Trauer um Hans-Dietrich Genscher
Hans-Dietrich Genscher ist tot. Deutschlands dienstältester Außenminister und ehemaliger FDP-Vorsitzender ist Donnerstagnacht im Kreis der Familie in seinem Haus in Wachtberg-Pech mit 89 Jahren an einem Herz-Kreislaufversagen gestorben. Mit großer Betroffenheit hat Ministerpräsident Horst Seehofer auf die Todesnachricht reagiert: "Mit Hans-Dietrich Genscher geht einer der ganz Großen."
Herz-Kreislaufversagen

Trauer um Hans-Dietrich Genscher

Hans-Dietrich Genscher ist tot. Deutschlands dienstältester Außenminister und ehemaliger FDP-Vorsitzender ist Donnerstagnacht im Kreis der Familie in seinem Haus in Wachtberg-Pech mit 89 Jahren an einem Herz-Kreislaufversagen gestorben. Mit großer Betroffenheit hat Ministerpräsident Horst Seehofer auf die Todesnachricht reagiert: "Mit Hans-Dietrich Genscher geht einer der ganz Großen."

Sein Markenzeichen war der gelbe Pullunder. Hans-Dietrich Genscher war 18 Jahre lang Bundesaußenminister (1974 bis 1992) und maßgeblich an den Verhandlungen zur deutschen Einheit beteiligt. Von 1974 bis 1985 führte er zudem als Vorsitzender die FDP. Er zählte in Deutschland zu den beliebtesten Spitzenpolitikern und zu den prägenden Persönlichkeiten der Liberalen.

Wie wenige andere prägte Genscher die Politik der „Bonner Republik“. Den wohl größten Triumph seiner 23-jährigen Regierungstätigkeit erlebte der FDP-Politiker am 30. September 1989 in Prag. Als er den in die deutsche Botschaft geflüchteten DDR-Bürgern eröffnete, sie könnten in den Westen weiter reisen, ging seine Ankündigung „Ich bin gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute ihre Ausreise …“ in einem beispiellosen Jubel unter.

Wegbereiter der Einheit

Der Außenminister gehörte unter den deutschen Spitzenpolitikern neben Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und dem damaligen Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) zu denen, die die Chancen für eine Wiedervereinigung erkannten und ergriffen. Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer. Genscher sicherte die Einheit bis hin zur Ratifizierung des Zwei-plus-vier-Vertrages außenpolitisch ab. Bei den ersten gesamtdeutschen Wahlen am 2. Dezember 1990 erlebte Genscher einen weiteren Triumph. Die FDP erreichte Traumergebnisse. In seiner Heimatstadt Halle und in Sachsen-Anhalt, wo er sich nach dem Mauerfall besonders engagierte, wurde er gefeiert wie ein König.

Immer wieder musste er mit Gesundheitsproblemen kämpfen. 1992 legte er für viele überraschend mit 65 Jahren seine Ämter nieder. 1998 schied Genscher nach 33 Jahren auch aus dem Bundestag aus. Auch nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik meldete sich Genscher, der 1992 zum FDP-Ehrenvorsitzenden ernannt wurde, häufig zu Wort. Für seine Verdienste wurde er mit zahlreichen Preisen und Ehrendoktorwürden ausgezeichnet.

„Einer der ganz Großen“

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer reagierte mit großer Betroffenheit und würdigte den gestorbenen Ex-Außenminister als leidenschaftlichen Politiker. Mit politischer Weitsicht, liberalem Pragmatismus und großem persönlichen Engagement habe Hans-Dietrich Genscher wie kaum ein anderer die Geschicke der Bundesrepublik entscheidend mitgeprägt.

Mit Hans-Dietrich Genscher geht einer der ganz Großen. Die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes trägt wesentlich seine Handschrift. Maßgeblich hat Hans- Dietrich Genscher in seinen 18 Jahren als Außenminister zum Ansehen Deutschlands in der Welt beigetragen. Mein Mitgefühl gilt seinen Angehörigen. Wir verneigen uns vor einem leidenschaftlichen Homo politicus.

Horst Seehofer

Barbara Stamm, die Präsidentin des Bayerischen Landtags teilte mit, sie erinnere sich gerne an die Veranstaltung mit Hans-Dietrich Genscher anlässlich des 20. Jahrestages der Wiedervereinigung im Maximilianeum: „Seine Anwesenheit war uns allen eine Ehre und Freude.“ Hans-Dietrich Genscher habe die deutsche Außenpolitik vor und nach der Wiedervereinigung wie kaum ein anderer mitgestaltet und geprägt.

Sein politischer Sachverstand und das große Vertrauen, das er auf Grund seiner persönlichen Integrität im In- und Ausland genossen hat, haben entscheidend zur Schaffung eines geeinten Deutschlands und Europas beigetragen. Wir verabschieden uns von einem liebenswürdigen Menschen und großen Staatsmann, dem unser Land viel zu verdanken hat.

