitze“. Er werde auch mit Reformbereiten an der Ditib-Basis über eine Zusammenarbeit sprechen, sagt Stamp, Mitglied der neuen schwarz-gelben Regierung in NRW.

In der Türkei wird der Islam als Rechtfertigung für die Abschaffung der Demokratie missbraucht.

Susanne Schröter, Islamexpertin

Reformkräfte anzusprechen, sei richtig, findet Expertin Schröter. „Unter fast 1000 Ditib-Moscheegemeinden sind nicht alle Erdogan-treu. Die Frage ist allerdings, wieviel Handlungsspielraum Gemeinden haben, die mit dem Kurs der Ditib-Spitze nicht übereinstimmen.“ So sei der Vorstand der liberalen Berliner Sehitlik-Moschee ebenso abgesetzt worden wie zwei Mitglieder des Bundes-Jugendvorstands.

Die Ditib in Köln wehrt sich gegen die Vorwürfe. „Wir sind de facto eine Religionsgemeinschaft und agieren entsprechend“, sagt Generalsekretär Bekir Alboga. Eine Kooperation mit der Diyanet „in religiösen Diensten“ sei nötig. „Gleichwohl weise ich entschieden zurück, dass durch die Zusammenarbeit eine politische Einflussnahme in Moscheen möglich sein soll.“

Auswirkungen der Ditib-Spitzelaffäre

Nach der Spitzelaffäre von Ditib-Imamen, die an Ankara angebliche Gülen-Anhänger meldeten, gebe es eine „Irrsinns-Verunsicherung“ unter türkischen Muslimen, beklagt NRW-Minister Stamp. Grundsätzliche Pflicht der Politik sei: „Den hier lebenden türkischstämmigen Menschen klarzumachen, dass wir für sie da sind – und nicht Herr Erdogan.“

Islamexpertin Schröter kritisiert, dass der Bund weiter Millionensummen an die Ditib fließen lasse, etwa aus dem Familienministerium. Und fordert: „Politik, Zivilgesellschaft und Kirchen müssen den Muslimen, die sich drangsaliert, nicht vertreten oder oft zu Recht auch verlassen fühlen, die Hand reichen, ihnen mehr Partizipation ermöglichen. Und sie brauchen auch einen besseren Schutz.“

(dpa)