Veredelung in China: Für eine Verkaufsshow in Guangzhou hat Künstler Su Zhongyang ein BMW-Cabrio mit Yak-Knochen und purem Gold in Drachen-Form gebracht (Foto: Imago/China Foto Press)
China

Stimmung am Boden

Deutsche Unternehmen sehen sich im China-Geschäft von der dortigen Regierung diskriminiert, während sich chinesische Investoren auf dem freien europäischen Markt in die deutsche Industrie einkaufen. Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner fordert, dass die Bundesregierung einschreitet.

Die Stimmung im China-Geschäft war noch nie so schlecht. Die Zahl der Beschwerden und Hilfegesuche an die deutsche Botschaft in Peking hat seit zwei Jahren zugenommen und ist gerade seit Jahresanfang noch einmal „sehr stark in die Höhe geschnellt“, wie aus der deutschen Vertretung in Peking zu hören ist. Beklagt werden neue Marktbarrieren, erschwerte Lizenzverfahren, Diskriminierung gegenüber chinesischen Unternehmen, erzwungener Technologietransfer und unverändert freche Produktpiraterie.

Tiefe Einblicke in die Technik

Bestes Beispiel für Chinas „ökonomischen Nationalismus“ ist die Entwicklung von Elektroautos. Neue Gesetzespläne fordern von Herstellern, eine Lizenz zu beantragen und nicht nur ihre Produktion in China zu anzusiedeln, sondern auch den Entwicklungsprozess. Die chinesischen Partner, ohne die ausländische Autobauer ohnehin nicht in China tätig sein dürfen, müssen dafür nachweisen, dass sie die E-Auto-Technologie komplett beherrschen. Für die deutschen Autofirmen heißt das, sie müssten ihr technologisches Wissen vollständig preisgeben.

„Wenn das geplante Gesetz so kommt, liefe das auf einen erzwungenen, kompletten Technologietransfer hinaus“, sagt ein Branchenkenner. Weiter gibt es Pläne, dass Autobauer nach einem Zeitplan einen bestimmten Anteil an E-Autos in China bauen müssen, oder ansonsten Minuspunkte ansammeln. Zum Ausgleich müssten sie Pluspunkte von chinesischen Konkurrenten kaufen – und würden über solche Strafzahlungen ihre lokalen Wettbewerber sogar mitfinanzieren.

Die Liste der Probleme ist endlos und derart bunt, dass es schwer ist, zum Schluss zu kommen.

Michael Clauß, deutscher Botschafter in Peking

Ein Brief mit einer Bitte um Aufklärung, den Botschafter Michael Clauß vor vier Monaten an den Minister für Industrie und Informationstechnologie, Miao Wei, geschickt hat, ist nach dpa-Informationen bis heute unbeantwortet geblieben. „Die ausbleibende Reaktion bestätigt unsere große Sorge, dass damit auch industriepolitische Ziele verfolgt werden“, zitiert dpa eine Quelle.

Vollbremsung für Knorr-Bremse

Zwang zum Technologietransfer plagt auch andere Branchen. „Wir hören oft, dass Unternehmen, die in China produzieren wollen, aufgefordert werden, ihre Technologie aus Sicherheitsgründen offenzulegen“, verlautet aus informierten Kreisen. „Das geschieht dann praktisch erzwungenermaßen freiwillig. Sonst wäre es auch ein Verstoß gegen die WTO-Regeln, die Zwangstransfers verbieten.“

Neue Hürden schafft auch ein Punktesystem bei Ausschreibungen für Bahnprojekte. Heimische Hersteller bekommen zehn Punkte Vorsprung, Joint Ventures fünf, während ausländische Hersteller bei Null anfangen müssen. Selbst deutsche Unternehmen mit lokaler Produktion wie der weltweit führende Hersteller von Bremssystemen für Schienen- und Nutzfahrzeuge, Knorr-Bremse, der gleich nach der Öffnung durch den wirtschaftlichen Reformarchitekten Deng Xiaoping nach China gegangen ist, wären damit aus dem Geschäft.

Auch Nahrungsmittel- und Agrarimporte werden restriktiver gehandhabt. Geplante Quarantäne-Regeln könnten die Einfuhren aus Deutschland zum Stillstand bringen. Nicht mehr nur Risikolebensmittel, sondern jeder Bonbon oder jedes Biskuit müsste danach in Zukunft zertifiziert werden. „Der Gesetzentwurf hat klar die Grenze zum Schutz der Verbraucher überschritten – in Richtung eines unverblümten Protektionismus für heimische Produzenten“, schreibt Botschafter Clauß in einem Artikel in der Hongkonger „South China Morning Post“.

