Der türkische Präsident Recep Erdogan. (Foto: Zuma-Press/imago)
Türkei

Erdogans Kampf gegen die vierte Gewalt

Gastbeitrag Aus dem aktuellen BAYERNKURIER-Magazin: Der Fall Böhmermann ist nur einer von zahllosen Angriffen auf Presse- und Meinungsfreiheit durch den türkischen Präsidenten. ARD-Korrespondent Michael Schramm berichtet aus einem Land, das Journalisten zunehmend als „Spione“ und „Verräter“ betrachtet. Die aktuellen Urteile gegen die Reporter Dündar und Gül zeigen das erneut.

Vor gut sechs Jahren wurde ich von meinem Arbeitgeber – dem Bayerischen Rundfunk – als ARD-Korrespondent in die Türkei entsandt. Damals beneideten mich viele Freunde und Kollegen dafür. Istanbul als Lebensort war in, die Türkei galt als Land im Aufbruch. Ganz anders heute: Die Türkei, frisch gekürter Partner Europas im Umgang mit Flüchtlingen, kommt aus negativen Schlagzeilen nicht mehr heraus: Der sogenannte „Islamische Staat“ greift zunehmend über die gut 900 Kilometer lange türkisch-syrische Grenze. Mehrere Bombenanschläge in türkischen Städten werden ihm zur Last gelegt. Sicherheitskräfte des Landes bekämpfen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und deren Unterorganisationen im Südosten der Türkei mit äußerster Härte und ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung – dort herrscht Krieg. Und: Fast kein Tag vergeht ohne neue Angriffe auf Presse- und Meinungsfreiheit.

Erdogan wurde zunehmend autoritärer

Bereits zu Beginn meiner Korrespondenten-Tätigkeit war die zunehmende Einschränkung der Pressefreiheit ein zentrales Thema in der Türkei. Schon damals gab es immer wieder große Demonstrationen von Journalisten, von Vertretern der vierten Kraft in einer Demokratie, die fürchteten schon bald über keine Kraft mehr zu verfügen. Man schrieb das Jahr 2010, die islamisch-konservative AKP-Regierung war sieben Jahre im Amt, hatte ein Wirtschaftswunder auf den Weg gebracht, zeigte aber bereits ein zunehmend autoritäres Gesicht. Schon zu dieser Zeit befanden sich viele Journalisten in Gefängnissen oder standen unter Anklage. Ich sprach mit einigen von ihnen. Die meisten bestätigten mir, dass der Umgang mit kritischem Journalismus in der Türkei nicht erst unter dem damaligen Ministerpräsidenten (und späteren Präsidenten) Recep Tayyip Erdogan restriktiv ist. Die Veröffentlichung unliebsamer Meinungen zu behindern und deren Absender zu bedrohen habe eine gewisse Tradition. Neu, so hieß es, sei allerdings die Systematik mit der das geschehe und eine Justiz, die immer mehr unter dem Einfluss der Regierung steht.

Bei offiziellen Pressekonferenzen – besonders in Ankara – fiel mir alsbald auf, dass von türkischen Kollegen so gut wie keine kritischen Fragen mehr zu hören waren.

Bei offiziellen Pressekonferenzen – besonders in der Regierungshauptstadt Ankara – fiel mir alsbald auf, dass von türkischen Kollegen so gut wie keine kritischen Fragen mehr zu hören waren. Die berühmte „Schere im Kopf“, sie schien Eingang in viele Journalisten-Gehirne gefunden zu haben. Einer der Hauptgründe dafür liegt in der Struktur der türkischen Medienlandschaft. Für Baris Uygur, den Mitbegründer des auflagenstärksten Satiremagazins des Landes, ist das „Wegsperren von Journalisten nur der letzte Schritt“. Keine Zeitung und kein Sender in der Türkei verdiene wirklich Geld, sagt er. „Alle gehören zu großen Konzernen, und die wiederum müssen mit der Regierung Geschäfte machen. Wenn das Medium zu kritisch berichtet, verliert die Holding staatliche Aufträge und bekommt sogar Steuerverfahren aufgehalst. Wie frei kann man da berichten?“

