Terror mit einfachen Mitteln
Der Anschlag auf der Londoner Westminster Bridge steht „in Verbindung zum islamistischen Terrorismus” sagt der britische Verteidigungsminister Michael Fallon. Vorläufige Bilanz des Blutbads: mindestens 5 Tote und rund 40 Verletzte. Die Polizei hat Wohnungen in London und Birmingham gestürmt.
London

Terror mit einfachen Mitteln

Der Anschlag auf der Londoner Westminster Bridge steht „in Verbindung zum islamistischen Terrorismus” sagt der britische Verteidigungsminister Michael Fallon. Vorläufige Bilanz des Blutbads: mindestens 5 Tote und rund 40 Verletzte. Die Polizei hat Wohnungen in London und Birmingham gestürmt.

Wer sich täglich durch die Menschenmengen in London quält, hatte davor schon lange Angst: Was wäre, wenn sich mitten im Zentrum eine Terrorattacke ereignet? Am Mittwoch war es soweit – genau vor dem Parlament und auf einer nahen Brücke. Ganz in der Nähe von Touristenattraktionen. Vorläufige Bilanz des Blutbads: mindestens 5 Tote und rund 40 zum Teil sehr schwer Verletzte, wie ein Scotland-Yard-Sprecher am späten Abend mitteilte.

Da sagen die Leute: Haltet euch lieber nur in sicheren Gegenden auf. Und dann sterben Menschen ausgerechnet auf einer Brücke.

Augenzeugin

Eine Messerattacke, Schüsse, ein Auto, das in Fußgänger raste. Menschen lagen bewegungslos auf dem Boden, Schwerverletzte. Unter den Toten war auch der Angreifer, wohl ein Einzeltäter. Er soll sein Fahrzeug als Mordwaffe genutzt und dann einen Polizisten mit einem Messer attackiert haben. Der Polizist hat nicht überlebt. Einen Tag nach dem Terroranschlag in London werden immer mehr Details über die Opfer bekannt: Vier Mitglieder einer englischen Studentengruppe und drei französische Schulkinder gehören zu den Verletzten. Auch fünf Touristen aus Südkorea und zwei Besucher aus Rumänien sind bei dem Anschlag verletzt worden. Der von dem Angreifer erstochene Polizist ist ein 48-jähriger Ehemann und Vater. Der Staatssekretär des Außenministeriums, Tobias Ellwood, hatte noch verzweifelt versucht, durch Mund-zu-Mund-Beatmung das Leben des Polizisten zu retten.

Verbindung zum islamistischen Terrorismus

Am Tag nach der Tat geht der britische Verteidigungsminister Michael Fallon davon aus, dass der Londoner Anschlag „in Verbindung zum islamistischen Terrorismus” steht. Das sagte er laut dem Fernsehsender BBD. Die Sicherheitsmaßnahmen rund um das Parlamentsgebäude würden überprüft.

Nach dem Terroranschlag haben bewaffnete Polizisten in Großbritannien sieben Personen festgenommen. Das teilte Scotland Yard mit. Zuvor seien mehrere Wohnungen in London und Birmingham durchsucht worden. Die Polizei hat sich bis jetzt nicht dazu geäußert, ob auch die Wohnungserstürmung in Birmingham im Zusammenhang mit dem Anschlag in London stand. Die britische Nachrichtenagentur PA zitiert einen Zeugen, demzufolge drei Männer festgenommen wurden. „Der Mann aus London hat hier gelebt”, sagte der Zeuge.  Laut Scotland Yard ist die Identität des Attentäters von der Westminster-Brücke geklärt: Es handele sich wohl um einen Einzeltäter.

Unübersichtliche Lage

„Das ist alles so schrecklich“, so am Nachmittag des Anschlags eine schockierte Frau an einem Absperrband. „Da sagen die Leute: Haltet euch lieber nur in sicheren Gegenden auf. Und dann sterben Menschen ausgerechnet auf einer Brücke.” Mit ihrem Mann ist die Engländerin nach London zu einem Theaterbesuch gefahren. „Wir haben nur kurze Zeit später mit dem Bus die Parallelbrücke über die Themse überquert”, berichtete die Frau.