Geklagt wird ferner über immer dreistere Produktpiraterie. Ein prominentes Opfer ist der deutsche Modehersteller Hugo Boss. Er unterlag vor Gericht gegen einen chinesischen Konkurrenten, der die gleichen Anzüge unter der Marke „BOSS“ mit einem kleinen Schriftzug „sunwen“ verkauft. In Hongkong war ihm das noch gerichtlich untersagt worden, doch China erlaubt es. Nun hat er Hugo Boss angeboten, ihm doch die Rechte für China abzukaufen. Die Liste der Probleme „ist endlos und derart bunt, dass es schwer ist, zum Schluss zu kommen“, schreibt der Botschafter.

 Wir müssen Regeln definieren, die verhindern, dass Konzerne, hinter denen ganze Staaten und deren Subventionen stehen, unsere Firmen schlucken.

Ilse Aigner, Wirtschaftsministerin

Während der chinesische Staat seine Unternehmen daheim offenbar stark protegiert, versuchen diese, sich mit staatlicher Hilfe im Ausland einzukaufen. Angesichts gehäufter Übernahmen deutscher Firmen durch chinesische Investoren verlangt Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner zügige Schritte gegen einen technologischen Ausverkauf. „Die Bundesregierung muss hier handeln und zwar schnell“, sagte Aigner der Welt am Sonntag. „Es geht nicht um grundsätzliche Abgrenzung, aber wir müssen Regeln definieren, die verhindern, dass Konzerne, hinter denen ganze Staaten und deren Subventionen stehen, unsere Firmen schlucken“, meint die Ministerin. Deren Engagement habe mit Marktwirtschaft nichts mehr zu tun. „Da werden Preise geboten, die kein normaler Investor bieten kann und würde. Auch müssen wir sicherstellen, dass deutsche Unternehmen in diesen Ländern die gleichen Zugangsvoraussetzungen haben.“

Die Übernahme von Kuka

Chinesische Unternehmen hatten in Europa zuletzt mit mehreren großen Übernahme-Angeboten für Aufsehen gesorgt. Der chinesische Elektrogeräte-Hersteller Midea hatte bis Anfang August für rund 4,5 Milliarden Euro fast 95 Prozent der Aktien des deutschen Roboterbauers Kuka gekauft. Aktuell laufen Übernahmeangebote für den Produktionsmaschinen-Hersteller Aixtron und für die Osram-Sparte Ledvance – diese sind aber in der Schwebe.

Bei Ledvance nimmt die Bundesregierung momentan die rechtliche Grundlage des Verkaufs unter die Lupe. Der Investor hat eine Unbedenklichkeitsbescheinigung beantragt. Dabei wird nach „Maßstäben des Außen- und Wirtschaftsrechts“ geprüft, ob eine „Gefährdung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ vorliegt.

US-Geheimdienst schreitet ein

Bei der Übernahme von Aixtron hatte das Bundeswirtschaftsministerium seine Unbedenklichkeitsbescheinigung gegen einen Verkauf nach China zurückgezogen. Zu den Gründen machte die Regierung keine offiziellen Angaben. Laut einem Handelsblatt-Bericht unter Berufung auf Geheimdienstkreise sollen die USA den Deal blockiert haben – angeblich aus Angst, dass Aixtron-Produkte auch militärisch genutzt werden könnten. Das Unternehmen aus Herzogenrath bei Aachen stellt Produktionsmaschinen für die Chipindustrie her.

Die Stärke des Wirtschaftsstandortes Deutschland kommt doch daher, dass Wirtschaft und Staat weitgehend getrennt sind. Diese Trennung sollten wir auch erhalten.

Dieter Zetsche, Daimler-Chef

Daimler-Chef Dieter Zetsche spricht sich derweil gegen Restriktionen für chinesische Investoren in Deutschland aus. „Die Stärke des Wirtschaftsstandortes Deutschland kommt doch daher, dass Wirtschaft und Staat weitgehend getrennt sind“, sagte er dem Handelsblatt. „Diese Trennung sollten wir auch erhalten. Wenn ich Zäune hochziehe, dann werden die Unternehmen müde und träge.“ Den Vorwurf, chinesische Firmen würden im Bereich Patentrecht ungeniert klauen und kopieren, hält Zetsche für „Unsinn“. China bilde mehr Ingenieure aus als Deutschland, und habe deshalb selbst großes Eigeninteresse, Patente zu schützen.

Zetsches Aufruf zur Zurückhaltung erklingt allerdings vor dem Hintergrund, dass deutsche Autobauer zunehmend abhängig sind vom chinesischen Absatzmarkt – und die geschilderten staatlichen Maßnahmen auch ihre Werke tangieren. Von Januar bis Anfang September haben die Premiumanbieter Audi, BMW und Mercedes-Benz in China mehr als eine Million Wagen verkauft. Im August war China größter Wachstumsmotor für die Hersteller. Audi verkaufte in diesem Monat 49.000 Autos nach China – genauso viele wie in ganz Europa. Mercedes lieferte im gleichen Monat 41.072 Wagen im Reich der Mitte aus – gegenüber 56.809, die in Europa an die Kunden gingen.

(dpa/grd)