Das Europäische Parlament in Brüssel. (Foto: M.Dietrich)
EU-Parlament

Eine Wahl und ihre Folgen

Gastbeitrag Die Wahl des neuen Parlamentspräsidenten Tajani sorgte für einige Veränderungen in Brüssel. Markus Ehm, Leiter der Verbindungsstelle der Hanns-Seidel-Stiftung in Brüssel, analysiert die möglichen Auswirkungen der Personalrotationen.

Der Italiener Antonio Tajani ist neuer Präsident des Europäischen Parlaments. Er gehört, wie die deutschen CDU/CSU-Abgeordneten, der Europäischen Volkspartei (EVP) an. Das Parlament sendet damit ein Signal der Solidarität an den europäischen Süden, den die Wirtschafts- und Finanzkrise fest im Griff hat. Die Wahl Tajanis bedeutet einen großen Erfolg für den CSU-Politiker Manfred Weber, der als EVP-Fraktionsvorsitzender die Mehrheit organisiert hat.

Personalrotationen

Das Europäische Parlament bestimmt traditionell zur Hälfte der Legislaturperiode, das heißt zweieinhalb Jahre nach der letzten Europawahl, seine Schlüsselpositionen neu. Zwei Entscheidungen standen bei den Rotationen im Mittelpunkt: das Amt des Parlamentspräsidenten und die Wahl des Vorsitzenden des Ausschusses für internationale Angelegenheiten.

Der Wahl Antonio Tajanis zum Parlamentspräsidenten ging ein intensives Ringen zwischen der EVP und den Sozialdemokraten voraus, weil letztere eine Vereinbarung aus dem Jahr 2014 brachen.

Der bisherige EU-Parlamentspräsident, der deutsche SPD-Politiker Martin Schulz, wollte zunächst im Amt bleiben.

Ein Blick zurück: EVP und Sozialdemokraten trafen nach der Europawahl 2014 die Abmachung, wonach die Sozialdemokraten bis Januar 2017 den Präsidenten des Europäischen Parlamentes stellen sollten. Anschließend sollte dieses hohe Amt mit einem EVP-Politiker besetzt werden. Während die EVP zu dieser Abmachung stand, lösten sich die Sozialdemokraten davon. Der bisherige EU-Parlamentspräsident, der deutsche SPD-Politiker Martin Schulz, wollte zunächst im Amt bleiben. Nach seinem Verzicht schickte seine Fraktion den Italiener Gianni Pitella ins Rennen, der letzten Endes im vierten Wahlgang seinem Landsmann Tajani unterlag. Die Grundlage für dessen Sieg bildete ein Zweckbündnis der EVP mit der liberalen ALDE-Fraktion, die der EVP-Fraktionsvorsitzende Manfred Weber hinter den Kulissen geschmiedet hatte, auch wenn dieses Bündnis nicht die Mehrheit auf sich vereinte.

Daneben ist bekannt, dass Manfred Weber größten Wert darauf legte, die Mehrheit ohne die Stimmen der Radikalen und der Anti-EU-Kräfte zu sichern.

Die Mehrheit für Tajani soll – so berichten informierte Kreise – durch Unterstützung von Abgeordneten aus verschiedensten Fraktionen zustande gekommen sein, denn er gilt als exzellent vernetzter Politiker mit hervorragenden Kontakten zu vielen Europaabgeordneten. Daneben ist bekannt, dass Manfred Weber größten Wert darauf legte, die Mehrheit ohne die Stimmen der Radikalen und der Anti-EU-Kräfte zu sichern. Ihm sei es um eine Einigung unter Demokraten gegangen, wie aus dem Umfeld der EVP-Fraktion verlautet.

Die andere wichtige Personalie: Zukünftig leitet den Ausschuss für internationale Angelegenheiten der ehemalige Ministerpräsident von Niedersachsen, David McAllister (CDU/EVP). Er löst seinen Parteifreund Elmar Brok ab.

Bewertung und Ausblick

Die Wahl von Antonio Tajani hat Konsequenzen für die Arbeit innerhalb des Europäischen Parlaments. Einerseits dürften die Fraktionen mehr Macht erlangen. Der bisherige Präsident Martin Schulz mischte sich in politische Fragen aktiv ein. Er begnügte sich keineswegs mit einer repräsentativen Aufgabe. Tajani hingegen unterstreicht, dass er diesen starken politischen Anspruch nicht verfolgen werde. Er sieht sich eher als Vermittler und Repräsentant des Europäischen Parlaments. Andererseits wird es noch häufiger wechselnde Mehrheiten geben, denn die 751 Sitze verteilen sich auf acht Fraktionen, und die Sozialdemokraten haben das „Mehrheitsbündnis“ mit der EVP praktisch aufgekündigt, indem sie sich nicht an die frühere Vereinbarung hielten und weiterhin den Präsidenten stellen wollten. Es wird dauern, bis die Sozialdemokraten diesen Vertrauensbruch gegenüber der EVP vergessen machen können.