Die ersten Jahre meiner Türkei-Zeit wurden meine ausländischen Presse-Kollegen und ich von Behörden grundsätzlich höflich und hilfsbereit behandelt. Das hat sich seit 2013, dem Jahr der sogenannten „Gezi-Proteste“ nach und nach geändert. Damals gingen Zehntausende aus Verärgerung über die einsame Entscheidung Erdogans, mitten in Istanbul einen kleinen Stadtpark einem Einkaufszentrum weichen zu lassen, landesweit auf die Straßen. Aus der Empörung über dieses „Eingreifen von oben“ wurde schnell – und dann über Wochen hinweg – eine Generalkritik an einer, zunehmend als autoritär empfundenen, Regierung. Gegen die Protestierenden ließ Erdogan hart durchgreifen und attackierte unter Anderem deutsche Medien als „Drahtzieher“. In der Folge kam es zu kuriosen Situationen: So weigerte sich zum Beispiel einmal ein Taxifahrer uns mitzunehmen, als er bemerkte, dass wir von der ARD sind. Weit problematischer: Von Jahr zu Jahr wird es seither für ausländische Medienvertreter schwieriger die benötigten Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen zu erlangen. Offiziell geht alles seinen korrekten Gang, aber der Papierkrieg wächst und wächst, man spürt, man will uns bedeuten: Vorsicht! Einige Kollegen haben das Land  verlassen bzw. verlassen müssen. Der Spiegel-Online Korrespondent Hasnain Kazim berichtet seit einigen Wochen von Wien aus über die Türkei.

Die Zukunft sieht düster aus

Bessere Arbeitsbedingungen für Journalisten, auch in Zukunft sind sie kaum zu erwarten: Die islamisch-konservative AKP-Regierung und Präsident Erdogan waren klare Sieger der jeweils letzten Wahlen. Käme es heute zu einem erneuten Urnengang, wäre die Regierung – nach Aussage nahezu aller Demoskopen – noch stärker. Und Europa? Die Gemeinschaft braucht die Türkei um die Migration aus gleich mehreren Krisengebieten auch nur halbwegs kontrollieren zu können. Vor diesem Hintergrund ist die Verhandlungsposition der Europäer denkbar schwach. Der Gang der Ereignisse in den letzten Wochen und Monaten bestätigt all das: Da hält die EU zum Beispiel den „Fortschrittsbericht zu Menschenrechten“ in der Türkei bis nach Parlamentswahlen zurück. So leistete die EU indirekte Wahlkampfhilfe für Erdogan und seine islamisch-konservative AKP.

2000 Klagen wegen Beleidigung

Und die türkische Regierung? Sie legt munter nach: Einer der bekanntesten und anerkanntesten Journalisten des Landes Can Dündar steht dieser Tage wegen „Spionage“, „Geheimnisverrat“ und „Putschversuch“ unter Anklage. Das türkische Verfassungsgericht hatte ihn und seinen Kollegen zuvor auf freien Fuß gesetzt. Präsident Erdogan aber akzeptiert diesen Entscheid nicht. Nota bene: Ein gewählter Präsident stellt sich über das Verfassungsgericht! Nicht weniger als 2.000 Klagen wegen Beleidigung hat der erste Mann im Staate persönlich auf den Weg gebracht. Der in diesen Tagen in Deutschland für großes Aufsehen sorgende Fall Böhmermann ist also nur einer von vielen! Gerade mal zwei Tage vor dem EU-Türkei-Gipfel wird die Redaktion der auflagenstärksten Zeitung der Türkei unter kriegsähnlichen Umständen gestürmt. Die bizarren Bilder dieser Aktion führen in Europa zwar zu Protesten, bleiben aber ohne Auswirkung auf die Verhandlungen mit den Regierungs-Vertretern der EU. Das EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen wird unbeirrt beschlossen. Und: Es dürfte weiter so gehen. Sagte Präsident Erdogan doch erst kürzlich: „Wer mit seinem Schreibstift den Terror unterstützt, der bekommt es mit mir zu tun!“ Was der türkische Präsident dabei unter „Terror“ versteht, lässt er offen. In den Ohren von so manchem türkischen Kollegen dürfte das deshalb fast so klingen wie: „Augen auf bei der Berufswahl!“

Aktuelles aus der Türkei

Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hat am Donnerstag nach einem Machtkampf mit Präsident Recep Erdogan angekündigt, bei einem AKP-Sonderparteitag am 22. Mai nicht mehr für den Parteivorsitz zu kandidieren. Damit verliert er auch das Amt des Ministerpräsidenten.

