Mangelwirtschaft bei der Bundeswehr
Ernüchternder Bericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages: Die personelle und materielle Trendwende bei der Bundeswehr ist zwar eingeleitet, aber alles dauert viel zu lange. Die Bundeswehr erhält jetzt mehr Geld, aber noch fehlt es an allem: Soldaten, Panzern, Hubschraubern, Schiffen, Ausrüstung aller Art. Beim hochgefährlichen Einsatz in Nord-Mali sogar an Wasser.
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Mangelwirtschaft bei der Bundeswehr

Ernüchternder Bericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages: Die personelle und materielle Trendwende bei der Bundeswehr ist zwar eingeleitet, aber alles dauert viel zu lange. Die Bundeswehr erhält jetzt mehr Geld, aber noch fehlt es an allem: Soldaten, Panzern, Hubschraubern, Schiffen, Ausrüstung aller Art. Beim hochgefährlichen Einsatz in Nord-Mali sogar an Wasser.

Das ist traurige Bundeswehr-Wirklichkeit: „Oft werden etwa bei Marineeinheiten, die aus dem Einsatz zurückkehren, direkt nach dem Festmachen im Heimathafen die ersten Teile abgeschraubt, um sie auf den Einheiten wieder einzubauen, die in den Einsatz gehen, etwa APAR-Platten (Radar) bei den F-124-Fregatten. Durch das viele Ein- und Ausbauen gehen die Teile schneller kaputt, so dass sich dieser Prozess selbst verstärkt.“ Die anschauliche Schilderung steht im jüngsten Bericht des Wehrbeauftragten des  Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD).

20.000 Soldaten fehlen

Sein 95 Seiten langer „Jahresbericht 2016″ – es ist der 58. Bericht eines Wehrbeauftragten – ist keine erfreuliche Lektüre. Mangelwirtschaft prägt den Bundeswehralltag. Bartels: „Es ist von allem zu wenig da.“ Das beginnt beim Personal: 185.000 Soldaten beträgt die Sollstärke der Bundeswehr. Tatsächlich zählte sie aber im Juni 2016 nur 166.523 Berufs- und Zeitsoldaten sowie 9492 Freiwillige Wehrdienstleistende. Gleichzeitig befanden sich aber 3300 Soldaten in 13 mandatierten Auslandseinsätzen. Bartels: „Damit stand die kleinste Bundeswehr aller Zeiten einem Aufgabenspektrum gegenüber, das aufgrund der unterschiedlichsten Anforderungen im In- und Ausland facettenreich war wie nie zuvor.“

Statt des Solls von 180 Seetagen pro Jahr waren manche Marine-Angehörige mit bis zu 280 Seetagen belastet.

Besonders dünn ist die Personaldecke bei der Marine. Die Teilstreitkraft macht nur zehn Prozent der Bunderwehr-Stärke aus, muss aber bis zu 25 Prozent der im Ausland eingesetzten Soldaten bereitstellen. Folge: Statt des Solls von 180 Seetagen pro Jahr waren manche Marine-Angehörige mit bis zu 280 Seetagen belastet. Im Heer schreibt Bartels, ist bei den Unteroffizieren „ein ganz erheblicher, zum Teil Besorgnis erregender Personalmangel festzustellen“. Zudem erlebt die Bundeswehr nach der Suspendierung der Wehrpflicht nun das, was man von anderen Berufsarmeen kennt: Ihre Mannschaftsdienstgrade und Unteroffiziere werden immer älter. Bartels: „Die Bundeswehr als Ganzes wird im Moment rasant älter.“ Vom Phänomen des 45-jährigen Gefreiten mit beachtlicher Gürtelgröße, der in der Armee eines Nachbarlandes angeblich typisch sein soll, ist die Bundeswehr aber hoffentlich noch weit entfernt.

Mangelverwaltung beim Material

Beim Material sieht es nicht anders aus: Mangel überall. Der Marine fehlen mehrere große Schiffe, „weil die Außerdienststellung alter Fregatten nicht mit der sich verzögernden Indienststellung neuer Fregatten harmonisiert wurde“. Wenn dann Minensucher, Tender und Tanker die Lücke füllen, so Bartels, „steht es kritisch um die Einsatzfähigkeit, ganz abgesehen vom eklatanten Mangel an einsatzfähigen Marinehubschraubern“.

Nur die Hälfte der Eurofighter einsatzbereit

Bei vielen Hauptwaffensystemen ist die Einsatzbereitschaft dürftig. So konnten etwa mit den neuen A400M-Transportflugzeugen für das European Air Transport Command nur 58 Prozent der geplanten Einsätze geflogen werden. „Für Flüge von und nach Afghanistan muss deshalb auf amerikanischen Lufttransport zurückgegriffen werden, der oft nur schwer verlässlich planbar ist.“ Die leichten – und schon ziemlich alten – Mehrzweck-Hubschrauber Bo 105 und Bell UH-1 waren immerhin zu 70 Prozent einsatzbereit, die schon erwähnten Marinehubschrauber allerdings nur zu unter 30 Prozent. Die Jahrzehnte alten Transporthubschrauber CH-53 waren zu 43 Prozent einsatzbereit, die neuen NH90 nur zu 31 Prozent. Es gelingt nur mühsam, wenigstens fünf von 60 CH-53-Hubschraubern „durchhaltefähig im Einsatz zu belassen“. Wegen fehlender Ersatzteile und langer Instandhaltungsmaßnahmen war im Durchschnitt etwa nur die Hälfte der Eurofighter einsatzbereit.