Auch im berühmten Riesenrad London Eye steckten Menschen vorübergehend fest − mit Blick auf den Tatort.

Hunderte von Menschen wurden aus dem Parlament gebracht, darunter viele Kinder, die das altehrwürdige Gebäude besucht hatten. 90 Minuten dauerte es nach Polizeiangaben, bis das Gebäude leer war. „Ich habe in einem Gebäude ganz in der Nähe für meine Arbeit recherchiert. Sofort wurde alles abgeschlossen, da kam niemand mehr rein noch raus”, sagte Jacob Turner, ein junger Rechtsanwalt. Er habe gesehen, wie ein Rettungshubschrauber gelandet sei.

Die Lage war zunächst völlig unübersichtlich. Hubschrauber dröhnten über dem Parlamentsgebäude, das an der Themse liegt. Polizisten jagten Fußgänger fort, das betroffene Areal samt Parlament wurde evakuiert. Rettungskräfte und Passanten kümmerten sich um die Opfer. Empfehlung von Scotland Yard: „Meiden Sie den Parlamentsplatz, Whitehall, Westminster und Lambeth Bridge, Victoria Station bis zur Kreuzung Broadway und Victoria Embankment.” Ein großes Areal. Einige U-Bahnhöfe wurden geschlossen; Touristengruppen saßen im Untergrund fest. Auch im berühmten Riesenrad London Eye steckten Menschen vorübergehend fest – mit Blick auf den Tatort. Die Polizei rief Zeugen auf, ihre Filmaufnahmen und Fotos an die Ermittler zu senden. Gleichzeitig rief sie zur Zurückhaltung auf und bat darum, keine Bilder und Videos von Opfern in Umlauf zu bringen.

Terror mit einfachen Mitteln

Gibt es einen Zusammenhang mit einem anderen Blutbad? Die Angriffe in London wurden auf den Tag genau ein Jahr nach islamistischen Attacken in Brüssel verübt. Am 22. März 2016 rissen drei Selbstmordattentäter am Flughafen der belgischen Hauptstadt und in der U-Bahnstation Maelbeek im Europaviertel 32 Menschen mit in den Tod. Der letzte große Terroranschlag in London ist fast zwölf Jahre her. Damals zündeten vier Muslime mit britischem Pass in der Londoner U-Bahn und einem Bus Sprengsätze. 56 Menschen starben.

Die Botschaft ist klar: Jeder der Zugang zu einem Kraftfahrzeug hat, kann es für einen Terroranschlag verwenden. Und es gibt einfach nicht viel, um das zu verhindern.

The Independent

Eine andere Verbindung ist jedoch offensichtlich: Der Anschlag von der Westminster Bridge ähnelt dem Muster der Terroranschläge von Nizza und gegen einen Weihnachtsmarkt in Berlin. In Nizza war am vergangenen 14. Juli nach dem Feuerwerk zum französischen Nationalfeiertag ein tunesischer Islamist mit seinem Lastwagen in die Menge auf dem Strand-Boulevard des Anglais gerast. 86 Personen kamen ums Leben, über 400 wurden zum Teil schwer verletzt. In Berlin hatte am 19. Dezember wiederum ein tunesischer Islamist einen gestohlenen Lkw auf den kleinen Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gesteuert – elf Weihnachtsmarktbesucher wurden getötet, 55 verletzt, einige von ihnen schwer. In beiden Fällen erklärte die Terrormiliz Islamischer Staat, die Täter hätten als íhre Soldaten gehandelt.

„Das ist das neue Antlitz des modernen Terrors mit einfachen Mitteln”, titelt am Tag nach der Tat die Londoner Internetzeitung The Independent: „Die Botschaft ist klar: Jeder der Zugang zu einem Kraftfahrzeug hat, kann es für einen Terroranschlag verwenden. Und es gibt einfach nicht viel, um das zu verhindern.” (dpa/BK/H.M.)