Premierministerin May auf einer Wahlveranstaltung in Slough, links Außenminister Boris Johnson. (Foto: Picture Alliance/S. Rousseau)
Großbritannien

Enges Rennen auf der Zielgeraden

Noch ein Tag bis zu den vorgezogenen Neuwahlen: In der Sicherheitsdebatte droht Premierministerin Theresa May einen sicheren Vorsprung zu verlieren. Labour-Herausforderer Jeremy Corbyn kommt spät in den Wettkampf - aber er kommt heran.

Einen Tag vor der vorgezogenen Parlamentswahl in Großbritannien kommt die Nation kaum zur Ruhe. Mit Bezug auf den Anschlag mit sieben Toten im Herzen Londons von dieser Woche haben Ermittler einen 30-jährigen Verdächtigen festgenommen. Der Zugriff erfolgte nach Angaben von Scotland Yard am frühen Mittwochmorgen im östlichen Londoner Stadtteil Ilford. Im Zusammenhang mit dem schweren Terroranschlag von Manchester mit mehr als zwanzig Toten haben britische Sicherheitskräfte am Hauptstadtflughafen London-Heathrow einen Verdächtigen festgenommen. Dem 38-jährigen Mann werden Verstöße gegen die Anti-Terror-Gesetze zur Last gelegt.

Torie-Vorsprung schmilzt

Die Debatte um Innere Sicherheit dominiert weiter den Wahlkampf-Endspurt. Zwischen den beiden großen Parteien, den Konservativen und Labour, wird das Rennen eng. Jüngsten Umfragen des Instituts „YouGov“ zufolge könnten die Tories auf 42 Prozent der Stimmen kommen, nur mehr knapp vier Prozent vor der Opposition, die nun bei 38 Prozent liegt. Andere Meinungsforschungsinstitute sehen zwar einen Vorsprung für Premierministerin Theresa May von sieben, respektive sogar elf Prozent. Doch unverkennbar ist, dass Labour-Chef Jeremy Corbyn, der noch Anfang Mai deutlich unter 30 Prozent gelegen hatte, erheblich aufholt.

Die Ungenauigkeiten der Wahlforscher einkalkuliert – siehe Brexit-Entscheidung – könnte die Wahl für May also kippen. Oder gerade nicht. Ihr Kalkül jedenfalls, die Wahlen wegen eines unschlagbar soliden Vorsprungs vorzuziehen, droht zu scheitern.

Wir müssen uns ansehen, wie sich die Terrorgefahr entwickelt, wie Terror neuen Terror erzeugt.

Theresa May, Premierministerin

Die innenpolitische Debatte dreht sich verschärft um die Budget-Streichungen und Personal-Kürzungen – angeblich 19.000 – im Polizeiapparat, die May noch als Innenministerin verantwortete. Diese Einsparungen, so etwa der Labour-Bürgermeister von London, Sadiq Khan, hätten Anschläge wie den jüngsten von der London Bridge begünstigt.

Mit Verve versucht die Premierministerin wieder zurück in den Aktionsmodus zu kommen. Im Interview mit dem größten Boulevardblatt auf der Insel, der „Sun“, kündigte sie an, sie werde im Fall eines Wahlerfolges Menschenrechts-Gesetze einschränken, soweit sie die Terrorbekämpfung behindern. „Wir müssen uns ansehen, wie sich die Terrorgefahr entwickelt, wie Terror neuen Terror erzeugt, und wie sich das Tempo der Attacken erhöht“, erklärte sie. Eine mögliche Maßnahme dabei sei es, die Bewegungsfreiheit von Verdächtigen einzuschränken – wenn die Behörden genug Hinweise auf eine Bedrohung hätten, diese aber nicht für eine strafrechtliche Verfolgung ausreichten. Auch der Zeitraum, in dem Terrorverdächtige für eine Befragung festgehalten werden dürften, könnte von derzeit 14 auf 28 Tage verlängert werden. Labour hingegen bestreitet, dass die Menschrechts-Gesetzgebung die Terrorbekämpfung überhaupt behindert.

Die Lahme Ente gibt Gas

Für Labour-Chef Corbyn kommt die jüngste Entwicklung in den Umfragen beinahe einer Wiederauferstehung gleich. Noch vor weniger als einem Jahr, im Juli 2016 galt er als innerparteilich völlig umstritten und musste sich vom damals scheidenden Premier David Cameron bei dessen letztem Parlamentsauftritt humorige Mitleidsbekundungen anhören. Denn im Meinungskampf um den Brexit hatte sich Corbyn als phlegmatisch und unentschieden erwiesen, womöglich einer von vielen Gründen für den Ausgang des Votums. Daraufhin hätten ihn seine eigenen Parteigenossen um ein Haar gestürzt. Nur eine Parteimitglieder-Abstimmung bestätigte Corbyn im Amt des Vorsitzenden.

Wir werden den Terror nicht besiegen, indem wir unsere Grundrechte und unsere Demokratie zerrupfen.

Jeremy Corbyn, Labour-Chef

Nun aber geht der auch von seiner Wahlkampf-Gegnerin May für eine „Lahme Ente“ gehaltene Corbyn auf die Zielgerade und könnte die derzeitige Regierungschefin auf den letzten Metern noch in Gefahr bringen. Auch weil er mit größerer Glaubwürdigkeit als sie höhere Ausgaben für Polizei und Sicherheitskräfte in der Terrorbekämpfung fordert: „Wir werden den Terror nicht besiegen, indem wir unsere Grundrechte und unsere Demokratie zerrupfen. Wir besiegen ihn über unsere Gemeinschaft, unsere Wachsamkeit – und über Polizeiaktion, um jene zu isolieren und festzunehmen, die uns schaden wollen.“