Erdogan kündigte dagegen am Freitag an, möglichst bald ein Referendum über eine Verfassungsänderung zur Einführung eines Präsidialsystems abhalten lassen und seine Macht damit auszubauen.

Unmittelbar nach der Rückzugsankündigung von Davutoglu hat Erdogan außerdem den Flüchtlingspakt mit der EU ins Wanken gebracht. Er wandte sich in Istanbul unter dem Jubel von Anhängern gegen die Brüsseler Forderung nach einer Änderung der Terrorgesetze in der Türkei. „Wir gehen unseren Weg, geh Du Deinen Weg“, sagte er an die Adresse der EU. „Einige Dich, mit wem Du willst.“ Die Menge skandierte: „Steh aufrecht, beuge dich nicht.“ Eine Änderung der Terrorgesetze ist einer der fünf offenen Punkte, die Ankara noch erfüllen muss, damit Türken wie geplant Ende Juni von der Visumpflicht befreit werden.

Der Schauprozess und der Weg in die Diktatur

Im Prozess gegen die regierungskritischen Journalisten Can Dündar und Erdem Gül in der Türkei sind die erwarteten Unrechtsurteile gefallen. Der Chefredakteur der Zeitung „Cumhuriyet“ Dündar ist zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden. Hauptstadtbüroleiter Erdem Gül habe eine fünfjährige Gefängnisstrafe erhalten, berichtete eine dpa-Reporterin von der Urteilsverkündung am Freitagabend in Istanbul. Das Gericht habe Dündar und Gül der Veröffentlichung geheimer Dokumente für schuldig befunden. Bizarr: Staatspräsident Erdogan selbst hatte Anzeige gegen Dündar und Gül erstattet. Sowohl Erdogan als auch der türkische Geheimdienst MIT wurden als Nebenkläger zugelassen.

Dündars Anwalt Bülent Utku sagte noch vor Beginn der Verhandlung in Istanbul, er rechne eigentlich mit einem Freispruch. „Aber bei politischen Prozessen weiß man ja nie.“ Die Verhandlung fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dündar und dem Hauptstadtkorrespondenten Gül wurden unter anderem Veröffentlichung geheimer Dokumente (weil er Waffenlieferungen der Türkei an syrische Islamisten aufdeckte) sowie versuchter Sturz der Regierung und Unterstützung einer Terrororganisation vorgeworfen. Nicht schuldig befand das Gericht die beiden Journalisten in den Anklagepunkten, in denen ihnen vorgeworfen wurde, die Regierung stürzen zu wollen und Spionage betrieben zu haben. Weiterhin verantworten müssen sich Dündar und Gül für angebliche Unterstützung einer Terrororganisation. Das Gericht gab dem Antrag der Staatsanwaltschaft statt, dass dieser Punkt in einem gesonderten Verfahren abgeurteilt werden soll.

Dündar hatte gesagt, in diesem Verfahren stehe nicht er persönlich, sondern der Journalismus vor Gericht. Damit hat er wohl Recht. Bereits vor der Urteilsverkündung hatte Dündars Anwalt für den Fall eines Schuldspruchs Berufung angekündigt, notfalls will er bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen. Nach Utkus Angaben müssen Dündar und Gül vor einem rechtskräftigen Urteil nicht ins Gefängnis.

Kurz vor der Urteilsverkündung hatte ein bewaffneter Angreifer am Freitag auf Dündar geschossen; Dündar blieb unverletzt. Der Attentäter wurde verhaftet. Das zeigt aber, welch hasserfülltes Klima Erdogan gegen alle türkischen Journalisten erzeugt hat. Nachdem Erdogan nun sein auf ihn zugeschnittenes Präsidialsystem durchpeitschen wird, ist die Türkei künftig nicht mehr als Demokratie zu bezeichnen, sondern als eine lupenreine Diktatur.

(avd)