Europäisches Parlament in Straßburg. Bild: EP
EU-Kommission

„Zeit für mutiges, gemeinsames Handeln“

Mit einem eindringlichen Appell hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die europäischen Staaten zur Notumsiedlung von insgesamt 160.000 Flüchtlingen aufgerufen. Schon am kommenden Montag müssten bei einem Sondertreffen der Innenminister die entsprechenden Entscheidungen getroffen werden, forderte er im Europaparlament in Straßburg.

„Es ist jetzt nicht die Zeit, sich Ängsten hinzugeben. Es ist vielmehr an der Zeit für mutiges, entschlossenes und gemeinsames Handeln“, betonte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Mittwoch in seiner Rede zur Lage der EU. „Wir verfügen über die Mittel, um Menschen zu helfen, die auf der Flucht vor Krieg, Terror und Unterdrückung sind.“ Juncker verwies in diesem Zusammenhang auch darauf, dass die Flüchtlinge zuletzt lediglich 0,11 Prozent der europäischen Bevölkerung ausmachten. Im Libanon liege dieser Wert beispielsweise bei 25 Prozent – „und das in einem Land, dessen Einwohner nur ein Fünftel des Wohlstands der Menschen der EU genießen“, so Juncker.

Solidarität als Gebot der Stunde

Bislang gibt es laut Juncker innerhalb der EU zu wenig Solidarität: „Unsere EU ist in keinem guten Zustand. Es fehlt an Europa in dieser EU. Und es fehlt an Union in dieser EU“, bekräftigte Juncker in seiner knapp eineinhalbstündigen Rede. Darin machte der EU-Kommissionspräsident Vorschläge für eine Umverteilung von weiteren 120.000 Asylsuchenden aus Ungarn, Griechenland und Italien nach festen Quoten. Griechenland, Ungarn und Italien könnten mit der Last nicht alleine gelassen werden. Die meisten Flüchtlinge betreten derzeit in Griechenland und Italien erstmals den Boden der EU.

Auf die Verteilung von 40.000 Menschen hatten sich die EU-Staaten bereits im Juni grundsätzlich geeinigt. Nun soll die Zahl nach gegenwärtiger Meinung der EU-Kommission um 120.000 weitere Migranten auf insgesamt 160.000 aufgestockt werden. Von diesen weiteren 120.000 Migranten, die umverteilt werden könnten, soll Deutschland rund 31.400 aufnehmen. Nach einer älteren Zusage hatte sich Deutschland schon bereit erklärt, 10.500 aufzunehmen. Deutschland und Schweden sind momentan die beiden Länder in Europa, die mit Abstand die meisten Flüchtlinge aufnehmen. Angesichts dramatischer Zustände hat Deutschland seit dem Wochenende tausende Flüchtlinge aufgenommen, die zuvor in Ungarn festsaßen.

Anregung zu umfangreichen Reformen

In seiner Rede im Europaparlament stellte Juncker zudem den Plan für eine Liste sicherer Herkunftsstaaten vor. Diese soll eine leichtere Abschiebung von Migranten ohne Anspruch auf Asyl ermöglichen. Zudem will die EU-Kommission mittelfristig einen festen Mechanismus etablieren, um weitere Diskussionen über die gerechte Verteilung von Flüchtlingen zu vermeiden. Außerdem will die EU-Kommission in den nächsten Tagen gegen Mitgliedstaaten neue, weitere Strafverfahren wegen Verstößen gegen gemeinsame Asylregeln einleiten. Verstöße bestehen laut Juncker derzeit etwa bei den Aufnahmebedingungen oder der Abnahme von Fingerabdrücken. Auf diese Weise umgehen einige Länder die sogenannte Dublin-Verordnung, die regelt, dass derjenige Mitgliedstaat, in dem ein Asylbewerber erstmals europäischen Boden betritt, für das Asylverfahren verantwortlich ist.