Es wird dauern, bis die Sozialdemokraten diesen Vertrauensbruch gegenüber der EVP vergessen machen können.

Daneben hat die Wahl Tajanis Folgen für das Zusammenspiel zwischen Parlament und Europäischer Kommission. Bisher gab es einen fünfköpfigen Kreis, der sich regelmäßig abseits der formellen EU-Institutionen auf politische Leitlinien verständigte. Den Kern dieses „5er-Rates“ bildeten EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (EVP) und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (Sozialdemokraten), die beide seit Jahren eine enge politische Freundschaft verbindet. Den Kreis komplettierten einerseits mit EU-Vize-Kommissionspräsident Frans Timmermans und dem Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokraten Gianni Pitella zwei weitere Sozialdemokraten sowie andererseits Manfred Weber, Fraktionsvorsitzender der EVP. Diese „5er-Runde“ beeinflusste die EU-Politik wesentlich. Informierte Kreise sprechen davon, dass mit dem Ausscheiden von Schulz aus dem Präsidentenamt der informelle „5er-Rat“ nicht mehr zusammentreten dürfte, war seine Grundlage doch die Freundschaft unter den politischen Weggefährten Juncker und Schulz.

Das Parlament wird in diesem Fall mehr eigenständige Initiativen auf den Weg bringen, was wiederum die Macht der Fraktionen stärkt. Dort wird zukünftig die politische Meinungsbildung überwiegend stattfinden. Auch vor diesem Hintergrund gewinnt die Stellung des CSU-Politikers Manfred Weber als Vorsitzender der größten Fraktion des Parlaments eine noch größere Bedeutung. In den eigenen Reihen genießt er ohnehin eine sehr hohe Wertschätzung, die durch die erfolgreiche Mehrheitsbeschaffung für Tajani noch einmal zunahm.

In den eigenen Reihen genießt Manfred Weber ohnehin eine sehr hohe Wertschätzung.

Die Wahl des Italieners zum Parlamentspräsidenten verkörpert ein Signal der Solidarität an den europäischen Süden im Allgemeinen und Italien im Speziellen. Brüssel unterstreicht, dass es mit Italien als einem Gründerstaat der Europäischen Union rechnet. Dass mit Tajani erstmals überhaupt ein Italiener an der Spitze des Parlaments steht, könnte in seinem Heimatland eine pro-europäische Stimmung fördern. Er verkörpert in Italien nun als Symbolfigur einen europafreundlichen Gegenpol zu einer europaskeptischen Haltung, die neben Anti-EU-Kräften auch der ehemalige sozialdemokratische Ministerpräsident Matteo Renzi zum Ausdruck brachte, indem er bei offiziellen Anlässen demonstrativ auf die EU-Flagge verzichtete. Das Europäische Parlament wirkt damit der Stimmungslage entgegen, wonach der Norden den Süden abhängen würde.

 Dass mit Tajani erstmals überhaupt ein Italiener an der Spitze des Parlaments steht, könnte in seinem Heimatland eine pro-europäische Stimmung fördern.

Was den Wechsel an der Spitze des Ausschusses für internationale Angelegenheiten betrifft, so bringt die Wahl des CDU-Politikers David McAllister neue Chancen mit sich. Gerade in Zeiten der Brexit-Verhandlungen und unklaren politischen Verhältnissen in den USA wird das Parlament von seinen hervorragenden Kontakten in die anglophile Welt profitieren. Auch wenn London die EU verlässt, so haben beide Seiten ein ausgeprägtes Interesse an guten Beziehungen. McAllister sitzt somit zur richtigen Zeit am richtigen Platz. Außerdem wird er die Situation auf dem Balkan in den politischen Mittelpunkt rücken. Erst neulich hatte McAllister in seiner Eigenschaft als Sonderbeauftragter für Serbien dem Ausschuss berichtet und dem Land ein gutes Zeugnis ausgestellt. Vorstellbar ist, dass McAllister einen möglichen EU-Beitritt Serbiens unterstützen wird.