Künstler Franz Ferdinand Wörle steht neben dem Mahnmal. (Bild: Picture alliance/Uwe Lein)
Zugkatastrophe

Ein Mahnmal für Bad Aibling

Es war menschliches Versagen als vor einem halben Jahr zwei Nahverkehrszüge in Bad Aibling zusammenstießen. Zwölf Menschen starben, fast 90 wurden verletzt. Ein rostiges Stück Eisen erinnert demnächst an das verheerende Unglück.

Das Denkmal ist gewaltig. Der drei Meter hohe Eisenkoloss ähnelt einer Eisenbahnschiene und soll die ganze Wucht des Frontalzusammenstoßes zweier Züge symbolisieren. Anfang Oktober wird die Skulptur nahe jener Stelle im oberbayerischen Bad Aibling aufgestellt, wo sich vor einem halben Jahr zwei Nahverkehrszüge ineinander verkeilten. Bei einem der schwersten Zugunglücke in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands wurden zwölf Menschen getötet und fast 90 verletzt. Nur allmählich überwinden die Menschen in dem beschaulichen Kurort am Alpenrand den Schock.

Ein Mahnmal als Tor

Geschaffen hat das Denkmal der Bildhauer Franz Wörle aus dem nahen Straußdorf. Er interpretiert die rostige Stele als Tor. „Die Opfer haben ein Tor durchschritten, ein Tor vom Leben in den Tod“, meint der Künstler.

Es ist ein Übergang in eine andere Dimension.

Franz Wörle, Bildhauer

Faschingsdienstag, 9. Februar, morgens um halb sieben – auf der Bahnstrecke zwischen Holzkirchen und Rosenheim ist nicht viel los. Es sind Ferien, deshalb sitzen keine Schüler im Zug, etliche Berufspendler haben sich frei genommen. Der Fahrdienstleiter in Bad Aibling muss in erster Linie dafür sorgen, dass sich die Züge auf der ansonsten eingleisigen Strecke an einem Bahnhof begegnen, wo mindestens zwei Gleise sind – eigentlich Alltag für den erfahrenen Mitarbeiter. Doch der Bedienstete der Deutschen Bahn (DB) macht er einen verhängnisvollen Fehler. Er setzt ein falsches Signal und lässt die beiden Züge zwischen Bad Aibling und Kolbermoor ungebremst aufeinanderzurasen. Als er den Irrtum bemerkt, drückt er auch noch den falschen Alarmknopf, wie die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ergeben haben.

Notruf kommt nicht an

Der Notruf erreicht die Lokführer nicht. Mit einem weithin hörbaren Knall krachen die beiden Züge der Privatbahn Meridian kurz vor 7.00 Uhr ineinander. Ein Triebwagen wird aus dem Gleis geworfen, der entgegenkommende bohrt sich in einen Waggon des anderen Zuges, schlitzt ihn regelrecht auf. Den an der schwer zugänglichen Unfallstelle rasch eintreffenden Rettungskräften bietet sich ein schreckliches Bild. Feuerwehrleute müssen neun Tote und Dutzende Verletzte aus total deformierten Waggons bergen. Der Zusammenstoß der beiden Züge hat enorme Kräfte freigesetzt. Es dauert Stunden, bis auch das letzte Opfer geborgen ist. Drei Menschen erliegen in Krankenhäusern ihren schweren Verletzungen. Die erschütternde Bilanz: 12 Tote und 89 Verletzte.

Schnell wird den Ermittlern klar, dass das verheerende Unglück auf menschliches Versagen zurückgeht. Die Bahntechnik hat einwandfrei funktioniert. Wenige Tage nach dem Zusammenstoß sagt Oberstaatsanwalt Jürgen Branz: „Was wir momentan haben, ist ein furchtbares Einzelversagen.“ Adressat ist der Fahrdienstleiter, der ein Sondersignal setzte, das die gleichzeitige Einfahrt der beiden Züge auf die eingleisige Strecke ermöglichte. Zu dem Zeitpunkt ist der Mann auf freiem Fuß, wird von der Bahn an einem geheimen Ort betreut. Der Mitarbeiter soll sicher sein vor möglicher Selbstjustiz in einer emotional aufgeladenen Situation. Bahnmanager berichten indessen, Hinterbliebene der Todesopfer hätten geschrieben, dass ihnen bei aller Trauer um ihre Liebsten der Fahrdienstleiter leid tue – trotz des fatalen Fehlers.

Smartphone lenkte Fahrdienstleiter ab

Doch zwei Monate später ändert sich die Situation: Beim Auslesen der Daten auf dem beschlagnahmten Smartphone des Fahrdienstleiters stellen die Ermittler fest, dass der Mann vor dem Unfall auf seinem Handy spielte. Der Ermittlungsrichter schickt den 39-Jährigen in Untersuchungshaft. Aus Mitleid wird Wut auf den Bahn-Mitarbeiter.

Gut fünf Monate nach dem Unglück erhebt die Staatsanwaltschaft Traunstein Anklage gegen den Mann im Stellwerk. Der Vorwurf: fahrlässige Tötung in 12 Fällen und fahrlässige Körperverletzung in 89 Fällen. Es bestehe der Verdacht, „dass der Fahrdienstleiter entgegen einem bestehenden Verbot im Dienst bis unmittelbar vor der Kollision der Züge durch die Nutzung eines Online-Computerspiels abgelenkt war“. Der Prozess könnte noch in diesem Herbst beginnen. Die Höchststrafe bei fahrlässiger Tötung beträgt fünf Jahre.

Die beim Unglück eingesetzten Helfer haben ihre teils traumatischen Erlebnisse nach einem halben Jahr weitgehend verarbeitet. Sofort nach der Katastrophe wurden Therapien angeboten, wo sie benötigt wurden. Dennoch: Ein Feuerwehrmann hat den Dienst quittiert. Der 26-Jährige wurde trotz intensiver psychologischer Betreuung nicht fertig mit den schrecklichen Erlebnissen bei der Bergung der Opfer.

dpa/AS