Arbeit und Beschäftigung bedeutet Würde.

Jean-Claude Juncker

Juncker kündigte zudem für 2016 ein Paket mit Vorschlägen zur legalen Einwanderung an: „Es reicht nicht aus, dass man gegen illegale Migration vorgeht, wir müssen legale Migration ermöglichen.“ Europa sei ein alternder Kontinent im demografischen Niedergang, der „Talente aus der ganzen Welt“ bräuchte. Asylbewerber sollten demnach direkt ein Recht haben, arbeiten zu dürfen, auch wenn ihr Asylantrag noch geprüft werde. Denn „Arbeit und Beschäftigung bedeutet Würde“, begründete Juncker seinen Vorstoß.

Mit seinem Vorstoß antwortete Juncker gleichzeitig den Kritikern, die der EU vorwerfen, zu versagen: Statt das Phänomen steigender Asylbewerberzahlen gemeinsam und solidarisch anzugehen, zerfleische sie sich in juristischem Kleinklein, gegenseitigen Schuldzuweisungen und Egoismus. Aus Sicht von Juncker ist diese Kritik unberechtigt, habe doch seine Behörde bereits im Frühjahr eine umfangreiche Migrationsagenda vorgestellt, die allerdings an der fehlenden Akzeptanz durch die Briten, Balten und Osteuropäer gescheitert sei.

Lob für Juncker aus den Reihen der CSU

Bayerns Europaministerin Beate Merk (CSU) begrüßte Junckers deutliche Worte:

Kommissionspräsident Juncker hat hier einen klaren Appell an die Mitgliedstaaten in der EU gerichtet. Alle Mitgliedstaaten müssen in der aktuellen Krisensituation endlich Verantwortung übernehmen. Es ist ein Armutszeugnis, dass man über die Selbstverständlichkeit, dass alle Mitgliedstaaten ihren Anteil beitragen müssen, überhaupt so lange diskutieren muss. Deutschland ist bei der Aufnahme schutzbedürftiger Flüchtlinge mit vorangegangen und trägt in der EU derzeit mit einigen wenigen weiteren Mitgliedstaaten die Hauptlast. Es ist aber eine Frage der Gerechtigkeit, dass jetzt schnell umfassende Regeln für einen fairen und verbindlichen Verteilungsmechanismus geschaffen werden.

Beate Merk

Auch die Vorsitzende der CSU-Gruppe im Europaparlament, MdEP Angelika Niebler, unterstützt Junckers Position:

Jean-Claude Juncker hat eindringlich an die humanitäre Verantwortung und die Solidarität aller nationalen Regierungen bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise in der EU appelliert. Jetzt kann sich keiner mehr wegducken und sich seiner moralischen und politischen Verpflichtung entziehen. Es kann nicht sein, dass einige wenige Länder alle Lasten im Alleingang schultern. Solidarität ist keine Einbahnstraße.

Angelika Niebler

Und auch Manfred Weber (CSU) kündigte als Fraktionschef der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) an, die Pläne von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker zur Flüchtlingspolitik zu unterstützen, wie er im rbb-Inforadio verlauten ließ. Demnach werde das Europaparlament schon am Donnerstag eine Resolution verabschieden, die sich für eine verbindliche Quotenregelung bei der Verteilung von Flüchtlingen ausspricht. Ohne Quote ginge es nicht, ansonsten stünde Europa vor einer Zerreißprobe, wie der Europaabgeordnete weiter gegenüber rbb-Inforadio betonte:

Was derzeit scheitert, ist nicht Europa, sondern es scheitert am nationalen Egoismus, den wir leider Gottes erleben. Parlament und Kommission wollen die Quote, und dann liegt es an den Regierungen. Es ist ein mühsamer Prozess, aber es ist Bewegung in eine positive Richtung und dabei hat das deutsche Beispiel durchaus Bewegung mit ausgelöst.

Manfred Weber

(dpa/dia)