Italiens Wiedergänger (v.l.): Giorgia Meloni (FdI), Silvio Berlusconi (Forza Italia) und Matteo Salvini von der Lega. (Foto: Imago/Samantha Zucchi/Insidefoto)
Italien

Rette sich, wer kann

Kommentar Am Sonntag wählt Italien. Europakritische Parteien und Bewegungen können mit Mehrheiten rechnen. Wähler und Parteien sind entschlossen, mit Brüsseler Stabilitäts- und Sparpolitik zu brechen. Italiens Krise geht in eine neue Phase.

Italien ist das Land, in dem sich alle Krisen kreuzen: Staatsschuldenkrise mit über 130 Prozent Staatsverschuldung, Finanz- und Bankenkrise mit 360 Milliarden Euro an faulen Krediten, Wirtschaftskrise mit zehn Jahren Absturz und Stagnation, soziale Krise mit hoher Jugendarbeitslosigkeit und um sich greifender Verarmung, Flüchtlingskrise mit über 600.000 meist afrikanischen Migranten in nur vier Jahren. Alle diese Krisen ballen sich zur politischen Dauerkrise, in der populistische Parteien und Bewegungen seit Jahren Zulauf finden wie sonst nirgends.

Wahl in der Dauerkrise

Am kommenden Sonntag wählt das Dauerkrisenland ein neues Parlament. Ganz Europa schaut dem Termin seit langem mit Bangen entgegen. Kein Wunder: Für die EU und für die Eurozone steht viel auf dem Spiel: Italien ist die drittgrößte Wirtschaft der Eurozone – zu groß, um zu scheitern, aber auch zu groß für Rettungspakete. Wenn Italien aus der Bahn gerät, dann sind alle Pariser, Berliner oder Brüsseler EU-Reformpläne Makulatur. Dann kommen EU und Eurozone in schwere See. Dann rette sich, wer kann.

Viele Jahre lang und mehrere Wahlen ist in Italien noch alles gut gegangen – überraschend gut, angesichts der Dauerkrise im Lande. Nur: Kann das am kommenden Sonntag noch einmal halten? Es sieht nicht danach aus. Zu groß ist der Zorn der Wähler, die so nicht mehr weiter machen wollen, nicht mehr weiter machen können.

Mehrheiten für die Populisten

Starke Ergebnisse für linke und rechte Populisten zeichnen sich ab: Die linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) von Komiker Beppe Grillo kann letzten Umfragen zufolge mit knapp 30 Prozent der Wahlstimmen rechnen. Die avisierte Mitte-Rechts-Koalition aus Silvio Berlusconis Forza Italia (FI), der rechtspopulistischen Lega – ehemals Lega Nord – und den postfaschistischen Fratelli d’Italia (FdI) liegen bei bis zu 38 Prozent. Das von der Demokratischen Partei (PD) geführte Mitte-Links-Bündnis wird auf 26 Prozent geschätzt.

Wohl nicht im Angebot: ein klarer Wahlsieger mit klarer Regierungsmehrheit. Ein Regierungsbündnis wird sich nach dem Wahlsonntag noch finden müssen.

Heikle Koalitionen

Brüsseler und anderen Beobachtern am liebsten wäre es, wenn Berlusconis Forza Italia und die von der PD geführte Mitte-Links-Formation zur Koalition der Mitte zusammen fänden, am besten weiter mit dem populären Paolo Gentiloni als Premier. Im Wahlkampf haben Berlusconi und PD-Chef Matteo Renzi einander denn auch sichtbar geschont. Spannend wird es im rechten Lager, wenn die Lega am Wahlabend die Forza Italia überholte – die Umfragen sehen beide zwischen 14 und 16 Prozent – und Lega-Chef Matteo Salvini dann entsprechende Führungsansprüche stellte.

Für die linkspopulistische M5S kam bislang nur eine Alleinregierung in Betracht. Doch davon redet ihr 31-jähriger Spitzenkandidat Luigi di Maio nicht mehr. Auch die Fünf Sterne zielen auf die Führungsrolle in einer dann besonders EU-kritischen Koalition – mit der Lega, ahnen Beobachter. Brüssels Albtraum.

Politik gegen die EU

Denn Lega und Fünf Sterne machen offen Wahlkampf gegen die EU und gegen den Euro. „Europas Sklaven? Nein Danke!“, so eine Lega-Parole. Beide Parteien haben früher schon ein Referendum über den Euro gefordert. Jetzt plädieren sie – wie übrigens auch Berlusconis FI – für die Einführung einer parallelen Zweitwährung. Denn der Euro, behauptet Berlusconi, habe Italien in die Armut getrieben. Und nicht etwa Jahrzehnte korrupter und unfähiger Selbstbedienungspolitiker.

Die offene Stimmungsmache der Populisten gegen den Euro und gegen die EU ist womöglich noch das geringste Problem. Ernster ist, dass keine der Parteien Reformen und Reformpolitik im Wahlprogramm stehen haben, auch nicht die pro-europäische PD. Alle wollen dafür den Stabilitätspakt entweder abschaffen (M5S), neu verhandeln oder revidieren (PD).

Surreale Ausgaben-Pläne

Von Brüsseler Defizit-Vorgaben will keine Partei etwas wissen. Alle werben mit milliardenteuren Wahlgeschenken: Die PD verspricht niedrigere Steuern, Mindestlohn und ein großes Ausgabenprogramm. Forza Italia und Lega versprechen die Einheitssteuer von 23 Prozent oder niedriger. Die Fünf Sterne versprechen weniger Steuern, bedingungsloses Grundeinkommen – und wollen die Staatsschulden nicht zurückzahlen. Forza Italia, Lega und M5S wollen außerdem die Erhöhung des Renteneinstiegsalters wieder zurücknehmen.

In Italiens Lage ist das alles surreale Politik. Aber Italiens Parteien – und die Wähler – meinen das ernst. Wie auch immer die Wahl am Sonntag ausgeht: Italien wird sich gegen Brüsseler Stabilitätspolitik wenden. Einem Ende der Krise kommen die Italiener damit nicht näher. Im Gegenteil: Die Dauerkrise erreicht das nächst höhere Niveau.