Fragt man die Menschen, ob sie höhere Einkommen und Löhne, steigende Renten und Sozialleistungen erwarten und verdienen, hört man ein klares „Ja!“. Fragt man, ob sie für mehr Wirtschaftswachstum generell sind, wird das „Ja“ schon leiser und führt bei vielen sogar zu einem entschiedenen „Nein“. Was man individuell für gut und gerecht hält, betrachtet man losgelöst von den dafür nötigen volkswirtschaftlichen Grundlagen. Da drängen sich Fragen auf.
Führt Wachstum zu Zerstörung?
Seit der Club of Rome Anfang der siebziger Jahre Studien über „Grenzen des Wachstums“ veröffentlicht hat sind die wachstumskritischen Strömungen immer stärker geworden. Wachstum wird vielfach gleichgesetzt mit Umweltverschmutzung, Verschwendung endlicher Rohstoffe und Energiequellen, Klimakatastrophe und Verelendung der Dritten Welt. Das hat wachgerüttelt und zu einem veränderten Bewusstsein geführt. Längst sind Wissenschaft, Politik und Wissenschaft dazu übergegangen, die externen Effekte, also die negativen Begleiterscheinungen der vermehrten Produktion von Gütern und Leistungen, zu erkennen und zu minimieren. Ein Auto des Baujahrs 2017 verbraucht noch die Hälfte des Kraftstoffs wie vor 40 Jahren, manche Schadstoffe sind eliminiert wie Blei im Benzin oder durch Technik drastisch reduziert. Unsere Flüsse und Seen haben hohe Wasserqualität und Deutschland ist Weltmeister beim Sammeln, Trennen und Wiederverwerten von Abfall und Müll.
Brauchen wir überhaupt Wachstum?
Wir sind eine Wohlstandsgesellschaft, es geht uns doch gut, können wir nicht mit dem Erreichten zufrieden sein? Diese überlegte und verantwortungsbewusste Haltung hören wir oft. Können wir diese sympathische Bescheidenheit nicht einfach zum politischen Ziel erheben, gerade als Partei, die sich mit dem C der Erhaltung der Schöpfung verpflichtet weiß?
Wenn wir nicht Wachstum generieren, werden wir den bei Jung und Alt gewohnten und erwarteten Lebensstandard nicht halten können.
Erwin Huber
Neben dem individuellen Wunsch nach höheren Einkommen und Sozialleistungen müssen wir folgendes bedenken: Die Gesellschaft in Deutschland altert, die Lebenserwartung steigt und um ein Mehrfaches die Dauer des Rentenbezugs. Humane Pflege, auf die jeder Anspruch hat, kostet viel. Dazu kommen Sicherheit, Terrorbekämpfung und Integration. Die Liste des wirklich Notwendigen, nicht nur des Wünschenswerten, ließe sich noch lange fortsetzen. Das alles erfordert zusätzlich hohe zweistellige Milliardenbeträge jährlich. Da gibt es grundsätzlich nur zwei Finanzierungsmöglichkeiten:
Wachstum oder Umverteilen?
Umverteilen geht über Steuerpolitik. Linke, Grüne und SPD propagieren ja schon Vermögensabgaben, Vermögenssteuern, höhere Einkommenssteuer und Erbschaftssteuer. Die Reichen, die Millionäre, sollen zahlen, heißt es da in alter Klassenkampfmanier. Aber die Rechnung geht nicht auf. Soviel Millionäre gibt es gar nicht und das meiste Vermögen ist in Betrieben gebunden, die wiederum Arbeitsplätze und Investitionen schultern. Man müsste also breite Bereiche der Mittelschicht heranziehen, was wiederum den Leistungswillen zerstört. Das führt zu einer Spirale nach unten, würde die Probleme also nicht lösen, sondern gar noch erhöhen. Und grausame Verteilungskämpfe kämen dazu.
Wachstum ist also nötig, um dringend Notwendiges zu finanzieren. Wenn wir nicht Wachstum generieren, werden wir den bei Jung und Alt gewohnten und erwarteten Lebensstandard nicht halten können.
Fortschritt macht kreativ
Ich will auch die gesellschaftliche und humane Seite beleuchten. Ein selbstverordneter Stillstand würde den wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Fortschritt hemmen und abwürgen. Diesem Fortschritt verdanken wir beispielsweise, dass sich die Lebenserwartung für die Menschen bei uns in Deutschland binnen eines Jahrhunderts glatt verdoppelt hat, von vierzig auf achtzig Jahre. Wachstum kann man nicht separiert, also nur in einigen Branchen zulassen, denn alles hängt mit allem zusammen. Der technische Fortschritt etwa bei der Digitalisierung macht revolutionäre Errungenschaften in der Medizin, in Diagnose und Therapie, erst möglich. Forschergeist und Innovationsfähigkeit hierzulande zu stoppen und anderen zu überlassen, würde uns nicht nur wirtschaftlich abhängen, sondern käme uns letztlich sehr teuer. Was also strategisch tun?
Wachstum im Rahmen der Nachhaltigkeit
Zwischen Nullwachstum und Wachstumsfetischismus gibt es einen sinnvollen, gangbaren und verantwortlichen Mittelweg: qualitatives, besser nachhaltiges Wachstum. Das heißt Produktion mit weniger oder keiner Umweltbelastung, weniger Rohstoff- und Energieverbrauch, einem beweisbaren Rückgang von schädlichen Klimagasen, einer Zunahme von Biotopen und natürlichen Lebensräumen. Dafür brauchen wir nicht nur Umweltbewusstsein und gesellschaftliche Verantwortung, sondern auch klare, mutige politische Weichenstellungen. Je besser übrigens die technischen Möglichkeiten sind, desto schneller gehen auch die Schritte in diese Richtung.
Also: nicht Nullwachstum oder kollektive Askese sind die Lösung, sondern technischer Fortschritt und vernünftiges verantwortliches Wachstum im Rahmen der Nachhaltigkeit.
Der Autor:
Erwin Huber ist Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im Bayerischen Landtag und ehemaliger CSU-Parteivorsitzender.