Eine Baustelle in Katar als Vorhof zur Sklaverei. (Bild: Imago/Eigner Europa)
Verantwortungslose FIFA

WM in Katar: Breite Spur menschlichen Elends

Bittere Vorwürfe von Amnesty International: Auf den Baustellen für die Fußball-WM 2022 in Katar werden Tausende Gastarbeiter aus Südasien ausgebeutet, bis hin zur Zwangsarbeit. Aber die FIFA, die die Verhältnisse in Katar kennen muss, kümmert sich kaum. Bezeichnend: Eine FIFA-Arbeitsgruppe für WM-Nachhaltigkeit hat sich fünf Jahre nach der Vergabe der Spiele zum ersten Mal getroffen.

„Die hässliche Seite des schönen Spiels.“ So lautet der Titel des jüngsten 78-seitigen Berichts von Amnesty International über die „Ausbeutung der Gastarbeiter auf einer Baustelle der Fußball-WM 2022 in Katar“. Die Arbeitsbedingungen für die meist südasiatischen Gastarbeitert auf den WM-Baustellen in Katar werden nicht wirklich besser, so der Vorwurf der Menschrechtsorganisation. Und der Ausrichter des Sportereignisses, der Weltfußballverband FIFA, nimmt Vorwürfe und zum Teil schwere Verfehlungen katarischer Firmen noch immer nicht richtig ernst: Es geht um betrügerische Anwerbung von Gastarbeitern, niedrige oder nicht gezahlte Gehälter, schmutzige und überfüllte Quartiere, Zwangsarbeit, Pass-Entzug und Verweigerung der Ausreise. Kein schönes Bild.

Kein Überblick über die Leiharbeiterfirmen

Die Hauptverantwortung liegt natürlich beim katarischen Staat, der nie genau hinschaut, wenn es um das Los von Gastarbeitern in Katar geht. Verantwortlich für die Vorbereitung und Ausrichtung des Fußballereignisses ist ein Oberstes Komitee (Supreme Committee for Delivery and Legacy), das die Regierung in Doha eigens eingerichtet hat. Oberster Kunde und Auftraggeber für die Arbeiten am großen Khalifa Stadion bei Doha, um das es in dem Bericht geht, ist die 2008 vom Emir geschaffene Aspire-Zone-Stiftung. Die Stiftung vergibt alle Aufträge an ein einziges Hauptauftragnehmer-Konsortium, das die Gesamtverantwortung für alle Arbeiten am Khaifa-Stadium hat und wiederum alle Aufträge an Unterauftragnehmer vergibt.

Leiharbeiterfirmen, die Gastarbeiter nur rekrutieren und vermieten.

Diese Unterauftragnehmer wiederum stellen häufig selber nur wenige Arbeitskräfte ein, sondern nutzen Leiharbeiter-Firmen, die ihrerseits nichts anderes tun, als Gastarbeiter zu rekrutieren und dann zu vermieten. Auf den katarischen Baustellen muss es viele solcher kleinen Leiharbeitsfirmen geben, die sich dem Bericht zufolge denn auch die schwersten Verfehlungen haben zu schulde kommen lassen. Amnesty ist es nicht möglich gewesen, auf der Baustelle Khalifa Stadium eine vollständige Liste zu erhalten. Das Supreme Committee hatte keinen Überblick über die involvierten Unternehmen, die Hauptauftragnehmer kannten nicht alle beteiligten Leiharbeitsfirmen. Ein System der Unverantwortlichkeit.

