Nahverkehr gratis? Die Idee scheint bereits wieder vom Tisch zu sein. Hier: eine Tram am Münchner Hauptbahnhof. (Foto: Imago/R.Peters)
Verkehr

Gratis nur für Schwarzfahrer

Die Interims-Bundesregierung hat die Idee für einen kostenlosen Nahverkehr ausgerufen, um Bürger zum Umstieg vom Auto zu bewegen. Doch die fünf ausgewählten Modellstädte für einen Test des Vorschlags wollen ihn gar nicht testen.

Erst schreiben, dann nachdenken – in der aktuellen Zuspitzung beim Thema Autoabgase in deutschen Städten hat die noch immer geschäftsführende Bundesregierung offenbar die falsche Reihenfolge gewählt. Vor Wochen haben Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU), Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) und Verkehrsminister Christian Schmidt (CSU) in einem Brief an die EU-Kommission ankündigt, die Bundesregierung denke mit Ländern und Kommunen über einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr nach, um die Zahl der Pkw und damit die ausgestoßenen Schadstoffe zu reduzieren. Eine bundesweite Debatte über Kosten und Chancen von Gratis-Bussen und –Bahnen in Großstädten quer durch die Republik folgte.

Kostenlose Busse und Bahnen unrealistisch

Doch schon nach dem ersten Gespräch zwischen fünf ausgewählten Modellstädten und dem Bundesumweltministerium scheint die Idee wieder vom Tisch zu sein. Ein so weitgehender Versuch sei in keiner der fünf Kommunen zur Luftreinhaltung geplant, sagte der Bonner Oberbürgermeister Ashok Sridharan (CDU) nach dem Treffen in der Bonner Niederlassung des Ministeriums. Ein komplett kostenloser ÖPNV sei eher unrealistisch. Die fünf beteiligten Städte seien aber entschlossen, dem Bundesumweltministerium bis Mitte März Vorschläge für eine bessere Luftqualität zu machen.

Viele Fragen sind offen geblieben.

Ashok Sridharan, Oberbürgermeister Bonn

Dazu gehört auch, den öffentlichen Nahverkehr attraktiver zu gestalten, um Halter von Diesel-Fahrzeugen zum Umsteigen zu motivieren, versicherten Vertreter aller fünf Städte. Sridharan betonte, das Gespräch sei sehr konstruktiv gewesen. Er sagte aber auch: „Viele Fragen sind offen geblieben.“ Bei den fünf Städten handelt es sich um Bonn und Essen in Nordrhein-Westfalen und Mannheim, Reutlingen und Herrenberg in Baden-Württemberg.

Die EU übt freilich weiterhin Druck auf Deutschland wegen der hohen Luftbelastung in vielen Städten aus. Der zuständige Umweltkommissar Karmenu Vella hat eine Klage gegen die Bundesrepublik angekündigt, weil seit Jahren in vielen deutschen Städten die Grenzwerte zum Ausstoß von Stickoxid überschritten werden. Die Grenzwerte sind jedoch strittig. Zudem will das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am Dienstag dieser Woche ein Urteil zu Fahrverboten für Dieselfahrzeuge sprechen.

Wie betroffene Kommunen mit dem Problem umgehen sollen, ist bislang völlig offen. Aus dem Verkehrsministerium von CSU-Minister Schmidt ist am Wochenende immerhin ein Vorschlag gedrungen: Der Parlamentarische Staatssekretär im Verkehrsministerium, Norbert Barthle (CDU), erklärte auf eine Anfrage der Grünen, man wolle neue Regeln über die Straßenverkehrsordnung (StVO) einführen. Auf Besitzer von Dieselautos könnten dann „streckenbezogene Verkehrsverbote oder –beschränkungen“ zukommen. Ziel sei der „Schutz der menschlichen Gesundheit vor Feinstaub und Abgasen“.

Szenario für München

Ein mögliches Szenario für die bayerische Landeshauptstadt München sähe dann so aus: Die notorisch mit Stickoxiden und Feinstaub belastete Mittlerer-Ring-Strecke an der Landshuter Allee könnte von einem solchen streckenbezogenen Verkehrsverbot für schmutzige Diesel-Pkw und –Lkw betroffen sein. Die Fahrzeuge müssten den Abschnitt umfahren oder ganz meiden. Vom Ausweichverkehr wären dann aber womöglich die umliegenden Wohnstraßen betroffen.

Schadstoff-Grenzwerte – das sind rechtliche Vorgaben, die haben ihren guten Grund.

Kurt Gribl, Oberbürgermeister Augsburg

Vertreter kommunaler Verbände wie der Präsident des Bayerischen Städtetags Kurt Gribl, der auch Oberbürgermeister in Augsburg ist, drängen die Bundesregierung freilich zur Einführung einer „Blauen Plakette“. Die Städte bräuchten sie als „generelles Instrument“, um die Schadstoff-Problematik in den Griff zu kriegen. Denn nur eine solche von außen einsehbare Plakette an den Fahrzeugen ermöglicht die zielgenaue Kontrolle, ob ein Wagen die aktuellen Abgas-Grenzwerte einhält oder von einem möglichen Fahrverbot betroffen ist.