Beim Heer sind Munitionsvorräte „teils nur noch symbolisch“, schreibt Bartels. Ergebnis: Am Standort „kann nicht nach dem neuen Schießausbildungskonzept geübt werden“, bei Übungen kommt es „zu untragbaren und mitunter lächerlichen Improvisationen“.

Für Soldatinnen fehlt es an Schutzwesten in kleinen Größen.

Lücken und Mängel gibt es auch bei der persönlichen Ausrüstung und Bekleidung der Soldaten. Es fehlt an Nachtsichtbrillen und Gehörschutz. Die Infanterie-Schutzwesten sind zu schwer. Für Soldatinnen fehlt es an Schutzwesten in kleinen Größen. Die Kampfstiefel weisen „erhebliche Qualitätsmängel“ auf und sind für Soldatinnen ungeeignet. Die „vollständige Einkleidung von neu gewonnenen Soldatinnen und Soldaten dauert mindestens 45 Wochen, wenn Uniformteile mit festgelegter Leistungsbeschreibung (zum Beispiel neue Feldhose) in verschiedenen Größen erstmals beschafft werden müssen“. Beunruhigend: In einer Umfrage unter 800 Soldaten vertrauten im Herbst 2015 nur acht Prozent ihren Waffen vollständig, 16 Prozent eingeschränkt. 22 Prozent sagten dagegen, sie hätten überhaupt kein Vertrauen in ihre persönliche Ausrüstung, 21 Prozent hatten eher kein Vertrauen und 28 Prozent waren zwiegespalten.

Mehr selber machen können sollte die Devise sein. Die Instandsetzungskapazität und -befugnis der Truppe sollte wieder erweitert werden.

Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter

Interessant: Die Bundeswehr merkt, dass das Auslagern von Wartung und Instandsetzung in die Industrie Probleme schafft. Denn manche Firmen arbeiten einfach zu langsam – und dann fehlen in den Einheiten eben Fahrzeuge, Panzer oder Flugzeuge. Bartels: „Hier ist eine Kehrtwende erforderlich. Mehr selber machen können sollte die Devise sein. Die Instandsetzungskapazität und -befugnis der Truppe sollte wieder erweitert werden.“

Trendwende – aber alles dauert entsetzlich lange

So weit, so unerfreulich. Aber die Trendwende ist eingeleitet, jedenfalls politisch. 2017 steigt der Verteidigungshaushalt um 2,7 Milliarden auf insgesamt 37 Milliarden Euro. Bis 2020 soll er sich auf 39 Miliarden Euro erhöhen. Was Bartels für zu gering hält: Denn allein das bis 2030 geplante Investitionsprogramm der Bundeswehr wird 130 Milliarden Euro verschlingen und macht eigentlich eine dauerhafte Plafondserhöhung um drei Milliarden Euro nötig. Bartels: „Von einer nachhaltigen ‚Trendwende Haushalt‘ ist die Bundeswehr deshalb noch ein Stück entfernt.“

Immerhin: Die Bundeswehr will nun 14.300 zusätzliche Dienstposten schaffen – allerdings erst bis 2023, in sieben Jahren. Und hier liegt Bartels Hauptkritik: Alles dauert entsetzlich lange, beim Personalaufbau wie bei der Materialaufstockung. Bartels: „Das Ausrüstungsprogramm weist zweifelsfrei in die richtige Richtung. Aber gleichzeitig scheint alles Neue auf die lange Bank geschoben, nichts geht schnell.“ So sollen aus anderen Ländern 100 gebrauchte und modernisierungsbedürftige Kampfpanzer Leopard 2 zurückgekauft werden, um die 225 vorhandenen Panzer aufzustocken. Wiederum erst in sieben Jahren, bis 2023, sollen sie zur Verfügung stehen, „unter Vertrag ist noch nichts“.

Die Bundeswehr braucht jetzt dringend eine Beschleunigungsinitiative für alle Trendwendeprojekte.

Hans-Peter Bartels

Eine umfangreiche Munitionsbevorratung wird erst nach 2030 gelingen. Nicht einmal die Einsatzbekleidung konnte bisher in erforderlicher Stückzahl planmäßig ausgegeben werden. Bartels: „Das größte Problem lautet jetzt – Tempo! Das Umsteuern geht viel zu langsam. Dadurch bleibt die Überlast in vielen Bereichen für die aktiven Soldatinnen und Soldaten unverändert hoch.“ Der Wehrbeauftragte weiter: „Die Bundeswehr braucht jetzt dringend eine Beschleunigungsinitiative für alle Trendwendeprojekte.“

Wir müssen jetzt – hier hat der Wehrbeauftragte recht – das Tempo erhöhen und 2017 zum Jahr der Umsetzung machen.

