Das "Komitet Obrony Demokracji" (KOD), das Komitee für die Verteidigung der Demokratie protestierte gegen die neue polnische Regierung auch vor der polnischen Vertretung in Brüssel. Bild: Imago/Zuma Press
Polen

Landesweite Demonstrationen für Demokratie in Polen

In Polen wächst der Widerstand gegen die Absicht der neuen PiS-Regierung, das Verfassungsgericht umzubauen und alle Behördenchefs enger an die Regierungspartei zu binden. Ex-Präsident Lech Walensa warnte vor der Spaltung des Landes und Bürgerkrieg. Wie lange werden sich Premierministerin Szydlo und Staatspräsident Duda dem PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski fügen?

„Nein zur Diktatur”

Tausende Menschen haben in mehr als 20 polnischen Städten für Demokratie und gegen die neue nationalkonservative Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit demonstriert. Wegen einer Bombendrohung musste die zentrale Kundgebung in Warschau nach zwei Stunden vorzeitig abgebrochen werden.

Es habe einen anonymen Anruf gegeben, sagte ein Polizeisprecher am Samstag der Agentur PAP. Die Entscheidung habe bei den Veranstaltern gelegen. Zuvor hatten die Teilnehmer vor dem Parlament friedlich Spruchbänder wie „Nein zur Diktatur” und „Hände weg vom Verfassungsgericht” hochgehalten. Zum Abschluss sangen sie die Nationalhymne.

Die Veranstalter vom Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) riefen zum Widerstand gegen ein „rechtloses Polen” auf, das eine Partei sich zu ihrem Besitz mache. Die bekannte Hollywood-Regisseurin Agnieszka Holland unterstützte die Aktivisten und sagte: „Demokratie ist wie frische Luft, ohne die man nach kurzer Zeit im Smog erstickt.” Auch in Berlin, London und Brüssel fanden kleinere Kundgebungen stattfinden.

Griff der Regierungspartei nach Verfassungsgericht und Behörden

Die Kritiker werfen der Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Ministerpräsidentin Beata Szydlo vor, Justiz und Verwaltung unter ihre Kontrolle bringen zu wollen. Die Nationalkonservativen haben im Parlament Gesetze eingebracht, die das Verfassungsgericht und das Dienstrecht der Staatsbediensteten neu ordnen würden.

Kommt die Verfassungsänderung zustande, sollen alle Verfassungsrichter neu ernannt werden.

So streben PiS-Abgeordnete zusammen mit der rechtspopulistischen Fraktion Kukiz 15 eine Verfassungsänderung an, die das Verfassungsgericht betrifft: Verfassungsrichter sollen nur noch mit Zweidrittel-Mehrheit des Parlaments bestimmt werden, und das Verfassungsgericht soll nicht mehr in eigener Sache urteilen dürfen. Kommt die Verfassungsänderung zustande, sollen alle Verfassungsrichter neu ernannt werden. Für die Verfassungsänderung braucht es auch eine Zweidrittelmehrheit, die die PiS-Regierung von Ministerpräsidentin Szydlo nicht hat. Problem: Abgestimmt werden darf, wenn mindestens 50 Prozent der Abgeordneten anwesend sind − und dann könnten Zweidrittel-Mehrheiten leicht zusammenkommen. Oppositionspolitiker fürchten nun, dass die ebenfalls PiS-dominierte Parlamentsführung überraschend Verfassungsabstimmungen ansetzen und so die Opposition austricksen könnte.

Über Verfassungsänderungen darf abgestimmt werden, wenn mindestens 50 Prozent der Abgeordneten anwesend sind − und dann könnten Zweidrittel-Mehrheiten leicht zusammenkommen.

Ein anderer PiS-Gesetzesplan gäbe der Regierung − vor allem der Regierungspartei − stärkeren Zugriff auf praktisch alle Führungspositionen in staatlichen Einrichtungen. Wichtige Behördenleiter sollen in Zukunft ohne offenen Wettbewerb ernannt werden. Nach Inkrafttreten des Gesetzes sollen die Arbeitsverträge aller bisherigen Behördenchefs innerhalb von 30 Tagen enden. Die Chefs der Polizei, der Geheimdienste und der Antikorruptionsbehörde wurden schon ausgetauscht.

Wie verhalten sich Regierungschefin und Staatspräsident?

Polens nationalkonservative PiS verfügt seit den Wahlen im Oktober über die absolute Mehrheit in beiden Kammern. Der frühere Präsident und Friedensnobelpreisträger Lech Walesa hatte jüngst angesichts der Spaltung des Landes vor einem „Bürgerkrieg” gewarnt. Walesa: „Präsident und Regierung werden nicht zurücktreten. Also wird die Straße versuchen, dieses Problem zu lösen.” Kritik kommt inzwischen auch aus den Reihen der Katholischen Kirche, etwa von Krakaus Kardinal Stanislaw Dziwisz, der der neuen Regierung ebenfalls Spaltung der Nation vorwirft. Kardinal Dziwisz: „Wir beobachten mit Sorge die Vertiefung der Teilung unserer Gesellschaft. Die politischen Führer berücksichtigen nicht immer die Empfindlichkeit und das Bedürfnis der gesamten Gesellschaft.”

Präsident und Regierung werden nicht zurücktreten. Also wird die Straße versuchen, dieses Problem zu lösen.

Lech Walesa

Beobachter führen das Verhalten der neuen polnischen Regierung auf massive Einflussnahme des ehemaligen Ministerpräsidenten und PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski zurück. Viel hängt nun davon ab, ob Ministerpräsidentin Szydlo oder Staatspräsident Andrzej Duda sich zu irgend einem Zeitpunkt aus dem Einfluss Kaczynskis lösen können. Die Möglichkeit dazu hätten die Regierungschefin und der Staatspräsident natürlich. Grund dafür gebe es, jedenfalls aus Sicht der Regierungschefin, auch: In den Umfragen ist die Regierungspartei PiS seit der Wahl von 38 auf 27 Prozent abgestürzt. Doch Szydlo und Duda gelten beide als reine Marionetten des Parteichefs. Der ehemalige Staatspräsident Lech Walesa jedenfalls hat wenig Hoffnung und keine hohe Meinung von seinem 43-jänrigen Amtsnachfolger: „Ich schäme mich für einen solchen Präsidenten.” (dpa/BK)