Betrügerische Rekrutierung und Zwangsarbeit

Für den Bericht hat Amnesty International zwischen Februar 2015 und Februar 2016 dreimal Katar besucht und 234 Gastarbeiter interviewt. Über 100 von ihnen berichten von schweren Missbräuchen und Menschenrechtsverletzungen. Fast alle Gastarbeiter wurden Opfer übelster Rekrutierungsbetrügereien. Das beginnt damit, dass alle 234 befragten Gastarbeiter zuhause hohe Schulden aufnehmen mussten, um Rekrutierungsgebühren zu bezahlen, obwohl das nach katarischem Recht verboten ist. Praktisch alle Gastarbeiter berichten, dass ihnen bei der Rekrutierung in Bangladesh oder Nepal viel höhere Arbeitslöhne versprochen wurden, als sie dann in Katar erhielten. Einspruch war auf der Baustelle nicht möglich. „Das ist es, was wir dir bezahlen. Hör auf dich zu beschweren, mach einfach deine Arbeit. In zwei Jahren kannst du gehen“, erklärte ein katarischer Quartier-Chef einem Gastarbeiter aus Bangladesch. „Was man dir in Bangladesch versprochen hat, ist nicht mein Problem“, bekam ein anderer Bangladeschi von einem Manager zu hören. Was vermutlich sogar zutreffend ist, denn mit der Rekrutierung der Arbeitskräfte haben die Auftragnehmerfirmen eben nichts zu tun.

Das ist, was wir immer zahlen. Was man dir in Bangladesch versprochen hat, ist nicht mein Problem.

Zum Betrug bei der Rekrutierung gehört, dass die Arbeiter für bestimmte Arbeiten eingestellt werden, aber auf der Baustelle in Doha ganz andere und häufig viel schwerere Arbeiten verrichten müssen. So wurde etwa ein Elektriker als Stahlmonteur eingesetzt. Als er und andere sich beschweren wollten, bekamen sie zu hören: „Ihr arbeitet jetzt noch ein bis drei Monate was man euch aufträgt. Wenn ihr nicht arbeitet, werdet ihr nicht bezahlt und bekommt auch eure Pässe nicht zurück.“ In Bangladesch oder Nepal waren Arbeitsbedingungen und Bezahlungen zwar vereinbart, aber nicht vertraglich fixiert worden. Die Gastarbeiter hatte Blanko-Verträge unterzeichnen müssen.

Der Manager hat mich angeschrien: Arbeite weiter oder du wirst niemals mehr gehen!

Zum Erpressungssystem gehört, dass Gehälter erst einmal monatelang gar nicht ausgezahlt werden und dann immer erst mit monatelanger Verzögerung. Wer gehen will, muss dann damit rechnen, dass er die noch ausstehenden Gehälter nicht bekommt. Nepalesen, die nach dem schweren Erdbeben in Nepal vor einem Jahr zurück zu ihren Familien wollten, wurde genau dies angedroht. Ein Arbeiter, der zurück nachhause wollte, weil er seinen Arbeitslohn nicht erhielt, wurde vom Manager angebrüllt: „Arbeite weiter oder du wirst hier niemals mehr gehen!“ Dazu kam die Drohung, dass er den ausstehenden Lohn nie erhalten würde. Anderen Arbeitern, die gehen wollten, wurde nicht nur mit Verlust ihres Lohnes, sondern auch mit der Polizei gedroht. Ergebnis: Sie mussten sich verpflichteten, auch nach Auslaufen ihres Vertrages weitere 18 Monate auf der Baustelle zu arbeiten. Amnesty International spricht von regelrechter Zwangsarbeit.

Katars Sponsoren-System: Der Staat organisiert die Ausbeutung

Die dreiste Ausbeutung wird möglich durch Katars „Sponsoren“- oder „Patensystem“: Jeder Gastarbeiter braucht einen Sponsoren oder Paten, bei dem er angestellt ist und der ihm erlauben muss, auszureisen oder den Arbeitsplatz zu wechseln.  Allen Gastarbeitern, mit denen Amnesty International sprach, waren die Pässe weggenommen worden. 88 Gastarbeiter hatten um Ausreise gebeten, aber dafür keine Erlaubnis erhalten. Im Oktober 2015 hat zwar der Emir von Katar ein neues Gesetz beschlossen, das das alte Sponsoren-Gesetz von 2009 ersetzen soll. Problem: Es tritt erst Dezember 2016 in Kraft, und die Gastarbeiter brauchen auch nach dem neuen Gesetz weiterhin die Erlaubnis ihrer Sponsoren für Ausreise oder Arbeitsplatzwechsel. Dazu kommt, dass die Behörden Gesetze zum Schutz der Arbeitskräfte, die es sogar in Katar gibt, konsequent schlicht nicht durchsetzen.

