Athen will lügen dürfen
Weil er 2010 die ersten richtigen Daten meldete, wird der griechische Ex-Statistikchef Andreas Georgiou mit Prozessen überzogen. Jetzt wurde er wieder verurteilt. Was bedeutet: Athen will weiter lügen. Brüssel kann sich das nicht gefallen lassen.
Griechenland

Athen will lügen dürfen

Kommentar Weil er 2010 die ersten richtigen Daten meldete, wird der griechische Ex-Statistikchef Andreas Georgiou mit Prozessen überzogen. Jetzt wurde er wieder verurteilt. Was bedeutet: Athen will weiter lügen. Brüssel kann sich das nicht gefallen lassen.

Wer soll Griechenland noch jemals Vertrauen schenken? Wer soll Zahlen aus Athen noch jemals glauben? Die Frage muss sich stellen, wer liest, dass der ehemalige Chefstatistiker Andreas Georgiou schon wieder verurteilt wurde. Zum zweiten Mal in diesem Jahr.

Dieses Mal ging es um eine Pressemitteilung aus dem Jahr 2014 und angebliche „üble Nachrede“. In der Pressemitteilung hatte sich Georgiou, damals noch Behördenleiter in Athen, darüber beschwert, dass gegen ihn wegen richtiger Statistikzahlen ermittelt werde, aber nicht gegen diejenigen, die fast ein Jahrzehnt lang falsche griechische Statistikdaten produziert und weiter gegeben hatten.

Klarer Fall von „einfacher übler Nachrede“, befand Anfang November das Athener Zivilgericht und verurteilte Georgiou zur Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz – an einen ehemaligen Abteilungsleiter aus dem alten „Generalsekretariat für statistische Dienste Griechenlands“ (EYSE). Außerdem soll Georgiou das Urteil auf eigene Kosten in einer großen Tageszeitung veröffentlichen.

Der Mann vom IWF

Zur Erinnerung: Im Frühjahr 2010 hatte Athen jahrelangen massiven Statistikbetrug eingestehen müssen. Griechenlands Haushaltsdefizit betrug 12 oder 13 Prozent – nicht 3,7 Prozent, wie das EYSE für das Jahr 2009 errechnet hatte. Die griechische Schuldenkrise brach los. Die EU-Kommission erzwang, dass in Athen endlich eine unabhängige Statistikbehörde eingerichtet wurde: Elstat. Behördenleiter wurde Andreas Georgiou, in den USA promovierter Wirtschaftswissenschaftler und 20 Jahre lang Mitarbeiter des Internationalen Währungsfonds (IWF).

In Europa stimmen wir nicht über statistische Daten ab.

Andreas Georgiou

Georgiou brachte völlig neue Statistik-Sitten nach Athen. Er ließ sogleich alles nachrechnen – mit reellen Zahlen. Und fand prompt weitere Riesenlöcher im Haushalt. Athens Defizit betrug nicht 13, sondern 15,4 Prozent. Der ehrliche Mann vom IWF übermittelte die ehrlichen Zahlen und Daten an Brüssel. Ohne nach altem Athener Brauch zuvor den Elstat-Verwaltungsrat darüber abstimmen zu lassen. Georgiou: „In Europa stimmen wir nicht über statistische Ergebnisse ab.“ Für diese „Pflichtverletzung im Amt“ hat ihn in diesem August ein Athener Gericht zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Kein Scherz.

Athen will gar nicht reformieren

Und jetzt dieses neue Urteil, demzufolge der erste saubere griechische Statistikchef Schadenersatz zahlen muss an einen Amtsvorgänger, der allem Anschein nach jahrelang getrickst hat. Das ist noch nicht alles. Die griechische Politik, Justiz und ein Teil der Presse gibt Georgiou die Schuld an Griechenlands Schuldenkrise und den bitteren Folgen. Weitere Verfahren gegen ihn sind anhängig. Griechenlands Generalstaatsanwältin fordert für Georgiou allen bitteren Ernstes lebenslängliche Haft. Sein Glück, dass er seit 2015 wieder im US-Bundesstaat Maryland lebt.

Was das alles bedeutet, ist klar: Athen beansprucht für sich das Recht, über Wirtschafts- und Haushaltszahlen weiter lügen zu dürfen. Wer wahre Zahlen liefert und auf falsche Zahlen hinweist, der wird verklagt, verurteilt und eingesperrt. Auf reelle statistische Daten aus Athen dürfen die EU-Kommission und alle Griechenlandretter nicht hoffen, nicht heute und nicht morgen. Reelle Daten aber sind die Voraussetzung für die Reformen, welche die Retter seit Jahren fordern. Die Verfahren und Urteile gegen Georgiou und seine ehrlichen Zahlen bedeuten: Athen hat gar nicht vor, je zu liefern.

Den Versprechen und Statistiken aus Athen ist noch immer nicht zu trauen.

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Damit ist eigentlich jeder Griechenland-Rettung der Boden entzogen. Brüssel darf das nicht mit sich machen lassen. Wenn nicht die Europäer glauben sollen, dass der EU-Kommission reelle Zahlen und Reformen in Griechenland im Grunde gleichgültig seien. Hier ist ein Machtwort fällig.