Barbara Stamm

Die Bundesregierung würdigte ihn in einer ersten Reaktion als großen Staatsmann. Der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter sagte in Berlin, Genscher habe wie ganz wenige andere die Geschicke Deutschlands beeinflusst. Er nannte ihn „einen großen Europäer und großen Deutschen“.

Ich verneige mich in Hochachtung vor der Lebensleistung dieses großen liberalen Patrioten und Europäers.

Angela Merkel

Waigel und Genscher pflegten enges Verhältnis

Auch in den vergangenen Jahren pflegten der ehemalige FDP-Vorsitzende und der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel ein enges Verhältnis, sie telefonierten regelmäßig und hatten sich noch vor kurzem in Berlin getroffen. Den Zwei-plus-Vier-Vertrag, der den Weg für die deutsche Wiedervereinigung ebnete und den Genscher maßgeblich mit ausgehandelt hatte, bezeichnete Waigel als eine „geniale Meisterleistung“.

Er hatte ein unglaubliches Gespür für politische Entwicklungen und hat Deutschland zu seiner Zeit sehr zukunftsorientiert begleitet. Ich stimme seinem Satz zu: ´Europa hat für uns absolute Priorität, etwas Besseres haben wir nicht´.

Theo Waigel

FDP-Chef Christian Lindner schrieb beim Kurznachrichtendienst Twitter: „Genscher hat Geschichte geschrieben und unser Land geprägt. Wir haben ihm viel zu verdanken. Unsere Trauer kann nicht größer sein. Nach Guido Westerwelle verlieren wir eine zweite unserer großen Persönlichkeiten. Vor zwei Wochen war der frühere FDP-Chef und Außenminister Guido Westerwelle im Alter von 54 Jahren gestorben.

Und Bundespräsident Joachim Gauck sagte: „Mit seiner Verlässlichkeit und seinem diplomatischen Geschick hat Hans-Dietrich Genscher unserem Land in der Welt ein Gesicht gegeben und das Vertrauen bei unseren Partnern gestärkt. Beharrlich, allgegenwärtig und mit feinem Gespür für historische Momente hat er das friedliche Zusammenwachsen unseres Landes und unseres Kontinents vorangetrieben.“

Der gute Lotse und große Sohn der Bundesrepublik

Bundestagspräsident Norbert Lammert sprach persönlich und im Namen des Deutschen Bundestages der Witwe Genschers sein Beileid aus. In seinem Schreiben heißt es unter anderem:

Mit Hans-Dietrich Genscher verlieren wir einen der großen Liberalen unserer Zeit, eine herausragende Persönlichkeit, die eine ganze Epoche deutscher und europäischer Geschichte entscheidend mitgestaltet hat, als Bundestagsabgeordneter, FDP-Vorsitzender, Innen- und Außenminister sowie als langjähriger Vizekanzler. ‚Den guten Lotsen erkennt man an der ruhigen Hand und nicht an der lautesten Stimme‘, hat Ihr Mann einmal postuliert und damit treffend seinen eigenen umsichtigen Politikstil charakterisiert, der ihn international zum Garanten einer verlässlichen und um Ausgleich bemühten deutschen Diplomatie machte.

Steile Politikerkarriere

Die Karriere Genschers begann in den 50er Jahren. Am 21. März 1927 in Reideburg/Saalkreis geboren, in Halle groß geworden, kam Genscher 1952 in die Bundesrepublik, wo er gleich in die FDP eintrat. Der damalige FDP-Vorsitzende Thomas Dehler holte den jungen Mann 1956 als wissenschaftlichen Angestellten nach Bonn. 1965 zog er erstmals in den Bundestag ein, vier Jahre später war er schon Innenminister.

Die Wendigkeit, die manch ein Kritiker Genscher vorhielt, sicherte eine Jahrzehnte lange Regierungsbeteiligung der Liberalen. 1969 ließen sich Genscher und der damalige FDP-Vorsitzende Walter Scheel bei knappen Mehrheiten auf das Wagnis der ersten sozial-liberalen Koalition ein. Im Innenressort profilierte sich Genscher mit Themen wie dem Umweltschutz und dem Ausbau des Bundeskriminalamtes (BKA). 1974 nach dem Rücktritt von Kanzler Willy Brandt (SPD) wechselte Genscher ins Außenamt und übernahm den FDP-Parteivorsitz von Scheel, der zum Bundespräsidenten gewählt worden war.

1982 vollzog Genscher eine neue Wende. Die Liberalen stürzten um den Preis des Parteiaustritts mehrerer prominenter Linksliberaler SPD-Kanzler Helmut Schmidt und verhalfen Helmut Kohl (CDU) an die Macht. Im neuen schwarz-gelben Kabinett blieb Genscher Außenminister und Vizekanzler. Dort verfolgte er seine Politik der Aussöhnung mit dem Osten weiter.

(dpa/mas)