Die Schuld der Fifa: Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht

Verantwortlich für die üblen Zustände im Lande ist natürlich die Regierung von Katar – nach Bruttosozialprodukt pro Kopf das reichste Land der Welt. Schuld auf sich geladen hat aber Amnesty International zufolge auch der Weltfußballverband FIFA. Als der 2010 die Fußball-WM an Katar vergab, wusste er von den dortigen Verhältnissen oder musste davon wissen. Amnesty International: „Aber die FIFA hat keine Maßnahme ergriffen, um sicherzustellen, dass die Männer, die die WM-Infrastruktur aufbauen, nicht ausgebeutet würden.“ Die FIFA sei ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen, so die Menschenrechtsorganisation. Worauf jetzt die FIFA entgegnet, dass sie genau dafür eine „WM-Nachhaltigkeits-Arbeitsgruppe“ eingesetzt habe. Aufschlussreich: Erst im November 2015 hat die FIFA-Arbeitsgruppe zum ersten Mal getagt – fünf Jahre nach der Vergabe der WM. Sorgfalt sieht anders aus. Amnesty International: „Das fortgesetzte Versagen der FIFA, irgendwelche wirksamen Maßnahmen gegen die Ausbeutung von Arbeitskräften zu ergreifen, bedeutet, dass Tausende von Gastarbeitern auf den WM-Baustellen dem Risiko der Ausbeutung ausgesetzt sind.“ Das Problem wird größer: In den nächsten zwei Jahren wird sich die Zahl der Arbeitskräfte auf den WM-Baustellen von 4000 auf 36.000 erhöhen.

Ihr Handlungen und Unterlassungen geben wenig Anlass zu der Hoffnung, dass die FIFA vorhat, alles zu tun, was sie kann, um sicher zu stellen, dass die Fifa-WM 2022 ein positives Vermächtnis hinterlässt und nicht eine breite Spur menschlichen Elends.

Amnesty International

Reaktion der FIFA: Man sei sich der Risiken bewusst, denen die Arbeiter für das Turnier 2022 ausgesetzt seien, heißt es in einer Mitteilung des Weltfußballverbandes. Aber man sei zuversichtlich, dass die von den katarischen WM-Organisatoren erreichten Maßnahmen eine gute Basis zur Überprüfung der Rechte der Arbeiter böten.

Das fortgesetzte Versagen der FIFA, irgendwelche wirksamen Maßnahmen gegen die Ausbeutung von Arbeitskräften zu ergreifen, bedeutet, dass Tausende von Gastarbeitern auf den WM-Baustellen dem Risiko der Ausbeutung ausgesetzt sind.

Amnesty International

Amnesty hat auch für die Zukunft wenig Hoffnung, dass die Regierung von Qatar das Problem und die FIFA ihre Sorgfaltspflicht ernst nehmen. Trotz hoher medialer Aufmerksamkeit für die schlimme Lage der Gastarbeiter in Katar, befindet sich die FIFA nach eigenen Angaben erst jetzt „im Prozess der Formalisierung ihres Menschenrechts-Sorgfalts-Prozesses“. Die verquaste Formulierung sagt alles. Amnesty International: „Ihr Handlungen und Unterlassungen geben wenig Anlass zu der Hoffnung, dass die FIFA vorhat, alles zu tun, was sie kann, um sicher zu stellen, dass die FIFA-WM 2022 ein positives Vermächtnis hinterlässt und nicht eine breite Spur menschlichen Elends.“