Florian Hahn, sicherheitspolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe

Ganz genauso sieht das der verteidigungspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Florian Hahn: „Damit die von der CSU forcierte Trendwende bei Finanzen, Personal und Material der Bundeswehr nicht an Schwung verliert, sollten wir jetzt – hier hat der Wehrbeauftragte recht – das Tempo erhöhen und 2017 zum Jahr der Umsetzung machen.“

Afghanistan im Ramadan

Nachdenklich macht auch manches, was Bartels über die 13 Auslandseinsätze schreibt, in die die Bundeswehr im vergangenen Jahr 3300 Soldaten geschickt hat. Der größte dieser Einsätze war die Beteiligung an RESOLUTE SUPPORT in Afghanistan mit 980 Soldaten. An zweiter Stelle kam mit 700 Soldaten das Engagement in Mali. Beim Einsatz in Afghanistan ist die Bundeswehr mangels Transportflugzeuge auf amerikanische Unterstützung angewiesen. Um die Fähigkeitslücke zu schließen, will Deutschlands jetzt zusammen mit Frankreich amerikanische Transportflugzeuge vom Typ Lockheed C-130J Herkules anschaffen und betreiben. Bartels: „Tempo wäre hier wünschenswert.“

Die Empfehlung, nicht zu trinken, ist angesichts der klimatischen Verhältnisse in Afghanistan im Juni und Juli ungeeignet.

Hans-Peter Bartels

Der Wehrbeauftragte kritisiert, dass die Bundeswehr in Afghanistan bei der interkulturellen Rücksichtnahme ungesund übertreibt. So war den Soldaten empfohlen worden, während des Ramadan in Gegenwart afghanischer Helfer tagsüber nicht zu trinken oder zu essen. Bartels: „Die Empfehlung, nicht zu trinken, ist angesichts der klimatischen Verhältnisse in Afghanistan im Juni und Juli ungeeignet. Sie berührt die Fürsorgepflicht der Vorgesetzten, die Pflicht zur Gesunderhaltung der Soldatinnen und Soldaten und gerät darüber hinaus in Konflikt mit der effizienten Erfüllung des militärischen Auftrags.“

Besonders gefährlicher Einsatz in Mali

Beunruhigend klingen auch Details vom Einsatz in Mali: Für den Transport vom Flughafen Bamako in den etwa 60 Kilometer entfernten Einsatzort Koulikoro standen im vergangenen Jahr nur ungeschützte Fahrzeuge zur Verfügung. Das im nordmalischen Einsatzort Gao eintreffende Material ist „durch den Landtransport mittels ziviler Spediteure von Bamako aus nicht selten beschädigt“. Es kommt „vielfach zu Anschlägen auf die Versorgungskonvois durch versteckte Sprengsätze“. Versorgung durch Lufttransport ist wegen des Zustands der Start- und Landebahn in Gao nicht möglich. Im Feldlager Gao führt Wasserknappheit zu Einschränkungen für die Soldaten: „Die tägliche Duschzeit pro Person beträgt zwei Minuten (falls überhaupt geduscht werden darf).“ Berlin solle sich „für eine zusätzliche Aufbereitung des Wassers aus dem Fluss Niger einsetzen, um die Einsatzbedingungen der Soldatinnen und Soldaten zu verbessern“, empfiehlt Bartels.

Die Gewalt in Mali hat 2016 ein beunruhigendes Niveau erreicht.

Le Monde

Nur die Soldaten in Afghanistan erhalten den auch nach Gefährlichkeit des Einsatzes gestaffelten höchsten Auslandsverwendungszuschlag der Stufe 6 von 110 Euro am Tag. Die in Mali eingesetzten Soldaten bekommen nur einen Zuschlag von 94 Euro am Tag nach Stufe 5. Das finden die Bundeswehrsoldaten in Mali ungerecht. Denn der MINUSMA-Einsatz in Mali gilt als derzeit gefährlichster Einsatz der Vereinten Nationen. Da haben die Soldaten recht: Bei einem Selbstmordangriff auf einen Stützpunkt der malischen Armee bei Gao kamen am 19. Januar über 70 Personen ums Leben. „Die Gewalt in Mali hat 2016 ein beunruhigendes Niveau erreicht“, titelte kürzlich die Pariser Tageszeitung Le Monde. Im Norden und Zentrum des Landes haben über 385 Anschläge mindestens 332 Todesopfer gekostet. Die Höhe des Mali-Auslandszuschlages „sollte nochmals überprüft und gegebenenfalls an die tatsächlichen Belastungen, gesundheitlichen Gefährdungen sowie an die Bedrohungslage angepasst werden“, rät denn auch der Wehrbeauftragte. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist nun der Empfehlung gefolgt: Wegen der sich dramatisch verschlechternden Sicherheitslage im Norden Malis sollen die Bundeswehrsoldaten dort mehr Geld bekommen.