Abschreckung und Dialog
Unmittelbar vor dem Nato-Gipfel in Warschau fordert Litauens Staatspräsidentin Deutschland auf, in Europa eine militärische Führungsrolle zu übernehmen. Bundeskanzlerin Merkel macht Russland für den Vertrauensverlust zwischen Moskau und den Europäern verantwortlich: Seit Moskaus Annexions- und Gewaltpolitik in der Ukraine fühlen sich Russlands unmittelbare westliche Nachbarn bedroht.
NATO-Gipfel in Warschau

Abschreckung und Dialog

Unmittelbar vor dem Nato-Gipfel in Warschau fordert Litauens Staatspräsidentin Deutschland auf, in Europa eine militärische Führungsrolle zu übernehmen. Bundeskanzlerin Merkel macht Russland für den Vertrauensverlust zwischen Moskau und den Europäern verantwortlich: Seit Moskaus Annexions- und Gewaltpolitik in der Ukraine fühlen sich Russlands unmittelbare westliche Nachbarn bedroht.

Kurz vor dem Nato-Gipfel hat die litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite eine militärische Führungsrolle Deutschlands in Europa gefordert. „Ich denke, für Deutschland ist es an der Zeit, mehr Vertrauen in sich selbst zu haben und nicht dauernd zurückzublicken und nach historischen Empfindlichkeiten zu suchen”, sagte sie in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur. Nur ein großes und wirtschaftlich starkes Land wie Deutschland könne die zusätzliche politische und militärische Verantwortung übernehmen, die in Europa jetzt notwendig sei. „Es ist eine neue Ära, eine neue Epoche mit neuen Aufgaben für Europa, sich selbst zu verteidigen”, sagte Grybauskaite mit Blick auf die Konfrontation zwischen der Nato und Russland. „Deutschland bleibt kaum eine andere Wahl, als eine Führungsrolle einzunehmen.” Europa könne sich in Verteidigungsfragen nicht mehr alleine auf die USA verlassen.

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden wir von Russland besetzt”, sagte sie. „Wir möchten nicht vom gleichen Nachbarn erneut besetzt werden.

Litauens Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite

Die Staats- und Regierungschefs der Nato kommen am Freitag in Warschau zusammen, um über ihre Abschreckungsstrategie gegenüber Russland zu beraten. Litauen zählt zu den Nato-Mitgliedstaaten, die an Russland grenzen. Auf dem Gipfel soll die Stationierung jeweils eines Nato-Bataillons mit etwa 1000 Soldaten in Polen sowie den baltischen Staaten beschlossen werden. Das Bataillon in Litauen soll von der Bundeswehr mit mehreren hundert Soldaten angeführt werden. „Wir sind sehr glücklich, dass Deutschland zugestimmt hat, eine Rahmennation in Litauen zu sein”, sagte Grybauskaite dazu. Historisch begründete Vorbehalte mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg wies sie zurück. Für Litauen sind nach ihren Worten die historischen Erfahrungen mit Russland entscheidend: „Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden wir von Russland besetzt”, sagte sie. „Wir möchten nicht vom gleichen Nachbarn erneut besetzt werden.”

Kein Zurück zum Business-as-usual, solange Russland Besatzer und Aggressor ist.

Dalia Grybauskaite

An eine langfristige Konfrontation glaubt Grybauskaite nicht. „Aber ein Zurück zum Business-as-usual ist nicht möglich, solange Russland Besatzer und Aggressor ist und militärische Aktivitäten auf dem ukrainischen Territorium ausübt», betonte sie. Von dem geplanten Treffen des Nato-Russland-Rats nach dem Warschauer Gipfel verspricht sie sich nichts. „Weil es seitens Russland keine Bereitschaft gibt, sein Verhalten zu beenden. (…) Beide Seiten werden darauf hinweisen, wie sie über die Beziehungen denken − und das ist alles.”

Abschreckung und Dialog

Deutschland stehe hinter der Nato-Abschreckungsstrategie gegenüber Russland, setzt aber gleichzeitig auf den Dialog mit Moskau, betonte unterdessen Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin. In ihrer Regierungserklärung zum bevorstehenden Nato-Gipfel verteidigte sie am Donnerstag die geplante Truppenstationierung der Nato in den östlichen Mitgliedstaaten. „Deutschland trägt zu diesen Maßnahmen substanziell bei”, betonte Merkel. Es reiche nicht aus, Soldaten in Krisensituationen schnell verlegen zu können. Das Bündnis müsse stärker Präsenz im Baltikum und in Polen zeigen.

Wenn die Geltung des Rechts und die Unverletzlichkeit von Grenzen durch Worte und Tasten in Frage gestellt werden, dann geht natürlich vertrauen verloren.

Bundeskanzlerin Angela Merkel

Gleichzeitig warb Merkel für eine Fortsetzung der Gespräche zwischen der Nato und Russland. Sie kritisierte aber, dass Moskau ein Treffen des Nato-Russland-Rats vor dem Gipfel abgelehnt habe. „Wir sind uns (…) einig, dass dauerhafte Sicherheit in Europa nur mit Russland und nicht gegen Russland zu erreichen ist”, sagte Merkel. Abschreckung und Dialog gehörten „untrennbar zusammen”.

Im Osten hat Russlands Agieren in der Ukrainer-Krise unsere östlichen Alliierten zutiefst verstört.

Angela Merkel

Merkel verteidigte und betonte vor dem Bundestag das Nato-Prinzip der Abschreckung. „Das ist ein zutiefst defensives Konzept”, sagte sie. Die Kanzlerin machte zugleich Russland für einen Vertrauensverlust durch den Ukraine-Konflikt verantwortlich. Das Grundprinzip der Unverletzlichkeit der Grenzen sei „durch Worte und Taten in Frage gestellt worden”, sagte die CDU-Chefin. Das russische Vorgehen habe die Nato-Mitglieder im Osten „zutiefst verstört”. „Sie bedürfen daher der eindeutigen Rückversicherung durch die Allianz.”

Moskauer Truppenkonzentration im Westen Russlands

Das Verhältnis zwischen der Atommacht Russland und der Nato ist seit Jahren zerrüttet, vor allem wegen der Ukraine-Krise. Die Regierung in Moskau sieht besonders Pläne der USA für einen Raketenschild in Osteuropa als Sicherheitsbedrohung. Die Nato kritisiert indes Truppenkonzentrationen im Westen Russlands. Der russische Nato-Botschafter Alexander Gruschko warf der Nato vor, „eine konfrontative Agenda” anzubieten, „an der wir nicht interessiert sind”. Jeder müsse verstehen, dass Russland auf die Verlegung zusätzlicher Truppen nur militärisch antworten könne, sagte er der Zeitung Kommersant (Donnerstag). „Wir sehen die Nato derzeit nicht als Partner bei der Lösung von Problemen”, sagte Gruschko. „Wir sind bereit zum Dialog mit einzelnen Nato-Staaten.” Damit bezog er sich auf Gespräche darüber, wie gefährliche Begegnungen russischer und westlicher Kampfjets und Kriegsschiffe zu vermeiden seien.

Polen und Balten hoffen auf ein starkes Signal der Abschreckung.

Vor allem Polen und die baltischen Staaten fühlen sich von dem russischen Vorgehen in der Ukraine stark bedroht und erhoffen sich vom Nato-Gipfel ein starkes Signal der Abschreckung. Der polnische Präsident Andrzej Duda erklärte, er erwarte einen „Durchbruch” für die Sicherheitsarchitektur Polens und anderer Staaten der Region. „Bisher war Polen in der Nato, jetzt kommt die Nato nach Polen.” (dpa/H.M.)